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Nach Cancun: "Keine Rücksicht mehr" auf USA und China

Die Grünen-Politikerin Rebecca Harms bezeichnet das Lob der USA für das Ergebnis von Cancun als "fast schon zynisch": Man habe den Prozess gerettet, eine Verbindlichkeit aber auf die lange Bank geschoben. Für China hegt sie Hoffnung - und hat eine klare Forderung an die EU.

13.12.2010
    Stefan Heinlein: Große Erwartungen, große Enttäuschung. Kopenhagen vor einem Jahr war ein Schlag ins Wasser. Diesmal waren die Hoffnungen auf Fortschritte beim Klimagipfel eher verhalten. Umso größer deshalb jetzt die Freude über das Erreichte in Cancun. Selbst Umweltschutzorganisationen äußern nur verhaltene Kritik, auch wenn der große Wurf, ein Kyoto-Nachfolgeabkommen, wieder einmal vertagt wurde. Schulterklopfen also auch bei den politischen Akteuren weltweit, Beifall auch von US-Präsident Obama.
    Vor Ort in Cancun begrüße ich jetzt die Fraktionschefin der Grünen im Europaparlament, Rebecca Harms. Guten Morgen beziehungsweise guten Abend an Sie!

    Rebecca Harms: Hallo!

    Heinlein: Barack Obama, aber auch Angela Merkel und ihr Umweltminister sind hoch zufrieden mit den Ergebnissen von Cancun. Teilen Sie diese Zufriedenheit?

    Harms: Also ich finde, dass das alles sehr übertrieben klingt. Was hier gerettet worden ist, das ist der Prozess, der weitere Prozess innerhalb der UNO, in dem eben weit über 190 Länder versuchen, seit langer Zeit die angemessenen ehrgeizigen Maßnahmen zu vereinbaren, die wir brauchen, um die Erderwärmung zu bekämpfen. Und was ich wirklich als besonders schon fast zynisch ansehe, das ist das Lob aus den USA, weil gerade die USA hier in Cancun wieder alles daran gesetzt haben, Verbindlichkeit eines Abkommens auf die lange Bank zu schieben.

    Heinlein: Also das Glas ist aus Ihrer Sicht keineswegs halb voll, sondern mindestens halb leer?

    Harms: Also der Prozess ist gerettet und gleichzeitig ist aber sehr deutlich geworden, wie groß die Lücke ist, die da klafft zwischen den Reduktionszielen, also Klimaschutzzielen, die schon in Kopenhagen von vielen Ländern festgelegt worden sind oder angeboten worden sind, und dem, was wir eigentlich schaffen müssen. Achim Steiner, für die UNO ja der Nachfolger von Klaus Töpfer im Amt, hat gesagt, dass das, was wir jetzt sozusagen an Bord haben von freiwilligen Ländern ohne verbindliches Abkommen, dass das ungefähr 60 Prozent dessen ist, was wir eigentlich schaffen müssen. Der Rest hängt sehr stark an den USA, oder auch an China, und die sind so wie auch in Kopenhagen eigentlich eher nicht bereit, sich angemessen einzulassen auf ehrgeizigen Klimaschutz.

    Heinlein: Frau Harms, Sie haben vor Ort in Cancun die letzte, diese dramatische Nachtsitzung ja mitverfolgt. Es hing ja alles sehr am seidenen Faden. Wäre es aus Ihrer Sicht, so wie Sie es schildern, ehrlicher und besser vielleicht sogar gewesen, diesen ganzen Verhandlungsprozess platzen zu lassen?

    Harms: Das würde ich dann auch wiederum als tollkühn ansehen, weil man nimmt natürlich dann doch, wenn es eigentlich um alles geht, lieber den Spatz in der Hand, als die Taube auf dem Dach. Aber was ich jetzt glaube, was wirklich unverzichtbar ist, das ist, dass die Länder, die bereitwilliger sind als zum Beispiel jetzt USA oder China, dass die Länder tatsächlich mehr tun als sie bisher getan haben. Aus diesem Akkord vom Kopenhagen, also diesen freiwilligen Angeboten von Kopenhagen, muss jetzt ein starker Prozess werden und die Europäische Union, die ja immer wieder sagt, wir wollen die Führungsrolle, die Europäische Union muss mit den Entwicklungsländern und den emerging economies wie zum Beispiel Brasilien oder Mexiko tatsächlich jetzt in eine verbindlichere Zusammenarbeit kommen. Ich glaube, dass man tatsächlich, wenn man jetzt ehrgeizige Umbauprozesse von Industrie, von Wirtschaft, vom Energiesektor gemeinsam macht, wenn man auch den Entwicklungsländern hilft, den Waldschutz, der so wichtig hier als Thema gewesen ist, voranzubringen, dass man dann aus dieser Koalition der Freiwilligkeit heraus vielleicht Attraktivität entwickeln kann, sodass dann entweder China, oder die USA als Nächstes doch aufspringen.

