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Nach Demos in Köthen und Halle
Haseloff: Instrumentalisierung nicht zulassen

"Der Staat hat klare Kante gezeigt" - so die Bilanz von Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) nach den Demonstrationen in Köthen und Halle, an denen auch Rechtsextreme teilnahmen. Er zeigte Verständnis für die Betroffenheit der Menschen - diese rechtfertige jedoch nicht, sich den "Falschen" anzuschließen, sagte er im Dlf.

Reiner Haseloff im Gespräch mit Silvia Engels | 11.09.2018
    Reiner Haseloff
    Reiner Haseloff, Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt (picture alliance/dpa/Jens Wolf)
    Der Abend ist nach Einschätzung Haseloffs friedlich verlaufen. Da, wo "rote Linien" überschritten worden seien, müsse der Staat mit aller Härte tätig werden. Es seien Anzeigen aufgenommen worden.
    Er sei dankbar, dass die Köthener mit dem Gedenkgottesdienst ein "klares Zeichen" gesetzt hätten, dass man eine Instrumentalisierung des Todes des 22-Jährigen nicht zulassen wolle, sagte der Ministerpräsident. Er sei selbst vor Ort gewesen, um den Menschen zu zeigen, dass man sie nicht alleine lasse.
    Haseloff zeigte Verständnis für die Betroffenheit der Menschen über den Tod des Mannes. In einer Kleinstadt kenne jeder jeden. Die Betroffenheit rechtfertige jedoch nicht, dass man sich "Rattenfängern" anschließe.

    Silvia Engels: Die Umstände, unter denen ein 22Jähriger am Samstagabend in Köthen in Sachsen-Anhalt nach einem Streit an Herzversagen starb, sind noch unklar. Zwei Asylbewerber sitzen wegen des Verdachts der Körperverletzung mit Todesfolge in Untersuchungshaft. Am Sonntag riefen dann Rechtsextremisten einen sogenannten Trauermarsch aus und nutzten die Kundgebung am Ende, um den Nationalsozialismus hochleben zu lassen. Gestern Abend wiederum hatte die AfD in Köthen zu einer weiteren Versammlung aufgerufen.
    Am Telefon mitgehört hat Reiner Haseloff. Er ist der Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, gehört der CDU an. Guten Morgen, Herr Haseloff.
    Reiner Haseloff: Guten Morgen, Frau Engels.
    Engels: Steigen wir da direkt ein. Welche Bilanz ziehen Sie nach dem Abend in Köthen, aber auch dem in Halle?
    Haseloff: Ich bin erst mal dankbar, dass die Köthener von Sonntag an schon sehr, sehr bewusst und auch klare Zeichen setzend gehandelt haben. Es fand gleich am Sonntag ein Gottesdienst statt und es hat sich auch die bürgerliche Gesellschaft parteiübergreifend zusammengefunden, um dafür zu sorgen, dass klar ist, das ist eine friedliche Stadt, und dass man eine Instrumentalisierung der Vorfälle nicht zulassen will.
    Ich war selber gestern ebenfalls um 17 Uhr beim Gedenkgottesdienst, wo wir auch des Verstorbenen gedacht haben, aber auch, für eine friedliche Stadt gebetet haben. Denn es geht ja auch darum, dass wir den Menschen vor Ort klar ein Zeichen geben, dass auf der einen Seite sie nicht alleine gelassen sind, dass der Staat das Gewaltmonopol hat, und dass wir dafür sorgen werden, dass rote Linien nicht überschritten werden dürfen durch wen auch immer – von Extremisten, die sich teilweise bundesweit vernetzt haben und demzufolge diesen Anlass versucht haben zu nutzen, ihn für sich politisch entsprechend zu verwenden. Das werden wir auch in Zukunft nicht zulassen und das hat, denke ich mal, auch geklappt.
    "Der Staat hat klare Kante gezeigt"
    Engels: Dann sind wir in der Situation in Köthen. Bleiben wir noch kurz dabei. Sie sagen, Sie sind dankbar für die Köthener, die sich auch anders gezeigt haben. Nun muss man allerdings auch mal die Zahlen vergleichen. Ihr Innenminister Stahlknecht schätzt ja, dass am Sonntag rund 400 bis 500 Mitglieder der rechtsgerichteten Szene bei dem Marsch dabei waren. Selbst wenn die fast alle von auswärts gekommen sein sollten, bleiben aber offenbar noch 2000 Köthener, die ja mitgingen, denn so groß war der Demonstrationszug, obwohl der Bürgermeister ja aufgerufen hatte, lieber zur Andacht in die Kirche zu kommen, wenn es ihnen um Trauer geht. Wie erklären sie sich das, dass da offenbar doch auch noch so viele Bürger mitlaufen bei solchen eindeutig rechtsextremistisch ausgerichteten Protesten oder sogenannten Trauermärschen?
