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Nach dem Machtwechsel

Manila vor einer Woche...Präsident Joseph Estrada wird gestürzt, sein Amt übernimmt Gloria Macapagal-Arroyo, die bisherige Vizepräsidentin der Philippinen.

Moritz Kleine-Brockhoff |
    Zehntausende, vielleicht Hundertausende jubelten ihr zu, mit fester Stimme leistete sie den Amtseid. Neben ihr stand Manilas Erzbischof Kardinal Sin, der zeigte, dass Macapagal-Arroyo den Segen der katholischen Kirche hat. Hilario Davide, der oberste Richter der Philippinen, nahm den Eid ab. Das sollte zeigen, dass die Amtsübernahme legitim sei.

    Die Demonstration war nötig, denn President Joseph Estrada war nicht zurückgetreten, er saß im Präsidentenpalast und schaute im Fernsehen zu. Bis heute gibt es keine Rücktrittserklärung von ihm. Aber das oberste Gericht hatte entschieden, dass Estrada regierungsunfähig sei. Die Vizepräsidentin müsse übernehmen. "Salus populi est suprema lex", der Wille des Volkes sei oberstes Gesetzt. Das Volk habe gesiegt, eine friedliche Revolution, sagen die Organisatoren der Sturzes, `Herzlichen Glückwunsch´, heisst es aus dem Ausland.

    Eine Woche später diskutiert man hier in Manila. War der Sturz Estradas ein Sieg der Demokratie? Oder hat er sie beschädigt?

    Der Wille des Volkes. Das Volk, das waren in der vergangenen Woche diejenigen, die auf der Strasse waren. Wahrscheinlich Hundertausende - in einem Land mit 75 Millionen Einwohnern.

    40 Prozent von ihnen hatten vor zwei Jahren Estrada gewählt. Der ehemalige Filmstar bekam sechs Millionen Stimmen mehr als der zweitplazierte Kandidat. Seitdem ist viel passiert. Nach Korruptionsvorwürfen hat Erap, wie er hier genannt wird, Anhänger verloren. Aber viele Millionen unterstützen ihn immer noch und verurteilt ist Estrada auch noch nicht.

    Der Sturz eines demokratisch gewählten Präsidenten - ein Triumph der Demokratie?

    Ja, glaubt Professor Randy David von der University of the Philippines. Das Volk habe sich gegen eine korrupte Regierung gewandt und die Macht ergriffen, sagt David. Er ist einer der angesehensten politischen Kommentatoren im Land, Universitätsprofessor, und er war in den vergangen Wochen im Hintergrund einer der Denker und Lenker der vereinigten Opposition gegen Estrada.

    Randy David: "Es geht nicht nur um nur einen Präsidenten, der Geld von illegalen Glückspiel-Syndikaten angenommen hat. Schon gar nicht geht es darum, Gloria Macapagal-Arroyo zur Präsidentin zu machen, sie ist gar nicht so populär. Es geht um eine junge Generation, die nicht bereit war, von einem Präsidenten geleitet zu werden, der dumm, inkompetent und korrupt ist. Wir glauben, dass wir ein modernes Land sind. Diese Bewegung will unsere politischen Institutionen modernisieren, wir wollen weg von einem Präsidialsystem, hin zu einem System, in dem Parteien und Programme wichtiger sind als Personen, Beziehungen und Geld für Wahlkämpfe."

    David räumt ein, dass man für diese Ziele vor einer Woche die Legalität verlassen habe.

    Randy David: "Wenn man mit dem erklärten Ziel, den gewählten Präsidenten zu stürzen auf die Strasse geht, wenn man das Militär dazu aufruft, sich gegen den Oberbefehlshaber zu wenden, natürlich ist das illegal. Es war gewaltfrei, aber das macht es nicht legal. Das war uns klar, aber es war notwendig. Was sollte Estrada machen? Eine Millionen Menschen verhaften lassen?"

    Illegal, aber der Wille des Volkes, also demokratisch, meint David.

    Estradas Anhänger wurden nicht mehr gefragt, viele von ihnen sind enttäuscht und wütend. Die Armen hatten ihn gewählt, weil er versprochen hatte, ihnen zu helfen. Fast 70 Prozent der Menschen in den Philippinen leben unterhalb der Armutsgrenze. Die sogenannte friedliche Revolution sei ein Klassenkampf gewesen, sagt Roland Cabigas von Kasambayan, einer Pro-Estrada Gruppe, die den Präsident monatelang unterstützt hatte. Die Machtübernahme hält er für skandalös.

    Roland Cabigas: "70.000 Menschen, hauptsächlich Einwohner Metro-Manilas, aus der bourgeoisen Mittelklasse haben den demokratisch gewählten Präsidenten gestürzt. Sie hatten die Unterstützung von Fidel Ramos und Corazon Aquino, zwei Ex-Präsidenten. Die Unterstützung des Makati Business Club, der exklusiven Organisation der reichen Elite. Und sie hatten die Unterstützung der katholischen Kirche. Zusammen haben Sie genug Leute auf die Beine bekommen um einen wichtigen Sektor unserer Gesellschaft unter Druck zu setzten: das Militär."

