Montag, 06. Mai 2024

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Nach dem Referendum in Italien
"Im Januar ein neues Kabinett Renzi"

Der CDU-Europaparlamentarier Elmar Brok rechnet nicht mit Neuwahlen in Italien. Er halte es für möglich, dass Staatspräsident Sergio Mattarella Ministerpräsident Matteo Renzi bitten werde, einen neuen Versuch einer Regierungsbildung zu unternehmen, sagte Brok im DLF. Renzi hat nach dem klaren Nein der Italiener zur Verfassungsreform seinen Rücktritt angekündigt.

Elmar Brok im Gespräch mit Tobias Armbrüster | 05.12.2016
    Der CDU-Europaabgeordnete Elmar Brok
    Der CDU-Europaabgeordnete Elmar Brok (imago / ZUMA Press)
    Renzi habe den Fehler gemacht, das Referendum mit seiner eigenen politischen Zukunft zu verbinden, sagte Brok, der Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses im Europaparlament ist. Daher sei die Abstimmung über die Verfassungsreform zu einer Entscheidung für oder gegen den Ministerpräsidenten geworden, was schädlich sei, weil dann unterschiedliche Motive miteinander vermischt würden.
    Nichtsdestotrotz habe Renzi aber eine klare Mehrheit in der Nationalversammlung. Deshalb wäre es nach Ansicht Broks durchaus möglich, dass Staatspräsident Sergio Mattarella den Ministerpräsidenten bitte, einen neuen Versuch einer Regierungsbildung zu unternehmen. "Ich halte es nicht für ausgeschlossen, dass wir im Januar wieder ein neues Kabinett Renzi bekommen", sagte Brok. Renzi hatte nach Bekanntwerden des Ergebnisses des Referendums angekündigt, heute Nachmittag dem Staatspräsidenten sein Rücktrittsgesuch zu überreichen.
    Dass die Verfassungsreform nun nicht umgesetzt wird, wird laut Brok zu weiteren Regierungskrisen in Italien führen. Es werde neue Diskussionen über die Reformfähigkeit Italiens geben, was die EU insgesamt schwächen werde.
    Erfreut zeigte sich Brok über den Ausgang der Präsidentenwahl in Österreich: Der siegreiche Kandidat Alexander Van der Bellen habe einen bewusst proeuropäischen Wahlkampf geführt, der sich ausgezahlt habe. "Wir Pro-Europäer sollten weniger schüchtern sein", sagte Brok mit Blick auf anti-europäische und populistische Bewegungen in Europa.

    Das Interview in voller Länge:
    Tobias Armbrüster: Elmar Brok von der CDU, Vorsitzender im Auswärtigen Ausschuss im Europäischen Parlament und ein Kenner der europäischen Politik, der europäischen Szene. Schönen guten Morgen, Herr Brok!
    Elmar Brok: Guten Morgen!
    Armbrüster: Herr Brok, lassen Sie uns zunächst mal auf Italien blicken. Das war ein Sieg der Populisten, ein Sieg der EU-Feinde. Hat da gestern in Italien auch Europa verloren?
    Brok: Ich glaube, das Thema ist ja nicht Europa gewesen, sondern eine innere Verfassungsreform, die nichts mit Europa zu tun hat, bei der sich sicherlich große Teile derjenigen, die die Kampagne gemacht haben gegen Europa – und die Schwächung Renzis. Eine mögliche neue Regierungskrise schwächt natürlich die Europäische Union insoweit, als jetzt neue Diskussionen wieder stattfinden könnten wegen der Reformfähigkeit Italiens, die ja notwendig ist, damit im Rahmen des Euro Italien Glaubwürdigkeit und Stabilität ausstrahlen kann.
    "Das wird uns weiter zu diesen Regierungskrisen führen"
    Armbrüster: Aber ist das tatsächlich so schlimm? Ich meine, wir haben uns ja alle in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten immer daran gewöhnt, dass das in Italien vielleicht nicht immer so ganz glatt läuft wie in anderen europäischen Ländern, dass es da ständig mal Regierungs- und auch Richtungswechsel gibt?
