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Nach den Wahlen
Wie die AfD-Stadträte in Berlin blockiert werden

Bei der Wahl der Bezirksverordnetenversammlungen in Berlin hat die AfD in sieben Bezirken so viele Stimmen gewonnen, dass sie Anspruch auf die Besetzung eines der einflussreichsten Stadtratsposten hat. Doch in drei Bezirken lassen Gegner die AfD-Kandidaten nicht durch die nötige Wahl kommen. Dabei gibt es auch Unterstützer aus anderen Parteien.

Von Daniela Siebert | 15.12.2016
    Flyer und Wahlposter der rechtspopulistischen Partei Alternative für Deutschland (AfD) in Berlin, 7.11.2016.
    Flyer und Wahlposter der rechtspopulistischen Partei Alternative für Deutschland (AfD) in Berlin, 7.11.2016. (imago / Zuma Press)
    Nicolas Seifert ist Anfang 40, tritt geschäftsmännisch auf mit Anzug und Krawatte und möchte gerne Stadtrat in Pankow werden. Zuständig für Ordnungs- und Umweltamt. Der Projektmanager und Ex-CDUler ist AfD-Mitglied und einer der bekannteren Lokalpolitiker seiner Partei. Dank ZDF. Denn 2015 riss er vor laufenden Fernsehkameras einem Reporter der satirischen "Heute Show" - Ralf Kabelka – dessen Clownsperücke vom Kopf, als dieser auf einer AfD-Demonstration O-Töne sammelte. Sonst weiß man wenig über Seifert, nur dass es gestern wieder nicht mit seiner Wahl zum Stadtrat klappte. Die Bezirksverordnetenversammlung, kurz BVV, lehnte ihn mit 35 Stimmen ab. Aufgeben will er aber nicht, sagt er:
    "Ich hoffe, dass nachdem jetzt also bald die Informationsdefizite, die Missverständnisse, die angeblich fehlenden Informationen, die rechtliche Aufklärung, das Liefern von irgendwelchen Qualifikationsnachweisen, wenn das jetzt alles in den nächsten drei Wochen passiert, dann werde ich sicherlich im Januar in der vierten Woche dann gewählt werden."
    Die AfD-Fraktion hat acht Sitze in der Pankower BVV und damit Anrecht auf die Besetzung eines Stadtrat-Postens. Aus welcher der anderen Parteien vielleicht weitere der zuletzt zehn Stimmen für Seifert gekommen sein könnten ist fraglich, denn die Abstimmung erfolgt geheim.
    "Also ich bin mir sicher, dass die nicht aus der Zählgemeinschaft kommen. Bei der SPD bin ich mir da ganz sicher, dass das niemand von uns war, damit bleiben nur zwei Parteien übrig, die CDU und die FDP", sagt Roland Schröder Fraktionsvorsitzender der SPD. Er kann sich leidenschaftlich und ausgiebig über den AfD-Kandidaten empören. Nicolas Seifert sei für das Amt nicht geeignet, sagt er, gegen ihn spreche längst nicht nur, dass er weit weg, in Steglitz-Zehlendorf wohne:
    "Er hat nichts mit Pankow zu tun, nichts mit Kommunalpolitik, nichts mit den Fachämtern. Er hat keine Kontinuität im beruflichen Lebenswandel."
    Auch die Videos von Seiferts Angriff auf den ZDF-Reporter findet Schröder beunruhigend:
    "Statt einer Distanzierung haben wir auch noch unmittelbar zu hören gekriegt, dass er vielleicht im Zweifel wieder so handelt."
    "AfD, RassistInnen-Pack, wir haben euch zum Kotzen satt!" - Berliner Antifa-ler in der Bezirksverordnetenversammlung
    Vor dem Deutschlandfunk-Mikrofon wollte Seifert zu diesem Vorgang gestern Abend nichts sagen. Seine Nicht-Wahl ist jedenfalls ganz im Sinne von Lena und Christian aus der Berliner Antifa-Szene. Mit einer Handvoll Mitstreiter machten sie im BVV-Saal Stimmung. Per Sprechchor:
    "AfD, RassistInnen-Pack, wir haben euch zum Kotzen satt!"
    So lautet der Slogan. Der Sitzungsleiter brachte sie allerdings ganz schnell wieder zum Schweigen. Die Gruppe wolle auf keinen Fall, dass Nicolas Seifert Stadtrat wird erklären Christian und Lena später vor dem Sitzungssaal:
    "Er steht so sinnbildlich für die neoliberale Fraktion in der AfD, die das aus Karrieregründen auch tatsächlich machen. Und das wurde heute ganz gut dargestellt, dass er überhaupt keine fachliche Eignung hat, überhaupt keine politische Vorbildung hat, sondern den Politikbetrieb einer Kommune oder eines Bezirks wie ein Wirtschaftsunternehmen begreift."
    Auch in Lichtenberg und Neukölln haben die AfD-Stadtrataspiranten Probleme
    Doch selbst wenn Seifert verzichten würde, werden sie und ihre Mitstreiter weiter protestieren:
    "Wir möchten gar keinen AfD-Stadtrat. Seifert ist ein Clown-Schubser, ist als Nazi nicht wirklich auffällig gewesen. Aber wer in dieser Partei ist, ist halt ein Nazi, und wer diese Inhalte mitträgt darf nicht Politik machen, weil das halt diskriminierende Politik ist."
    Die AfD stehe für Rassismus, Sexismus, Anti-Feminismus und ein untragbares Familienbild so Lena.
    Voraussichtlich werden ihre Freunde daher auch heute Abend in Lichtenberg lautstark protestieren. Dort steht die Wahl eines anderen umstrittenen AfD-lers zum Stadtrat an. Doch dem Hochschuldozenten Wolfgang Hebold werden Islamfeindlichkeit und Volksverhetzung nachgesagt. Die BVV hat sogar die Geschäftsordnung geändert, damit überhaupt ein Bezirksamt etabliert werden kann, wenn Hebold absehbar durch Linke, SPD, CDU und Grüne abermals nicht ins Amt gewählt wird. Auch in Neukölln hat der designierte AfD-Stadtrat Schwierigkeiten, durch die BVV-Wahl zu kommen. Der Berliner AfD-Sprecher Ronald Gläser gibt sich angesichts dieser Probleme gelassen.
    "Alle unsere drei Kandidaten, und das trifft insbesondere für Nicolas Seifert zu, erfüllen die formalen Kriterien, es gibt keinen Grund, die nicht zu wählen. Schuld sind Vorbehalte und Denkverbote wie sie offenbar bei einigen vorherrschen, die Schwierigkeiten haben mit einer neuen Situation so umzugehen."
    Auch Nicolas Seifert scheint seine erneute Niederlage im bereits sechsten Wahlgang sportlich zu nehmen. Ja, er habe schon mal am Ironman teilgenommen, bestätigt er Zeitungsmeldungen. Und ergänzt noch: Er sei da auch ins Ziel gekommen.