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Nach dem Anschlag in Haifa und der israelischen Militäraktion in Syrien

Durak: Die Lage scheint hoffnungslos wie lange nicht zuvor. Eine militärische Eskalation droht ja von Seiten der radikalen, der terroristischen Palästinenserorganisationen wie Dschihad und Hamas und auch von Seiten Israels, denn nach dem Terrorangriff in Haifa hat Israel syrisches Gebiet mit der Begründung angegriffen, Lager treffen zu wollen, die von solchen Organisationen genutzt werden. Herr Primor, wie werten Sie denn diesen Angriff auf syrisches Gebiet?

    Primor: Ich glaube, dass das ein Angriff ist im Sinne der amerikanischen Politik heute, dass man nicht mehr dulden wird, dass irgendwelche Länder den Terroristen Asyl geben, dass irgendwelche unabhängige Länder den Terroristen eine Infrastruktur bieten. Insofern glaube ich, dass die israelische Regierung genauso reagiert hat, wie die amerikanische Regierung es, wenn nicht erwartet, zumindest dulden würde. Ich glaube nicht, dass die Syrer darauf reagieren werden, abgesehen von einer Debatte im Sicherheitsrat in New York oder ähnliches, aber nicht militärisch.

    Durak: Herr Franghi, der israelische Regierungssprecher hat gleich danach auch von einer Warnung gesprochen, dass alle, die den Terrorismus unterstützen nun keinerlei Immunität genießen würden. Sehen Sie den Angriff auf syrisches Gebiet auch als Angriff gegen die arabischen Nachbarstaaten?

    Franghi: Ich glaube, Israel fühlt sich jetzt sehr stark, und sie möchten wahrscheinlich diese Eskalation ausweiten, um von dem abzulenken, was in den palästinensischen Gebieten passiert. Sehen Sie, es gibt inzwischen keine Organisationen wie Hamas oder Dschihad; sie arbeiten nicht mehr in Syrien, und das weiß jeder. Das wissen die Amerikaner und das wissen die Israelis. Der Angriff dort hat ja zivile Einrichtungen getroffen und nicht militärische Lager der Dschihad oder Hamas oder irgendeiner Organisation, und das weiß jeder. Ich glaube, diese Politik der Israelis zeigt eindeutig, dass Scharon versagt hat. Den Israelis hat er versprochen, Frieden zu bringen, und er hat mehr Blutvergießen in die Gegend gebracht als jeder israelische Minister vor ihm. Er hat denen Wohlstand versprochen und er hat die Wirtschaft kaputt gemacht. Ich glaube, die Israelis müssen jetzt ernsthaft daran denken, dass sie mit der Besatzungspolitik in den palästinensischen Gebieten nicht mehr in der Lage sein können, Sicherheit für die Palästinenser oder für sich selbst zu garantieren. Dass wir gescheitert sind, liegt genau daran, dass die Israelis weiterhin darauf bestehen, die Besatzungspolitik in den palästinensischen Gebieten fortzusetzen.

    Durak: Sie haben eben von "wir" gesprochen und haben nur die Israelis genannt. Woran sind die Palästinenser gescheitert?

    Franghi: Ich habe gesagt, wir, und ich meine damit Israelis und Palästinenser. Wir sind gescheitert, das Oslo-Abkommen fortzusetzen. Wir sind gescheitert, gemeinsam den Frieden zu erreichen und zu gestalten. Daher bin ich der Meinung, dass wir Hilfe von außen brauchen, von der USA, vom Quartett, von den Europäern. Alleine können wir es nicht mehr schaffen. Wir brauchen eine Entflechtung zwischen uns und den Israelis, damit wir einfach normal miteinander reden können oder dazukommen können.

    Durak: Stimmen Sie dem zu, Herr Primor?

    Primor: Also ich würde dem im Prinzip zustimmen. Ich würde mir auch eine amerikanische Intervention oder eine Intervention seitens des Quartetts wünschen. Ich versuche aber realistisch zu bleiben. Ich glaube nicht, dass die Amerikaner den Wunsch haben, sich einzumischen. Hätten die Amerikaner das gewollt, dann haben sie alle Mittel zur Verfügung, um einen Friedensprozess zu erzwingen. Ich gehe davon aus, dass sie nicht mehr als Lippenbekenntnisse zollen, und insofern glaube ich nicht, dass die Lösung seitens der Amerikaner und wenn nicht seitens der Amerikaner seitens der Welt kommen kann. Insofern stelle ich mir die Frage, wie können wir vor Ort, weil wir eben keine internationale Unterstützung bekommen werden, alleine die Situation lösen oder erleichtern? Und ich glaube, es gibt nur ein Mittel, und das sind die Verhandlungen, aber gegen Verhandlungen stehen alle Extremisten von allen Seiten, die Extremisten der israelischen Seite, die auf die Gebiete nicht verzichten wollen, die Extremisten seitens der Palästinenser, die Terror ausüben, die vielleicht auch auf die Idee der Vernichtung des Staates Israel verzichtet haben, und die Extremisten spielen sich gegenseitig in die Hände. Ich veröffentliche heute in Deutschland ein neues Buch unter dem Titel "Terror als Vorwand". Terror als Vorwand bedeutet was? Die Terroristen, die Israel angreifen - nicht in den besetzten Gebieten übrigens, sondern im Kernland Israel gegen Zivilisten, gegen Frauen und Kinder -, unterstützen die Extremisten in Israel, indem sie sagen, wir können doch nicht auf Gebiete verzichten, wir können doch nicht Siedlungen räumen, weil wir gegen Terror kämpfen müssen. Also müssen die Regierungen auf beiden Seiten die Extremisten eindämmen, und vor allem müssen es die Palästinenser machen, die eigentlich immer aus Gründen, die wir nicht verstehen können, erlaubt haben, dass aus dem eigenen Boden unabhängige bewaffnete Terroristen frei herumlaufen. Das kann so nicht gehen. Keine Regierung kann sich so etwas leisten.