    Heinlein: Sie haben Kopenhagen angesprochen, Frau Harms. Ist es nicht gerade diese Erfahrung – Kopenhagen ist ja mehr oder weniger gescheitert – gewesen, dass man sich jetzt in Cancun nicht zu viel vorgenommen hat, sondern sich auf das Machbare konzentriert und sich dann entsprechend auf weitere Schritte vorbereiten kann? Ist das nicht die richtige Verhandlungsstrategie?

    Harms: Das Traurige ist ja, dass das immer wahnsinnig weit auseinanderklafft. Einerseits werden auf diesen Klimakonferenzen Tag für Tag ja die Notwendigkeiten richtig beschrieben und das, was als machbar dann diskutiert wird, was immer wieder irgendwie tatsächlich auch den Verhandlungsrhythmus diktiert, das klafft wahnsinnig weit auseinander von dem, was vorher als notwendig beschrieben wird.

    Heinlein: Woran liegt das?

    Harms: Wir haben hier eigentlich mit einer unglaublichen Ungleichzeitigkeit zu tun. Es gibt ein paar Blockierer in diesem Prozess, auf die man meiner Meinung nach zunächst mal keine Rücksicht mehr nehmen darf. Das sind die USA oder auch China, wobei hier in Cancun, muss ich sagen, habe ich eigentlich jetzt mehr Hoffnung wieder darauf entwickelt, dass vielleicht die Chinesen, die mir sonst nicht immer sympathisch sind, in ihrem nächsten Fünf-Jahres-Plan eher an das anschließen, was notwendig ist als die USA.

    Heinlein: Frau Harms, man merkt: Sie stehen noch unter dem Eindruck dieser dramatischen Tage von Cancun. Sie haben die Verhandlungen vor Ort mitverfolgt. Wie beurteilen Sie denn die deutsche Rolle auf diesem Gipfel?

    Harms: Also Herr Röttgen ist hier meiner Meinung nach nicht besonders aufgefallen. Vertreten wird die Europäische Union ja auch durch die Klimakommissarin Connie Hedegaard. Aber Deutschland – und da spielt eben Norbert Röttgen eine ganz große Rolle -, Deutschland muss eben jetzt in Europa dafür sorgen, dass die Europäer endlich ihre Ziele und ihre Maßnahmen auch so gestalten, dass sie auf den internationalen Konferenzen dann eben demnächst in Durban in einem Jahr auch glaubwürdig sind. Die Europäer haben bisher kein angemessenes Ziel vereinbart und die Europäer – und da ist eben auch Deutschland keine Ausnahme – sind eher, wenn es darauf ankommt, konkrete Gesetzgebung für Klimaschutz zu machen für die Industrie, dann sind die Europäer eben auch nicht so vorbildlich, wie sie oft tun.

    Heinlein: Ist also auch in Europa die Wirtschafts-, Währungs- und Finanzkrise mittlerweile wichtiger als der Klimaschutz?

    Harms: Bevor ich nach Cancun gekommen bin, habe ich das in Brüssel Tag für Tag verfolgen können, wie dann eben doch die Wirtschaftskrise als Ausrede benutzt wird, keinen ehrgeizigen Klimaschutz mehr zu betreiben. Insbesondere die Industrielobby ist da heftig auf die Bremse getreten. Und was ich eben immer wieder anmahne, was ich auch glaube, was wirklich richtig ist: Raus aus der Wirtschaftskrise kommen wir dauerhaft gerade nur durch ehrgeizigen Klimaschutz. Ich glaube, die Innovation, die wir brauchen, die Vorbereitung auch für die Fähigkeit der europäischen Industrien, auf Zukunftsmärkten sich zu behaupten, das geht alles nur dann, wenn wir wirklich ehrgeizig auf Klimaschutz, auf Energieeffizienz setzen. Geredet wird darüber oft, auch Herr Röttgen kann das unheimlich gut, aber richtig verinnerlicht ist das auch in Europa nicht.

    Heinlein: Zum Abschluss des Klimagipfels von Cancun heute Morgen hier im Deutschlandfunk die Fraktionschefin der Grünen im Europaparlament, Rebecca Harms. Ich danke für das Gespräch und gute Nacht nach Cancun!

    Harms: Auf Wiederhören!