    Nach viertägigen Massendemonstrationen hatte das Militär sich gegen Estrada gestellt und so den Ausschlag gegeben.

    Begonnen hatte die friedliche Revolution am Dienstag der vergangenen Woche, am 23. Verhandlungstag im Amtsenthebungsverfahrens gegen Estrada. Korruption, Bestechung, Vetternwirtschaft, Eingreifen in laufende Justizverfahren - die Zeugenaussagen gegen Estrada waren vernichtend.

    Es gebe Bankdokumente, die die Korruptionsvorwürfe bestätigen würden, sagen die Anklagevertreter. Mehr als 120 Millionen Mark habe Estrada auf Geheimkonten versteckt. Die entsprechenden Dokumente wollen sie als Beweismittel einbringen. Aber einige Senatoren, die Estrada nahestehen, sind dagegen. Es wird abgestimmt. Als die Zulassung der Dokumente verhindert ist, geht alles ganz schnell:

    Aqueilino Piementel, Senatspräsident und Leiter des Amtsenthebungsverfahrens tritt zurück. Auch alle Vertreter der Anklage treten zurück, das Verfahren ist geplatzt. Keine zwei Stunden dauerte es, bis der Protest beginnt. Tausende gehen auf die Strasse und forderten Estradas Rücktritt. Am nächsten Tag sind es Zehntausende. Sie wollen solange demonstrieren bis Estrada zurückgetreten ist.

    Manilas Erzbischof Kardinal Sin ist an der Spitze der Bewegung. Estrada gibt zu, sieben uneheliche Kinder von fünf verschiedenen Geliebten zu haben. Eraps Mätressen wohnen in Villen, die Millionen kosten. Die Kirche war schon bei seiner Wahl vor zwei Jahren gegen Estrada, der Korruptionsskandal kam Kardinal Sin gelegen. Der Erzbischof hält radikale Reden, er verurteilt die 11 Senatoren, die die Bankdokumente nicht zulassen wollen.

    Kardinal Jaime Sin, Erzbischof von Manila: "Wir sind wütend auf die schändlichen Elf, die beschlossen haben, die Wahrheit zu verbergen. Gott schläft nicht. Gott wird richten. Gott wir all die bestrafen, die verhindern, dass die Wahrheit ans Licht kommt. Die Wahrheit ist Opfer von unmoralischen Menschen geworden, die ununterbrochen lügen. In unserem Herzen wissen wir, dass der Präsident schuldig ist."

    Sins Worte sind Teil seiner Predigt während eines Gottesdienstes vor einhunderttausend Menschen. Er schließt mit dem Ruf: "Herr President, ihre Zeit ist vorbei, treten Sie zurück!"

    Vier Tage lang wird ununterbrochen demonstriert. Auch Estrada-Unterstützer bringen noch einmal Zehntausende auf die Strasse. Aber es ist zu spät, erst tritt der Verteidigungsminister zurück, später fast das gesamte Kabinett. Als Militär und Polizei sich von Estrada abwenden und sich den Demonstranten anschließen, ist der Machtkampf entschieden.

    Estrada will es nicht wahrhaben, schlägt Neuwahlen vor. Die Opposition lehnt ab, Estrada hat nichts mehr zu bieten. Als Zehntausende auf den Präsidentenpalast marschieren, verlässt er seinen Amtssitz durch die Hintertür. Allerdings ohne offiziell zurückgetreten zu sein. Vizepräsidentin Macapagal-Arroyo hatte nicht gewartet, den Amtseid bereits geleistet.

    Gloria Macapagal-Arroyo, zierliche ein Meter 53 klein, Tochter eines früheren Präsidenten, promovierte Wirtschaftswissenschaftlerin. Während des Studiums in den USA war sie Klassenkameradin von Bill Clinton. Macapagal-Arroyo erbt dreieinhalb Jahre Restamtszeit von Estrada, dann kann sie noch einmal für sechs Jahre kandidieren. Zwei Schwerpunkte hat ihr Regierungsprogramm.

    Gloria Macapagal Arroyo: "Wir wollen die moralischen Standards in der Regierung erhöhen."

    Das dürfte nach Estrada nicht schwer sein, glauben die Kommentatoren.

    Gloria Macapagal Arroyo: "Wie wollen den Kampf gegen die Armut in dieser Dekade gewinnen."

    Das haben schon viele philippinische Präsidenten versprochen, geschafft hat es keiner. Macapagal Arroyo hat eine schwierige Ausgangslage ist, die monatelange Estrada-Krise hat die Wirtschaft der Philippinen stark mitgenommen. Börsenkurse und Landeswährung gaben um zirka 30 Prozent nach, die Investitionen gingen um 60 Prozent zurück. Die Staatskasse ist leer, das Haushaltsdefizit beträgt vier Milliarden Mark, ein Rekord. Aber es gibt Hoffnung. Am ersten Arbeitstag der neuen Präsidentin stiegen die Aktienkurse um mehr als 17 Prozent.