    Durak: Herr Franghi, ist die Palästinenserführung überhaupt noch Herr der Lage, um diesen Forderungen nachzukommen, die ja nicht nur Herr Primor aufstellt, nämlich die radikalen Palästinenserorganisationen zu entwaffnen oder sie zur Aufgabe der Gewalt zu bewegen?

    Franghi: Sie war Herr der Lage, solange wir über die palästinensischen Gebiete bestimmt haben, aber solange die israelische Armee zurückgekehrt ist als Besatzer und nachdem die israelische Armee die Infrastruktur der Sicherheitsorgane und der Wirtschaft zerstört hat und alles zerstört, was wir in sieben Jahren aufgebaut haben, ist es sehr schwer, gegen diese Gruppen wie Hamas oder Dschihad Islami vorzugehen. Denn wenn wir jetzt gegen diese Organisationen vorgehen und die israelische Armee ist da, sie exekutieren täglich führende Mitglieder, sie schicken ihre Panzer und Flugzeuge, wann sie wollen, dann besteht keine Chance für ein Palästinenser, sich einzumischen. Sonst wäre man praktisch ein Handlanger der israelischen Besatzer, und das könnte sich kein Palästinenser erlauben. Daher glaube ich, die Palästinenser und die Israelis sind nicht nur deswegen gescheitert, weil die Palästinenser Terroristen haben. Ich bin der Meinung, dass Israel auch mit terroristischen Methoden in den palästinensischen Gebieten arbeitet. Es gibt viele Siedler und auch Offiziere der israelischen Armee, die auch mit Terror in den palästinensischen Gebieten arbeiten. Aber Gott sei Dank gibt es auch Israelis, die gegen diese Maßnahmen protestieren, wie die Piloten, die jetzt deutlicher gezeigt haben, dass sie nicht bereit sind, auf Zivilisten in den Städten zu schießen.

    Durak: Herr Primor, entlassen Sie die palästinensische Führung so einfach aus der Verantwortung?

    Primor: Unmöglich. Wenn sie regieren wollen, wenn sie eine Regierung sein wollen, wenn sie einen Staat haben wollen, wenn sie unabhängig sein wollen, dann müssen sie zunächst einmal in ihrem eigenen Land herrschen. Das geht gar nicht anders. Es gibt keine Regierung auf der ganzen Welt, die unabhängige bewaffnete Gruppe auf dem eigenen Boden tolerieren kann. Das gibt es nicht.

    Franghi: Das möchten wir, aber sie lassen uns nicht, Herr Primor.

    Primor: Aber Herr Franghi, selbst als wir noch unter dem Regime der Oslo-Verträge gelebt haben, gab es immer Terroranschläge, auch bevor die israelische Armee erneut die palästinensischen Gebiete erobert hat.

    Franghi: Aber es gab eine Politik dagegen. Wir konnten nicht hundertprozentig diese Schläge unterbinden, und das kann auch Israel nicht mit all der Macht, die Sie haben. Ich meine, wenn man jetzt von Anfang an sagt, die Verantwortung liegt bei den Palästinensern, dann hat man schon versagt oder man will nicht den Frieden mit den Palästinensern machen. Das ist eigentlich die Politik von Scharon. Er will keinen Palästinenserstaat haben, er will den Frieden mit Arafat nicht, und darin liegt eigentlich das Problem der Palästinenser heute.

    Primor: Also Sie haben schon recht, dass er nicht mit Arafat verhandeln will – übrigens nicht nur er, auch die Amerikaner nicht und vielleicht auch schon ein Großteil der Europäer nicht mehr -, aber es gab ja eine palästinensische Regierung unter Mahmud Abbas. Warum konnte man mit der Regierung nicht verhandeln? Weil es die Terroristen eben nicht zugelassen haben.

    Durak: Wir müssen an dieser Stelle leider das Gespräch unterbrechen und wollen es gerne zu anderer Zeit an anderer Stelle weiter fortsetzen. Ich bedanke mich für das Gespräch.
    Abdallah Frangi, Generaldelegierter der PLO in Deutschland
    Abdallah Franghi, Generaldelegierter der PLO in Deutschland (AP)