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Nach den Erdbeben in Amatrice
Der Kampf um die Kunst

Dem heiligen Rochus ist ein Bein abgesplittert, ein Jesuskopf in viele Teile zersprungen: Bei den Erdbeben in Umbrien im vergangenen Jahr wurden auch Kunst- und Kulturgüter verschüttet. Mittlerweile wurden viele von ihnen geborgen. Restauratoren bemühen sich nun um die Rettung des kulturellen Gedächtnisses einer ganzen Region.

Von Jan-Christoph Kitzler | 24.08.2017
    Madonna-Statuen, die aus zerstörten Kirchen in Amatrice und Accumoli geborgen wurden, stehen in einer Lagerhalle in Cittaducale (Italien).
    Eines Tages sollen die geborgenen Kunstschätze wieder an den Ort ihrer Entstehung zurück - im Museum verlören sie an Wert. (picture alliance / Alvise Armellini/dpa)
    Die Gegend sieht nicht nach großer Kunst aus. Eine unscheinbare Halle, im Industriegebiet der Stadt Spoleto in Umbrien. Doch wenn Tiziana Biganti eine große Schrankwand aufzieht, dann hängen da auf einmal wertvolle Gemälde.
    Vorne liegen große Steinbrocken, an denen Stücke von Fresken kleben. Sie sehen übel aus, aber sollen eines Tages wieder zusammengesetzt werden. Viele Holzskulpturen kann man sehen: Dem heiligen Rochus ist ein Bein abgesplittert, der heilige Antonius trägt ein Schild um den Hals, damit man weiß, aus welcher Kirche er stammt. Am Boden in einer Ecke liegt gleich mehrmals Jesus auf seinem Holzkreuz.
    Die Kunsthistorikerin Tiziana Biganti ist die Leiterin dieses Depots, in dem Kunst- und Kulturgüter aus Umbrien aufbewahrt, untersucht, geschützt werden. Sie erinnert sich noch genau: Als am 24. August in Amatrice die Erde bebte, waren die Schäden in Umbrien noch nicht allzu groß.
    "Nach dem ersten Beben am 24. August waren hier in der Gegend nur drei Kirchen stark beschädigt. Da sind wir sofort hin. Und als wir dann die Gebäude betreten haben, die noch nicht eingestürzt waren, haben wir soviel an Kunstwerken herausgeholt, wie wir konnten."
    "Das ist wie eine Notaufnahme"
    Doch mit dem nächsten, heftigen Beben am 30. Oktober hat sich alles geändert. Seitdem hatte sie kaum einen freien Tag, seitdem sind viele Kirchen eingestürzt oder stark beschädigt. Biganti hat mit ihren Kollegen, auch mit Hilfe der Polizei und Feuerwehr, gerettet was zu retten war. 5.300 Kunstwerke und Kulturgüter lagern hier inzwischen - aus 99 Kirchen und drei Museen. Viele in schlimmem Zustand. In letzter Zeit gibt es aus den Gebäuden, die noch stehen geblieben sind, nichts mehr zu holen. Jetzt versuchen sie vor allem, die Kunst aus den Trümmern zu bergen:
    "Die Arbeit geht ganz schön auf die Psyche. Unser Job ist es, Kunstwerke zu schützen, dass sie keinen Schaden nehmen. Dafür werde ich bezahlt. Ein Kulturerbe zu erhalten. Und wenn man dann diese Zerstörung sieht, dann geht uns das nahe. Das ist nicht normal. Ich kann keine Trümmer mehr sehen!"
    Auf einem Tisch liegt das, was einmal die Darstellung des Jesuskindes war, aus dem 17. Jahrhundert. Der Kopf aus Wachs ist in viele Teile zersprungen. Die Restauratorin Shirin Afra hat vielleicht zwei Tage, um ihn notdürftig zu flicken:
    "Das ist wie eine Notaufnahme: der Patient kommt an, ich stabilisiere ihn, sehr schnell. Und dann schicke ich ihn zu den Spezialisten, die sich gründlich um ihn kümmern. Die erste Hilfe muss schnell sein und muss den Schaden sofort stoppen. Und dann ist das Ziel ja auch, so viele Kunstwerke wie möglich zu retten."
    Zurück an die Orte der Enstehung
    Das Depot von Spoleto ist nicht einfach nur ein Lager - hier ruht das kulturelle Gedächtnis einer ganzen Region. Umbrien ist reich an Kulturschätzen. Und diesen Reichtum sollen die Menschen hier und auch die Touristen einmal wieder an den Orten erleben können, für die sie gemacht wurden. Dafür will Tiziana Biganti mit ihrem Team kämpfen:
    "Wenn wir all die Kunstwerke, die wir gerettet haben, in ein Museum stecken würden, hätte das keinen Sinn. Sie müssen dorthin, wo sie herkommen, damit der ganze Kontext wiederbelebt werden kann. Ich möchte nicht, dass diese Schätze im Museum eingeschlossen werden. Da hätten sie ihren Wert verloren, denn sie erwecken eine Gemeinschaft zum Leben. Und sorgen nicht für Einnahmen durch Eintrittskarten."
    An einem anderen Tisch schlagen zwei Restauratorinnen gerade ein Bild mit einem opulenten Rahmen in Seidenpapier ein. Wieder haben sie ein Kunstwerk in Sicherheit gebracht. Wie lange all die Schätze hier lagern müssen, kann niemand sagen. Aber so viel ist sicher: eines Tages sollen sie wieder dort, wo sie hingehören, erstrahlen. In altem Glanz.