    Der Makati Business Club: getönte Fenster, dunkle Holzverkleidungen, bei jedem Schritt versinkt der Schuh im flauschigen Teppich. Hier ist das Geld der Elite, das die Demonstrationen gegen Estrada mitfinanzierte. Exekutiv-Direktor Guillermo Luz ist zufrieden mit dem Machtwechsel:

    Guillermo Luz: "Wir sind das größte Hindernis auf dem weg zu Wachstum losgeworden. Jetzt haben wir eine Chance, unter Estrada war das anders. Er hatte mit seinen Freunden alle wichtigen Wirtschafts-Sektoren vereinnahmt. Die neue Regierung muss einen ganz neuen Stil einführen. Wir brauchen Transparenz und klare Aufgabenverteilungen, wir müssen wissen, wer verantwortlich ist. Wir brauchen eine Regierung, die härter arbeitet und die mit verschiedenen Gruppen kommuniziert. Die Estrada-Regierung hat mit niemanden gesprochen, der President und seine Freunde haben ihr eigenes Süppchen gekocht, so leitet man keine Wirtschaft. Jetzt haben wir die Chance, das zu korrigieren und Vertrauen und Wachstum zurückzugewinnen."

    Kommunikation...das heisst wohl, dass der Makati Business Club mitreden will, wenn Entscheidungen getroffen werden. Ein weiteres Problem für Macapagal-Arroyo: All die, die geholfen haben bei Estradas Sturz, sie halten jetzt die Hand auf. Es war ein breites Bündnis: Gruppen der politischen Linken, Hunderte NGOs, also Nichtregierungsorganisationen, die Kirche, das Militär, die Wirtschaft. Jetzt, wo das gemeinsame Ziel erreicht ist, kommen die Eigeninteressen und die neue Präsidentin muss es allen recht machen.

    Das bunte neue Kabinett reflektiert das. Pensionierte Generäle, die Fidel Ramos nahe stehen, Senatoren und Anklagevertreter, die im Amtsenthebungsverfahren gegen Estrada gearbeitet hatten, Prominenz aus der NGO Szene - jeder hat ein Stück vom Kuchen, ein Ministeramt, bekommen.

    Dinky Soliman ist jetzt Ministerin für soziale Wohlfahrt und Entwicklung. Sie war eine der Gründerinnen des größten Anti-Estrada Verbandes. Politisch links, 30 Jahre Sozialarbeit, sie hat gegen die Gesetze demonstriert, die Macapagal-Arroyo in den 90er Jahren als Senatorin durchsetzte. Die neue Präsidentin sagte damals Ja zum Handelsabkommen GATT und sie ebnete den Weg zum Beitritt der Philippinen in die Welthandelsorganisation. Das Kleingedruckte, das die philippinischen Bauern und Fischer vor Importen schützen sollte, wurde schnell vergessen. Als neo-liberal wird Macapagal-Arroyo bezeichnet. Kann die Sozialarbeiterin Dinky Soliman jetzt in ihrem Kabinett zurechtkommen?

    Dinky Soliman: "Wir können und sollten zusammenarbeiten. Wir haben Estrada gemeinsam gestürzt und jetzt muss es voran gehen. Wir haben Gemeinsamkeiten, zum Beispiel wollen wir alle gegen Korruption kämpfen. Schwieriger wird es werden, wenn es um Handelsabkommen geht. Macapagal-Arroyo und der Business Club wollen freien Handel, aber gerade deshalb sitzen wir mit am Tisch und werden auf soziale Implikationen hinweisen."

    Dinky Soliman weiss, dass Macapagal-Arroyo es schwer haben wird. Die Ziele der neuen Präsidentin sind gewaltig. Kampf gegen Korruption und Armut. Beides hat eine lange Tradition auf den Philippinen. Schmiergelder jeder Art sind genauso normal wie der Anblick der Kinder, die an jeder Ampel betteln.

    Ein erstes Zeichen hat Macapagal-Arroyo gesetzt: Geschäfte von Regierungsbehörden mit ihrer Familie hat sie untersagt. Estrada soll vor ein Zivilgericht gestellt werden, das Ermittlungsverfahren läuft.

    Professor David glaubt, dass die neue Regierung mit Estradas Sturz und mit seiner Strafverfolgung viel bewirken könne. Endlich werde ein Bewusstsein dafür geschaffen, dass Korruption nicht akzeptabel sei. Aber David weiss nicht, ob es Macapagal-Arroyo gelingen werde, auch ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass die Armut im Land nicht hinnehmbar sei.

    Randy David: "Die Armut ist das skandalöseste Problem unserer Gesellschaft. Millionen Kinder, die auf der Strasse um eine Mahlzeit betteln, Familien, die unter Brücken wohnen. Keine Regierung sollte ruhig schlafen können, solange es hier Menschen gibt, die wie Tiere leben müssen, ohne Würde. Ich weiss nicht, ob Frau Arroyo die ehrliche Leidenschaft hat, das Problem der Armut in unserem Land zu lösen."