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Nach dem Massaker von Pittsburgh
Das jüdische Leben in Philadelphia hat sich verändert

Das Attentat auf eine Synagoge in Pittsburgh hat auch das Leben der Juden in Philadelphia verändert - einschüchtern lassen wollen sie sich aber nicht. Für US-Präsident Donald Trump haben sie eine deutliche Botschaft.

Von Jasper Barenberg | 03.11.2018
    Amy Krulig im Büro des jüdischen Gemeindezentrums
    Amy Krulig hält im Kaiserman Jewish Community Center die Fäden in der Hand (Deutschlandradio / Nils Heider)
    Herbstlich gefärbte Bäume umgeben das Kaiserman Jewish Community Center in Wynnewood, ein paar Kilometer außerhalb des Stadtzentrums. Die amerikanische Flagge vor dem Gemeindezentrum weht auf Halbmast. Daneben toben Kinder auf dem Spielplatz. Eine Betreuerin behält die Jungen und Mädchen im Auge – außerdem zwei bewaffnete Männer in Uniform.
    Drinnen hat Amy Krulik alle Hände voll zu tun. Ein Sicherheits-Briefing mit der Polizei von Philadelphia hat sie gerade hinter sich, später erwartet ihr Team 200 Frauen zu einem Bingo-Abend. Die Welt hat sich verändert, sagt sie. Vielleicht sei sie doch nicht ein so freundlicher und vertrauenswürdiger Ort, wie gedacht.
    Erinnerungen an Terroranschläge von 2001
    Den Mitgliedern ein Zuhause außerhalb der eigenen vier Wände zu schaffen. Das hält Amy Krulik für ihre wichtigste Aufgabe. Eltern bringen ihre Vorschulkinder hierher. Es gibt eine Sporthalle, einen Pool, ein Sommer-Camp. Man kann im JCC Ernährungskurse belegen oder die Thora studieren. Letzten Samstag haben sich die Nachrichten aus Pittsburgh über die Fernseher im Fitness-Zentrum in Windeseile im ganzen Gebäude herumgesprochen.
    Amy fühlte sich sofort an die Terroranschläge 2001 erinnert. An das Gefühl, erst langsam zu begreifen, was geschehen ist. Ins Gemeindezentrum kommen die Mitglieder trotzdem weiter.
    "Sie sagen mir: Dem JCC den Rücken zu kehren, das hieße, sie gewinnen lassen, wer immer 'sie' auch sein mögen. Das ist wie eine Linie in den Sand zu ziehen, den Fuß drauf zu stellen und zu sagen: Bis hier hin und nicht weiter! Ich werden nicht aufgeben, was für mich wichtig ist und für meine Gemeinde! Wir werden uns nicht einschüchtern lassen, nicht aus Angst nicht mehr hierher kommen!"
    Große Anteilnahme und Solidarität
    Ein paar Kilometer entfernt leitet Deborah Waxmann ein Rabbiner-Seminar und die liberale Bewegung "Reconstructing Judaism". Gleich nach dem Anschlag setzt sie sich ins Auto und fährt 500 Kilometer nach Pittsburgh, um dort an der Mahnwache für die Opfer teilzunehmen.
    Das Gebäude des Seminars
    Das Rabbiner-Seminar der Bewegung Reconstructing Judaism (Deutschlandradio / Nils Heider)
    Dass eine wildfremde Frau sie an ihrer Kipa als Jüdin erkennt, anhält, und ihr ihr Beileid ausspricht – für Deborah Waxman ist es nur ein Beispiel von vielen für die große Anteilnahme und Solidarität seit dem Massaker – vor allem von Seiten anderer Glaubensrichtungen, Christen wie Muslime. Das stimmt die Rabbinerin hoffnungsvoll.
    An die Adresse von Donald Trump im Weißen Haus in Washington aber hat sie eine ganz andere Botschaft. Und die lautet: Worte zählen. Worte formen Wirklichkeit. Worte sind mächtig.
    Verantwortungslos mit der Macht der Worte umzugehen – das ist der Vorwurf von Deborah Waxman an den Präsidenten. Und ihre Hoffnung, wenige Tage vor den Kongresswahlen: Dass die Amerikaner am nächsten Dienstag ihren Stimmzettel nutzen, um "Hatespeech" und Extremismus zurückzuweisen.
    Deborah Waxman in ihrem Büro
    Worte zählen, sagt Rabbinerin Deborah Waxman an die Adresse von Donald Trump (Deutschlandradio / Nils Heider)
    So sieht es auch Amy Krulik im jüdischen Gemeindezentrum in Philadelphia. Wer gehört werden möchte und Einfluss nehmen wolle auf den Kurs des Landes, der solle sich am Dienstag auf den Weg machen – und wählen.