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Nach den Terroranschlägen
"Wir sind nicht die kleinen Feldherren"

Über den NATO-Bündnisfall und einen Kampf gegen die Terrorgruppe IS wird nach den Anschlägen von Paris gesprochen. Der SPD-Verteidigungsexperte Rainer Arnold mahnt in dem Zusammenhang zu Zurückhaltung. Eine reine militärische Lösung gebe es in dem Konflikt nicht und Parlamentarier sollten sich vor Augen halten, dass sie keine Feldherren seien.

Rainer Arnold im Gespräch mit Sandra Schulz | 16.11.2015
    Der verteidigungspolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Rainer Arnold.
    Der verteidigungspolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Rainer Arnold. (picture alliance / dpa / Maurizio Gambarini)
    Sandra Schulz: Der französische Präsident Hollande will sich jetzt als entschlossener Krisenmanager zeigen. Seit dem Abend antwortet Paris dem IS in Syrien militärisch.
    "Wir weinen mit Ihnen!" Das war ein Teil der Solidaritätsadresse, die Bundeskanzlerin Angela Merkel am Morgen direkt nach den Attentaten an Frankreich gerichtet hat. Der andere Teil, der ist weit weniger emotional. Da ist die Rede von einer Antwort der Streitkräfte. Die Bundesregierung habe der französischen Regierung jedwede Unterstützung angeboten und werde alles tun, um bei der Jagd auf die Täter zu helfen und gemeinsam den Kampf gegen diese Terroristen zu führen. Eine militärische Antwort auf die Attentate wie gesagt gibt es aus Paris seit dem Abend. Wie genau soll dieser Kampf denn jetzt eigentlich geführt werden und was heißt das für Deutschland? Darüber wollen wir in den kommenden Minuten sprechen. Am Telefon begrüße ich den verteidigungspolitischen Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Rainer Arnold. Guten Morgen.
    Rainer Arnold: Schönen guten Morgen, Frau Schulz.
    "Vor allen Dingen eine ideologische Herausforderung"
    Schulz: Frankreich hat gestern Nacht neue Luftangriffe auf die Hauptstadt des IS in Syrien geflogen. Ist das die richtige Antwort auf den Terror vom Wochenende?
    Arnold: Es ist eine der Antworten. Aber wer glaubt, dass dieses Problem nur militärisch zu lösen ist, irrt sich natürlich. Es ist vor allen Dingen eine große politische Herausforderung, den Diskussionsprozess um Syrien weiterzuführen. Es gibt ja ein paar zarte Pflänzchen der Hoffnung seit der Konferenz in Wien. Und es ist vor allen Dingen auch eine ideologische Herausforderung, wenn man sieht, dass zumindest ein großer Teil der Attentäter selbst aus Europa und aus Frankreich stammen und kommen.
    Schulz: Der französische Präsident Hollande, der will heute seine Strategie erst vorstellen. Gleichzeitig gibt es natürlich schon Einschätzungen darüber, welche Erwartungen es an Deutschland gibt. Wie sehen Sie das?
    Arnold: Ja, ich bin dort eher zurückhaltend, weil man hat auch schon vor den Anschlägen und den fürchterlichen Attentaten in Frankreich ja eine Strategie gehabt. Die Staatengemeinschaft ist weit über die NATO hinaus insgesamt in einer Allianz gegen den Terror. Dazu gehören auch Luftangriffe auf Terroristen. Frankreich hat übrigens auch vor den Anschlägen bereits über tausend Angriffe geflogen und andere Partner noch mehr, und wir Deutschen sind ja auch engagiert. Wir haben unseren Schwerpunkt im Norden des Iraks, indem wir dort die kurdischen Kämpfer der Peschmerga ausrüsten, aber auch ausbilden, und die Kurden sind eine wichtige Säule im Kampf gegen den Terror. Weil wir müssen eines verstehen: Sicherheit im Irak, Sicherheit in Syrien wird man nicht einfach von außen herstellen können. Man braucht dort verlässliche regionale Partner. Und solange die Staatengemeinschaft sich da aber nicht einig ist, wer ist Freund und Feind, die einen kämpfen gegen die Kurden, die anderen unterstützen die Kurden, wenn ich an die Türkei denke, oder die Russen kämpfen gleichzeitig gegen den IS, unterstützen aber auch den Diktator, da passt vieles noch nicht zusammen. Deshalb brauchen wir vor allen Dingen diesen politischen Prozess.
    "Wir müssen klug und arbeitsteilig vorgehen"
    Schulz: Aber wenn die Kanzlerin am Wochenende nach den Anschlägen sagt, es gibt von uns jedwede Unterstützung, und Paris jetzt neue Angriffe auf den IS fliegt in Syrien, mit welchem Argument soll Deutschland sich denn da jetzt noch zurückhalten?
    Arnold: Nachdenken und besonnen sein ist natürlich immer angesagt. Ich denke noch sehr an unsere Entscheidungen bezüglich Afghanistan und ich selbst, aber wahrscheinlich auch andere Parlamentarier haben dort auch unter einem hohen emotionalen Druck diskutiert. Ich habe mir damals vorgenommen, das darf sich bei aller Tragik nicht wiederholen. Wir müssen das tun, was sinnvoll ist. Wir müssen klug arbeitsteilig vorgehen und natürlich wird man in dieser Allianz gegen den Terror darüber reden müssen, was muss zusätzlich geleistet werden, und da wird Deutschland dann auch gefragt, was können wir mehr tun, und darüber werden wir dann reden. Aber jetzt eine Debatte zum Beispiel über den Bündnisfall uns von ein paar Generalen, vielleicht auch von ein paar Medien aufzwingen zu lassen, dies halte ich für nicht angesagt.