    Haseloff: Ich würde das vergleichen mit Kandel, wo ja auch die Menschen sehr betroffen waren über den Tod des Opfers. Und hier muss man es auch sehen. Es ist ein Mensch gestorben. In einer 26.000 Einwohner Stadt kennt jeder noch jeden und die Betroffenheit für diesen unschuldigen Menschen, der versucht hat, dort einen Streit zu schlichten, so wie wir das aus den Ermittlungserkenntnissen bisher auch entnehmen können, diese Betroffenheit ist natürlich da. Und wenn man sich kennt, dann ist man betroffen und versucht, sich dem auch Ausdruck zu verschaffen.
    Das rechtfertigt sicherlich nicht, dass man sich möglicherweise den Falschen anschließt, den Rattenfängern, die versuchen, aus solchen Situationen Nektar zu ziehen. Aber man muss auch sehen: Es ist friedlich verlaufen und da, wo die roten Linien überschritten wurden, dort werden wir in aller Härte (die Anzeigen sind ja schon längst geschaltet) auch tätig werden. Der Staat hat klar Kante gezeigt und die Menschen in Köthen haben auch dafür gesorgt, dass sie ein Bild nach außen gegeben haben, was da heißt, wir wollen so was zukünftig nicht zulassen und wir wollen friedlich miteinander leben. Dieser Gottesdienst war dafür auch ein Beleg.
    "Es gibt auch polizeitaktische Einschätzungen"
    Engels: Sie sagen, die Polizei schreitet ein, wenn rote Linien überschritten werden. Damit spielen Sie wahrscheinlich darauf an, dass am Sonntag auf dieser angeblichen Trauerkundgebung in Köthen ganz klar am Ende für den Nationalsozialismus in Sprechchören geworben wurde. Da fragen sich natürlich auch Bürger: Wieso wird so etwas dann von der Polizei beobachtet, aufgenommen, aber nicht aufgelöst?
    Haseloff: Es wird aufgenommen und auch zur Anzeige gebracht und wird auch rechtsstaatlich verfolgt. Wir sind in einem Rechtsstaat, da gibt es klare Prozeduren. Aber es gibt auch polizeitaktische Einschätzungen, wie man in solchen Situationen für den friedlichen weiteren Verlauf sorgt, ohne dass diejenigen, die so etwas machen, entsprechend davon kommen. Wir werden mit aller Härte dort reagieren, aber es ging darum, dass kein Mensch zu Schaden kommt, und das ist gelungen.
    "Aktivierung der Rechtsradikalen lief bundesweit"
    Engels: Köthen hatte ja gestern wieder eine Kundgebung der AfD zu sehen. Wir hören, dass unser Korrespondent sagt, hier war wieder der Schulterschluss zu sehen zwischen AfD und Rechtsextremen. Muss mittlerweile die AfD doch bundesweit beobachtet werden, weil es nicht mehr auseinanderzuhalten ist, die Grenzen so fließend sind?
    Haseloff: Das muss entschieden werden durch die Verfassungsschutzorgane, sowohl auf Bundesebene als auch auf Länderebene. Es ist klar, es gibt dort fließende Strukturen. Man hat ja auch gesehen, dass die Aktivierung der Rechtsradikalen am Sonntag bundesweit, ja sogar über die Grenzen der Bundesrepublik hinaus lief, und das müssen wir zur Kenntnis nehmen. Wir haben es hier mit einem bundesdeutschen, ja mitteleuropäischen Phänomen zu tun, dem wir uns ganz anders stellen müssen, als das noch vor Jahren der Fall war. Wir haben die sozialen Netze; die lassen sofort die Informationen austauschen und Kampagnen, auch Aktionen fahren. Der Staat muss jetzt zeigen, dass er auch da ein Instrument hat, was gegenhält, und ich denke mal, wir haben das in Sachsen-Anhalt geschafft, dass wir durch massiven Ressourceneinsatz für einen friedlichen Verlauf gesorgt haben.
    "Die AfD-Bundesspitze muss sich rechtfertigen"
    Engels: Aber dem entnehme ich, Sie befürworten schon auch eine bundesweite Beobachtung der AfD?
    Haseloff: Das kann sehr differenziert sein. Das ist sicherlich auch von Region zu Region und von Land zu Land unterschiedlich. Man merkt ja auch die sehr, sehr großen Unterschiede zwischen den einzelnen Landesverbänden, wenn sich die Führungskräfte dort artikulieren. Die Bundesspitze muss auf jeden Fall sich rechtfertigen, dahingehend, dass sie so etwas zulässt und demzufolge auch die Konsequenzen zu tragen hat, wenn der Staat hier handeln wird.