    Brok: Ich glaube, dass am Ende des Tages es vielleicht gar nicht mal Neuwahlen gibt. Wenn man die italienische Politik kennt, halte ich es für möglich, dass Renzi seinen Rücktritt erklärt hat, dass dann aber der Staatspräsident ihn bitten wird, doch einen neuen Versuch einer Regierungsbildung zu übernehmen. Er hat eine klare Mehrheit in der Nationalversammlung, sodass ich es für nicht ausgeschlossen halte, dass wir im Januar wieder ein neues Kabinett Renzi zu bekommen, um auf die Art und Weise die Probleme halbwegs in den Griff zu bekommen. Aber die Tatsache, dass das eigentliche Anliegen des Referendums, dass der Senat nicht mehr das Recht hat, eine Regierung zu stürzen, dass das nicht angenommen worden ist, wird uns weiter zu diesen Regierungskrisen führen. Sie müssen sich vorstellen, in Deutschland, der Bundestag und der Bundesrat hätten jeweils das Recht auf Misstrauensvotum. Dann hätten wir die Krisen auch in Deutschland, weil im Bundesrat oft eine Bundesregierung wie auch heute keine Mehrheit hat. Und aus diesem Grunde heraus ist diese fast Jahrhundertreform, Italien handlungsfähig zu machen, nicht zustande gekommen, und das ist außerordentlich bedauerlich.
    Armbrüster: Was sagt uns das denn über die italienischen Verhältnisse, über die Menschen und über die politischen Befindlichkeiten in Italien, wenn die Bürger dort eine solche Änderung, die ja für uns Deutsche absolut Sinn macht, wenn die da so in Bausch und Bogen abgelehnt wird?
    Brok: Das zeigt einmal, dass Renzi den Fehler gemacht hat, als er dieses Thema mit sich selbst verbunden hat und daraus einem großen Erfolge für sich machen wollte. Und dadurch hat er es personalisiert und parteipolitisiert, und dadurch haben viele aus der Opposition, die eigentlich, wie ich aus Gesprächen weiß, positiv für eine solche Verfassungsänderung wären, nein gesagt. Dann sind es natürlich die Freunde des Senats gewesen, die mit Nein gestimmt haben. Selbst solch kluge Leute wie Mario Monti, der frühere Ministerpräsident und Vizepräsident der EU-Kommission, der nun wirklich proeuropäisch ist wie kaum jemand sonst, hat gegen dieses Referendum gestimmt aus Gründen, die nicht unmittelbar mit dem Referendum zu tun haben, sodass es eine Mischung von Motiven gewesen ist, die das möglich gemacht hat, und es zeigt, wie schwierig es ist, solche Dinge, so komplizierte Geschichten, wo ja auch Wahlrecht dranhing und so weiter und so fort, wo ein richtiger Staatsumbau dranhängt, dass dieses dann gescheitert ist, obwohl mich diese Größenordnung von 60 Prozent doch außerordentlich überrascht hat.
    "Es wurde zu einem Referendum für oder gegen Renzi"
    Armbrüster: Und wir können also festhalten heute Morgen, Sie, Herr Brok, sagen, das war ein Fehler von Matteo Renzi, ganz klarer Fehler, dieses Referendum mit seiner eigenen politischen Zukunft zu verbinden.
    Brok: Ja, dadurch wurde es politisiert. Dadurch wurde es zu einem Referendum für oder gegen Renzi. Und das ist bei solchen Fragen immer sehr schädlich, weil dann viele, die noch eine Rechnung auf haben, die enttäuscht sind, dass all diejenigen dann mit Nein stimmen, unabhängig davon, was in der Sache gefragt wird.