    Schulz: Den sehen Sie nicht?
    Arnold: Den sehe ich im Augenblick überhaupt nicht, weil er nichts verändern würde. Wir sind bereits in einer Allianz, die - ich sagte das schon - mehr ist als die NATO. Es ist wichtig, dass die arabische Welt sich im Kampf gegen den IS stärker einbringt, und deshalb reicht es nicht, wenn die NATO alleine glaubt, sie kann dieses Problem überwinden.
    "Es gibt genügend Kampfflugzeuge in der Region"
    Schulz: Ist diese Zurückhaltung, die Sie jetzt zum Ausdruck bringen, Kritik damals an der Entscheidung Schröder, oder aktuell an Angela Merkel?
    Arnold: Nein, es ist keine Kritik an Schröder. Wir haben hier gemeinsam diskutiert und beschlossen. Es ist eine nüchterne Feststellung, dass wir auch unter der Emotion diskutiert haben. 3500 tote Menschen in den Vereinigten Staaten, das steckt man nicht einfach so weg. Und auch jetzt ist es so, dass Frankreich natürlich sehen will und wir das denen auch zeigen müssen, dass wir an ihrer Seite stehen. Das heißt aber nicht, dass wir alles tun. Zum Beispiel die Frage Kampfflugzeuge: Es gibt genügend Kampfflugzeuge in der Region und es gibt Staaten, die das einfacher haben, weil sie dort Stützpunkte haben. Dies hat Deutschland nicht. Ich glaube, wir müssen wirklich unseren Schwerpunkt noch mal genau anschauen: Müssen wir noch mehr tun im Norden des Iraks? Müssen wir möglicherweise auch die irakischen Streitkräfte noch stärker ausstatten? Da haben wir auch begonnen, zumindest nicht tödliche Ausstattung zu liefern. Und es wäre wichtig, dass dieser Grenzbereich zwischen Irak und Syrien unter Kontrolle kommt. Das ist ein Teil des Übels, dass Terroristen über diese Region auch in beiden Richtungen Personal und Nachschub austauschen können.
    Schulz: Aber was will uns die Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen von der CDU dann sagen, die zwar auch zur Besonnenheit mahnt, die aber gestern gesagt hat, es herrsche kein Mangel an Flugzeugen?
    Arnold: Ja, es herrscht dort in der Tat kein Mangel an Flugzeugen.
    "Wir sind nicht die kleinen Feldherren"
    Schulz: Das ist einfach eine Feststellung?
    Arnold: Ja! Es werden Tausende Angriffe geflogen und deshalb halte ich auch nichts davon, wenn sich jetzt einzelne Parlamentarier darauf einlassen. Wir sind nicht die kleinen Feldherren, die wissen, was muss man dort militärisch leisten, sondern wir müssen genau schauen, was macht wirklich Sinn, und am Ende müssen wir uns auch fragen, was ist verantwortbar, und da sind wir, glaube ich, auf einem ganz guten Weg in den letzten Monaten gewesen. Es ist ja gelungen, den IS im Irak zurückzudrängen, nicht nur zu stoppen, sondern seine Fläche wird kleiner. Den Weg muss man weitergehen. In Syrien weiß doch aber jeder, dass es dort keine militärische Lösung geben kann. Es bedarf des politischen Prozesses und da müssen wir alles tun. Dazu gehört nämlich auch, dass Russland eingebunden ist, vielleicht auch die russischen Interessen, dort einen Hafen zu behalten, gewahrt werden, und im Kern geht es auch darum, dass der Konflikt zwischen dem Iran und den Saudis überwunden wird. Das ist eine Wurzel des Übels. Dieser Konflikt führt zu vielen Stellvertreterkriegen. Die muss man überwinden.
    Schulz: Da würde ich mit Ihnen gerne noch über den G20-Gipfel und auch die Entwicklung von gestern Abend sprechen. Da haben der US-Präsident Obama und auch der russische Präsident wohl so etwas wie eine Annäherung, zumindest immerhin mal wieder eine Annäherung erzielt. Wie hoffnungsfroh macht Sie das mit Blick auf Syrien und die ja lange geltende Eiszeit dort?
    Arnold: Dass jetzt ein Prozess der Gespräche begonnen hat, das macht mich ein bisschen hoffnungsvoll, weil Russland natürlich weiß, dieser Terror richtet sich ja auch ganz stark gegen die Russische Föderation, und die Russen natürlich auch sehen, dass das völlig zerfallene Syrien ein Hort der Unruhe ist, der die ganze Welt bedroht. Ich glaube, Obama und Putin müssen sich darauf verständigen, dass die russischen Interessen gewahrt werden, und wir brauchen gleichzeitig aber auch einen Weg, der sichtbar macht, die Gesellschaft in Syrien wird in der Menge der Menschen Assad nicht mehr akzeptieren. Dies in eine Balance zu bringen und hier einen Prozess einzuleiten, wo zumindest mal das Töten als erstes gestoppt wird, ein Waffenstillstand eingeführt wird, ist dringend notwendig. Es gibt keine militärische Lösung. Wir brauchen die lokalen Partner dort.
    Schulz: Der SPD-Verteidigungspolitiker Rainer Arnold heute hier in den "Informationen am Morgen" im Deutschlandfunk. Haben Sie ganz herzlichen Dank.
    Arnold: Ich danke auch.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.