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Nach dem Brexit
Frankfurt buhlt in London um Banker

Der hessische Wirtschaftsminister Tarek Al-Wazir (Grüne) reist nach London, um nach dem Brexit für den Finanzplatz Frankfurt zu werben. Er möchte die Main-Metropole als wichtigsten Bankenplatz in der EU etablieren. Doch er ist nicht der einzige Bewerber.

Von Stephanie Pieper | 10.08.2016
    Die Luftaufnahme von London zeigt unter anderem die Tower Bridge, den Finanzdistrikt und die Themse.
    Der Finanzdistrikt von London. (picture alliance / dpa / Dominic Lipinski)
    Frankfurt rollt den roten Teppich aus für alle Londoner Banker, die der Brexit verschreckt hat – und die sich eine Heimat in der EU sichern wollen. Der hessische Wirtschaftsminister Tarek Al-Wazir ist aber keineswegs der Einzige, der um diese Klientel buhlt: Auch in Dublin, Luxemburg und Paris versprechen sie, alle Abwanderungswilligen mit offenen Armen zu empfangen. Um die Zukunft der City sorgt sich der neue Londoner Bürgermeister Sadiq Khan:
    "Vom Notenbank-Chef über den Börsen-Chef bis zu den Banken-Chefs gibt es die Sorge, dass wir durch den Brexit den Zugang zum EU-Binnenmarkt verlieren. Wenn das passiert, dann drohen Firmen, London zu verlassen – und dort hinzuziehen, wo sie diesen Zugang haben."
    Das Passporting-Privileg
    Für Bankgeschäfte gilt in der EU das sogenannte Passporting. Diese Spielregel bedeutet, vereinfacht gesagt: Hat eine Bank einen Sitz in Großbritannien, dann kann sie von hier aus in allen EU-Staaten tätig sein. Das nutzen insbesondere die großen US-Geldhäuser, indem sie von London aus Kunden in ganz Europa bedienen. Bis jetzt.
    Doch dieses Passporting-Privileg könnte durch den Brexit wegfallen, fürchtet Anthony Browne, der Boss des britischen Bankenverbandes:
    "Noch ist es zu früh für Prognosen über Job-Verluste, weil niemand weiß, wie der Deal aussieht. Wenn wir denselben Binnenmarkt-Zugang haben wie bisher, warum sollten die Banken dann Leute abziehen? Wenn aber im schlimmsten Fall der Zugang komplett futsch ist, dann werden Banken umsiedeln."
    Die City möchte gern auch künftig Talente aus der ganzen EU problemlos rekrutieren; viele Brexit-Befürworter aber wollen diese Arbeitnehmerfreizügigkeit einschränken oder gar abschaffen. Dass ihm ein schwieriger Balanceakt bevorsteht, weiß deshalb auch der neue britische Finanzminister Philip Hammond:
    "Wir müssen in unseren Verhandlungen mit der EU klarmachen, dass es für uns Priorität hat, das Bestmögliche für unsere Finanzindustrie zu erreichen."
    Der Brexit lässt die City zittern
    Hammond will den Exodus der Branche verhindern, macht sie doch etwa zehn Prozent der britischen Volkswirtschaft aus und füllt die Staatskasse. Hessen dagegen ist interessiert: erstens an der Abwicklung von Euro-Derivate-Geschäften, dem sogenannten Euro-Clearing; zweitens an einem Umzug der Europäischen Bankenaufsicht von London nach Frankfurt; und drittens am Sitz der geplanten deutsch-britischen Mega-Börse – bislang ist London dafür vorgesehen.
    Der Brexit lässt die City zweifelsohne zittern, gibt die öffentliche Verwaltung des Finanzviertels zu, aber Vorstand Marc Boleat will auch nicht schwarzmalen:
    "London hat sich schon immer angepasst und wird das auch künftig schaffen, wenn wir mehr Gewissheit haben. Es ist übrigens auch teuer, Bankgeschäfte zu verlagern – und andere Finanzplätze sind nicht so attraktiv wie London."
    Was für die britische Hauptstadt spricht
    Brexit hin oder her, etliches spricht weiter für die britische Hauptstadt: die englische Sprache, das hiesige Rechtssystem, das angelsächsische Wirtschaftsverständnis, die hier angesiedelten Konzerne, exzellente Schulen und Universitäten, Flugverbindungen in alle Welt, Immobilien in Top-Lagen, herausragendes Kultur-Angebot sowie Shopping-Meilen vom Feinsten. Hessens Wirtschaftsminister Al-Wazir muss sich also anstrengen.