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Nach Ausstieg aus INF-Vertrag
"Russland sucht die strategische Konfrontation"

Nach dem Ausstieg aus dem INF-Vertrag bestehe die Sorge, dass Russland wieder Planungen anstelle, andere Länder militärisch zu überfallen, sagte der Experte für Sicherheitspolitik, Joachim Krause, im Dlf. Ein solches Szenario werde in der deutschen Politik überhaupt nicht thematisiert.

Joachim Krause im Gespräch mit Mario Dobovisek | 05.02.2019
    Russlands Präsident Vladimir Putin im Gespräch mit Roskosmos-Chef Dmitri Rogosin. Das Institut ist für einen Großteil konkreter technologischer Entwicklungen an Raketen verantwortlich.
    Russlands Präsident Vladimir Putin im Gespräch mit Roskosmos-Chef Dmitri Rogosin. Das Institut ist für einen Großteil konkreter technologischer Entwicklungen an Raketen verantwortlich. (dpa/ picture alliance/TASS)
    Der Bericht von Klaus Remme aus Litauen, und am Telefon begrüße ich Joachim Krause. Er ist Politikwissenschaftler und Direktor des Instituts für Sicherheitspolitik an der Universität Kiel. Guten Morgen, Herr Krause!
    Joachim Krause: Guten Morgen!
    Dobovisek: Wie sehr braucht das Baltikum gerade jetzt das Signal von den Verbündeten im Westen, nicht vergessen worden zu sein?
    Krause: Ja, dieses Signal ist notwendig, denn die baltischen Staaten sehen sich einer militärischen Bedrohung gegenüber, die existenziell ist, denn ihnen droht die Gefahr, dass sie besetzt werden und wieder in den russischen Herrschaftsbereich eingegliedert werden. Das kann man zumindest aus den militärischen Übungen und den Operationen und vor allen Dingen den Streitkräften ersehen, die dort sind. Also diese Furcht ist berechtigt, und da müssen wir uns als Bündnispartner drum kümmern.
    Militärische Bedrohung ist existenziell
    Dobovisek: Wie konkret ist denn diese Gefahr, die Sie gerade skizzieren?
    Krause: Sie ist jedes Jahr oder alle zwei Jahre, wenn es ein großes Manöver gibt, die Zapadmanöver gibt, ist sie sehr real, weil aus diesen Manövern kann sofort eine Invasion dieser Länder passieren. Deswegen werden diese Manöver immer mit großer Aufmerksamkeit beobachtet. Natürlich ist das nicht von heute auf morgen, aber das kann innerhalb weniger Wochen passieren. Das kann auch auf hybride Art passieren, dass erst mal versucht wird, so wie in der Ostukraine auch, bestimmte Städte zu übernehmen. Also die Gefahr ist da, und bisher gibt es ja nur eine sehr geringe westliche Militärpräsenz dort, die nicht ausreichen würde, um eine russische Invasion abzuhalten.
    Dobovisek: Sie sagen es, der Westen hat ja bislang eher zurückhaltend reagiert, denn 1.000 NATO-Soldaten im Baltikum könnten wohl kaum eine russische Invasion aufhalten. Da geht es also doch in erster Linie um Symbolkraft, oder steckt da mehr dahinter?
    Krause: Ja, das ist ebenso symbolisch wie seinerzeit die alliierten Brigaden in Westberlin. Die hätten auch Westberlin nicht halten können, aber das soll sozusagen der anderen Seite demonstrieren, dass diese Länder Teil der NATO sind und die NATO nicht zurückstehen würde, wenn es zu einer Invasion kommt. Nur wenn wirklich so eine Invasion käme, wüsste keiner so richtig, wie die NATO das wieder zurückerobern soll, das muss man allerdings auch sagen. Es ist also eine derzeit symbolische Präsenz, und die muss durch eine reale Präsenz erhöht werden. Dagegen wehrt sich bisher die Bundesregierung, weil sie sagt, die NATO-Russland-Akte würde dann verletzt werden. Man will diesen Teil des Vertragsregimes mit Russland nicht ganz aufgeben.
    Verteidigungsfähigkeit ist nicht gewährleistet
    Dobovisek: Eine reale Präsenz sagen Sie. In welchen Dimensionen bewegen wir uns da, Ihrer Meinung nach?
    Krause: Da müsste man schon in einer Größenordnung von mindestens einer Division pro baltischem Staat und wahrscheinlich auch noch in Polen reden. Das ist sozusagen das Mindeste, was sie brauchen, um dort überhaupt eine Verteidigungsfähigkeit herzustellen.
    Dobovisek: Das heißt in Zahlen ausgedrückt?
    Krause: Ungefähr 30-, 40.000 Soldaten aus anderen Ländern der NATO, sei es aus Deutschland, aus Frankreich, aus Großbritannien, USA, Holland oder was weiß ich nicht wo, müssten dort stationiert sein. Dann hätte man eine gewisse Verteidigungsfähigkeit, die auch sozusagen auf verschiedenen abschrecken könnte.
    Dobovisek: Jetzt gibt es noch den Streit um die nukleare Mittelstreckenrakete, um den INF-Abrüstungsvertrag. Es gab zuvor gegenseitige Provokationen. Kann man im Streit zwischen Moskau und Washington überhaupt einen Schuldigen ausmachen?