    Armbrüster: Herr Brok, ich will noch mal zurückkommen auf die Rolle der Populisten in dieser Kampagne in den vergangenen Wochen und Monaten in Italien. Die haben ja schon dieses Referendum genutzt als Plattform. Sie haben die Verfassungsänderung auch gesehen als einen Eingriff aus Brüssel in die italienische Politik, als einen Weg, wie sich Europa sozusagen einen Weg in die Entscheidungsprozesse in Italien bahnen könnte. Das kann man natürlich kritisieren, da kann man sagen, das macht keinen Sinn, aber haben die Populisten in Italien nicht gezeigt, dass sich mit solchen Äußerungen, mit solchen Kampagnen Stimmen gewinnen lassen, und muss sich da nicht Brüssel heute Morgen einige Fragen stellen?
    Brok: Brüssel ist nicht immer für alles zuständig. Das ist natürlich die – und dieses Referendum hat wirklich nicht unmittelbar mit Brüssel zu tun. Und dass man es dann auf Brüssel wieder reduziert –
    "Es sind auch viele Proeuropäer, die dagegen gestimmt haben"
    Armbrüster: Es wurde damit in Verbindung gebracht.
    Brok: Es wurde von einigen in Verbindung gebracht, aber es sind ja auch viele Proeuropäer, die dagegen gestimmt haben. Deswegen kann man das nicht zu einer Frage "Europa, ja oder nein?" machen. Das ist schädlich für Europa, weil es mangelnde Handlungsfähigkeit der italienischen Regierung in der Zukunft nicht ausschließt. Das ist der entscheidende Punkt dabei, und deswegen ist es negativ. Aber dieses Referendum ist nicht und diese Verfassung ist nicht von Brüssel vorgeschlagen worden. Und deswegen sollte man das nicht da durcheinanderwerfen. Es ist schädlich, es ist nicht gut, dass das passiert ist, und wir müssen sehen, dass in Italien mit Grillo Populisten tätig sind, die völlig anders zu beurteilen sind als Links- oder Rechtspopulisten in anderen europäischen Ländern. Aber wir müssen sehen, dass dies natürlich auch zeigt, dass es notwendig ist, dass Proeuropäer mit aller Kraft ihre proeuropäische Position zum Ausdruck gebracht haben, wie sie das ja in Österreich getan haben.
    "Van der Bellen hat klare Kante gezeigt"
    Armbrüster: Ist da in Österreich jetzt alles wieder gut nach dem Sieg von Alexander Van der Bellen?
    Brok: Nie ist alles immer gut, und da stehen ja auch mal in ein- oder anderthalb Jahren Parlamentswahlen an. Aber für mich ist das, dass hier offensives Nach-vorne-Gehen für Europa zu werben sich auszahlt. Van der Bellen hat einen bewusst klar proeuropäischen Wahlkampf geführt gegen Hofer, und das hat sich ausgezahlt. Das finde ich schon bemerkenswert. Ich glaube, dass man den Populisten nicht mutig genug entgegentritt in vielen Ländern, dass man sagt, na ja, ein bisschen ist ja dran, wir müssen vorsichtig sein, und ein bisschen von denen auch mitnimmt. Van der Bellen hat klare Kante gezeigt, hat einen bewusst proeuropäischen Wahlkampf – das war der zentrale Punkt seines Wahlkampfes, und damit hat er gewonnen. Und darin zeigt sich, dass wir Proeuropäer weniger schüchtern sein sollten, sondern sehr viel bewusster für dieses System der liberalen Demokratien in einem geeinten Europa eintreten sollten, weil man glaubt, wenn man das klar macht, man damit letztlich auch Wahlen gewinnen kann.
    Armbrüster: Sagt hier bei uns im Deutschlandfunk in den "Informationen am Morgen" der CDU-Europapolitiker Elmar Brok, Vorsitzender im Auswärtigen Ausschuss des Europäischen Parlaments. Herr Brok, vielen Dank für Ihre Zeit heute Morgen!
    Brok: Ich danke Ihnen, Herr Armbrüster!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.