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Nach dem Ende des INF-Vertrages
Russlands Angst vor einem Krieg

Kaputte Städte, zerstörte Wälder, verendende Tiere – in einem Moskauer Museum können Besucher den atomaren Ernstfall durchspielen. Ein Szenario, das vielen Russinnen und Russen immer mehr Sorgen macht. Denn die Spannungen mit dem Westen nehmen zu.

Von Christina Nagel | 07.03.2019
Eine moderne strategische russische Atomrakete vom Typ Topol-M fährt am 09.05.2011 bei der Militärparade zum Tag des Sieges über den Roten Platz.
Eine strategische russische Atomrakete vom Typ Topol-M wird bei der Militärparade zum Tag des Sieges 2011 über den Roten Platz gefahren (picture alliance / dpa / Yuri Kochetkov)
Moskau wurde angegriffen. Mit einer Atombombe. Was nicht dem Erdboden gleich gemacht wurde, ist verstrahlt. Für die Überlebenden hier im Bunker 42 heißt das, sich bereit zu machen für den entscheidenden Befehl: den Gegenschlag.
Es ist still geworden in dem schmalen Durchgangsschacht, der nur noch von rotblinkenden Warnleuchten erhellt wird. In den Gesichtern der Besucher, die immer nur kurz zu sehen sind, ist Betroffenheit abzulesen. Niemand scherzt mehr, manche halten sich an den Händen.
Die Bilder, die man eben noch gesehen hat, als Besucher am Original-Gefechtsstand den Abschuss einer Atomrakete simuliert haben – der sich ausbreitende Atompilz, Häuser und Wälder, die regelrecht weggeblasen werden, verwüstete Städte, verendende Tiere – sie wirken nun nach. Und das, sagt einer der Tourguides, sollen sie auch:
"Das einzige Ziel dieser Demonstration ist es, daran zu erinnern, wie schrecklich, wie gefährlich die Nutzung von Atomwaffen ist."
Das Museum will warnen und mahnen
Dass dieses Thema wieder aktuell ist, dass über einen neuen Kalten Krieg, über Aufrüstung diskutiert wird, treibt die Museumsmacher um. Längst geht es um mehr als nur um eine unterhaltsame Geschichtsstunde 60 Meter unter der Erde. In einem Bunker, der auf ausgeklügelte Weise an das Metronetz der Stadt angebunden ist und der lange höchster Geheimhaltung unterlag. Die Führungen, der Film, der hier gezeigt wird, sind heute Warnung und Mahnung zugleich:
"Der Begriff 'Neuer Kalter Krieg' ist charakteristisch für unsere internationalen Beziehungen. Das Thema Krieg kommt wieder auf. Wir befinden uns unten im Bunker und oben hat die Welt wieder Angst vor einem atomaren Konflikt. Ich denke da an die letzten Ereignisse, die mit Indien und Pakistan zu tun haben."
Regisseurin Eva Belowa denkt aber auch an die Aussetzung des INF-Vertrages. Der so viele Jahre als zentraler Abrüstungsvertrag und als Sicherheitsgarant für Europa galt.
Und damit ist sie nicht allein. Wenn es um die Frage geht, was die Russen mit Blick auf die aktuelle politische Weltlage am meisten fürchten, dann steht ein Atomkrieg bei Umfragen ganz oben mit auf der Liste. Weit vor Natur- und Klimakatastrophen oder Epidemien.
Viele Russen sehen schon den Dritten Weltkrieg
Das Thema Krieg, sagt der Direktor des unabhängigen Meinungsforschungsinstituts Lewada, Lew Gudkow, gehöre mit zu den der wichtigsten Themen, die die Menschen bewegten.
"Die Angst vor einem Krieg ist sehr stark. Sie ist bei über der Hälfte der Bevölkerung vorhanden. Bei unseren Gruppen-Umfragen erklärten viele, dass wir uns bereits im Dritten Weltkrieg befänden, allerdings erst in einer kalten Phase, einer Phase des Informationskrieges. Die Angst sitzt sehr tief im Unterbewusstsein der Menschen. Das ist für ein Land, das so ein großes Trauma wie den Zweiten Weltkrieg erlebt hat, auch verständlich."
Bei allem Stolz, dass man in der Welt wieder eine Rolle spielt, dass kaum ein Konflikt ohne Russland gelöst werden kann – die alten Zeiten möchte hier unten im Bunker niemand zurück:
"Hoffen wir, dass alle vernünftig bleiben und die Geschichte einer atomaren Konfrontation als Geschichtsobjekt hier unten bleibt, im Bunker 42."
Als Anschauungsmaterial, als echte Abschreckung.