    Krause: Es ist nicht nur ein Streit zwischen Moskau und Washington, weil normalerweise haben solche Raketen keine besondere Bedeutung. Es sei denn jemand versucht in eine Region wie in Europa, ich sage mal so, gewisse territoriale Zugewinne durch militärische Mittel zu erreichen und diese Zugewinne durch eine regionale nukleare Bedrohung abzusichern, das ist diese regionale Eskalationskontrolle, und weil das im Augenblick befürchtet wird, dass Russland dieses will, ist das plötzlich wieder ein sensitives Thema. Wer jetzt wessen Vorwürfe schlimmer sind, ist meines Erachtens gar nicht so das Thema. Entscheidend ist, man sieht eben auf russischer Seite in der Doktrin eine Tendenz, regionale Kriege dadurch zu beenden, dass man die Eskalationsdominanz herstellt, indem man Waffen zur Verfügung hat, die in diesen bestimmten Regionen eingesetzt werden können.
    Sorge, dass Russland einzelne Länder überfallen könnte
    Dobovisek: Moskau hatte ja klar gesagt, unsere neuen Raketen fliegen weniger als 500 Kilometer weit und fallen demnach nicht unter die Regeln des INF-Vertrags. Nun da es den Vertrag nicht mehr gibt, Herr Krause, würde es Sie da wundern, wenn ein und dieselbe Rakete plötzlich in der Lage wäre, weiter zu fliegen?
    Krause: Also ich halte diese Angabe nicht für besonders glaubwürdig. Der Punkt ist der, die Russen haben eine seegestützte Rakete, Kalibr heißt sie, die 1.500 Kilometer, andere sagen möglicherweise sogar 2.000 Kilometer …
    Dobovisek: Und see- wie luftgestützte Raketen fallen ohnehin nicht unter den INF-Vertrag.
    Krause: Eben, die ist seegestützt, und die können Sie ohne Weiteres in eine landgestützte Rakete umwandeln. Meines Erachtens haben die Russen das schon lange getan, und das, was die NATO als Vertragsstoß geißelt, ist wahrscheinlich diese Kalibr-Rakete, die die Russen, wie gesagt, von See aus schon mehrfach eingesetzt haben. Es macht für unsere Sicherheit überhaupt gar keinen Unterschied aus, ob diese Rakete landgestützt oder seegestützt ist.
    Dobovisek: Welche Strategie erkennen Sie in Moskaus Vorgehen?
    Krause: Ich mache mir Sorgen, dass Moskau wieder dabei ist, Planungen anzustellen, einzelne Länder zu überfallen, militärisch zu überfallen. Das macht sonst kein Land in Europa, und das ist eigentlich ein Politikum, welches in der deutschen Politik überhaupt nicht so thematisiert wird, sondern es wird immer davon gesprochen, dass der Vertrag so wichtig ist und dass wir Entspannung brauchen und, und, und, aber wenn ein Land sich so gegen Grundsätze europäischer Sicherheitspolitik und Sicherheitsordnung wendet, muss man das doch eigentlich mal thematisieren. Das tut leider kein deutscher Spitzenpolitiker.
    "Russland sucht strategische Konfrontation mit dem Westen"
    Dobovisek: Gleichzeitig sagt aber Russland auch immer wieder, es fühle sich provoziert, auch durch die – in Anführungsstrichen – Erweiterung der NATO gen Osten, zum Beispiel ins Baltikum. Wie können Sie das entkräften?
    Krause: Russland – und damals auch die Sowjetunion –, und Russland und die NATO haben 1990, aber auch schon 1975 vereinbart, dass jedes Land das Recht hat, seine eigene Bündniszugehörigkeit zu … darüber zu befinden. Das ist ein Grundrecht, wenn man so will, europäischer Sicherheitspolitik, und die NATO hat dieses Grundrecht ja nicht selber betrieben, sondern die Staaten des Baltikums wollten in die NATO. Die NATO hat immer gesagt, okay, ihr könnt Mitglied sein, aber wir stellen keine Truppen dort auf, damit Russland sich nicht provoziert fühlt. Also es ist ja nicht so, dass die NATO jetzt Russland provoziert hat, sondern diese Länder wollten in die NATO aufgenommen werden, weil sie sich von Russland bedroht fühlen, und gleichzeitig hat man das aber auf eine Art und Weise gemacht, die keinerlei militärische Bedrohungsperzeption auslösen kann. Diese Botschaft will man offensichtlich in Moskau nicht hören.
    Dobovisek: Kurz zum Schluss gefragt, weil Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen davor warnt, in die Zeiten des Kalten Krieges zurückzufallen, da gab es ja wenigstens noch rote Telefone auf allen Ebenen. Eine solche Kommunikation, Kooperation gibt es kaum noch. Wünschen Sie sich manchmal die Zeiten des Kalten Krieges zurück?
    Krause: Nein, das natürlich nicht, aber die Kommunikationsmöglichkeiten heute sind weitaus besser als während des Kalten Krieges. Das soll man jetzt nicht so dramatisieren, aber wir sind in einer Lage, wo Russland die strategische Konfrontation mit dem Westen sucht. Ob man das nun als neuen Kalten Krieg bezeichnet oder nicht, weiß ich nicht, es ist egal. Wir haben eine Realität der strategischen Konfrontation, und wir müssen damit umgehen und können nicht immer nur den Verlust von Verträgen bedauern und bejammern, die eigentlich ihre militärische Sicherheitsfunktion schon längst verloren haben.
    Dobovisek: Sagt Joachim Krause, Politikwissenschaftler an der Universität Kiel. Ich danke Ihnen für diese Analyse!
    Krause: Gern geschehen, Wiederschauen!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.