    Engels: Herr Haseloff, wir müssen noch auf Halle zu sprechen kommen. Dort wurde ebenfalls gestern demonstriert. Während man in Köthen ja offenbar von Seiten der Polizei vorbereitet war und ziemlich starkes Aufgebot an die Stellen gebracht hatte, war das in Halle offenbar nicht so stark der Fall. Da wurden aus dem Protest heraus verfassungswidrige Symbole gezeigt und Polizisten attackiert. Welche Informationen haben Sie? Welche Bilanz ziehen Sie dort?
    Haseloff: In Halle handelte es sich um die traditionelle Montagsdemonstration, die natürlich vor dem besonderen Anlass auch zahlenmäßig sehr stark aufwuchs und wahrscheinlich auch überregional akquiriert wurde, was die Teilnehmerzahl anbelangt. Dort war Polizeipräsenz sehr stark da, und als wir gesehen haben, dass wir das in Köthen gut in den Griff bekommen und dass wir dort auch entsprechende Kapazitäten noch frei haben, wurde sofort entsprechend die Belegschaft beziehungsweise Polizei umgesetzt nach Halle. Ich war selber in Köthen, ich war anschließend in der Polizeidirektion Ost. Wir haben das alles dort mit begleitet und ich glaube, dass sowohl in Köthen als auch in Halle durch die Polizei gute Arbeit geleistet wurde, vor allen Dingen auch durch die Hilfen, die wir aus anderen Bundesländern seitens der Polizei hatten. Ich danke ausdrücklich allen Bundesländern, die uns unterstützt haben. Hier hat sich der Föderalismus wirklich bestätigt beziehungsweise auch von der besten Seite gezeigt, dass wir uns untereinander unterstützen, wenn es darum geht, dass der Staat sein Machtmonopol durchsetzt.
    "Wir brauchen eine politische Lösung"
    Engels: Herr Haseloff, wir müssen noch auf ein anderes Thema zu sprechen kommen, das heute Früh die Nachrichten beschäftigt. Der Verfassungsschutzpräsident Maaßen hat seinen Bericht vorgelegt, dem Bundesinnenminister und wohl auch dem Kanzleramt. Medien zitieren nun daraus, dass er darin seine früheren Aussagen, die ja die Echtheit eines Videos zu den Geschehnissen in Chemnitz in Zweifel ziehen, relativiert. Nach Medienberichten habe er nur bezweifelt, dass das Video eine Hetzjagd zeige, nicht den Inhalt an sich. Genügt Ihnen das, um ihn weiter für glaubwürdig im Amt zu halten?
    Haseloff: Ich bin nicht der Vorgesetzte von Herrn Maaßen und deswegen ist das auch eine Sache der Bundesregierung. Wir haben auf der Länderebene genug zu tun, um mit all diesen Prozessen, die nicht einfach sind derzeit, fertig zu werden. Deswegen sollte jetzt jeder seine Verantwortung wahrnehmen. Ich kenne auch den Bericht nicht und demzufolge sage ich, die Bundesregierung ist jetzt am Zuge. Die muss das bewerten und muss auch dann die Entscheidungen fällen, wenn sie denn notwendig sind. Wir als Länder werden das Ergebnis auch akzeptieren.
    Auf der anderen Seite brauchen wir die Bundesunterstützung, wenn es darum geht, solche Dinge wie am Sonntag und am Montag in Sachsen-Anhalt zu bewältigen. Das ist uns gut gelungen und dafür bin ich dankbar. Jetzt sollten wir nach vorne sehen. Wir brauchen politische Lösungen für das eigentliche Thema, dass wir auch im Bundestag und im Bundesrat jetzt weiterkommen müssen, wie wir mit solchen Gesamtprozessen umgehen.
    Engels: Sie kennen nicht den Bericht, sagen Sie selbst. Auf der anderen Seite scheint ja Herr Maaßen einzuräumen, dass er vielleicht bei der Bezweiflung der Echtheit des Videos eine missverständliche Wortwahl gewählt habe. Ist das bei einem solch heiklen Thema einem Verfassungsschutzpräsidenten angemessen?
    Haseloff: Ich habe mir grundsätzlich angewöhnt, nur über Dinge etwas zu sagen, von denen ich persönlich weiß, und das ist hier nicht der Fall. Ich kenne die Aktenunterlage nicht. Ich sage nur eins: Ich habe gestern in Köthen mit vielen Menschen gesprochen und die erwarten von der Politik Lösungen. Die Diskussionen, die wir derzeit teilweise führen, sind nicht dazu angetan, das Vertrauen in den Rechtsstaat zu bestärken und zu verstärken. Bei allem Respekt, dass auch solche Prozesse und solche Dinge aufgeklärt werden müssen – wir werden daran gemessen, dass wir die Probleme im Lande lösen, und da haben wir noch viel zu tun.
    Engels: Reiner Haseloff, der Ministerpräsident in Sachsen-Anhalt. Er gehört der CDU an. Vielen Dank für die Zeit heute Morgen.
    Haseloff: Bitte schön! Auf Wiederhören.
    //Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht z