Donnerstag, 28. März 2024

Archiv

Nach der Abstimmung
Von der Leyen vor großen Herausforderungen

Es war eine denkbar knappe Mehrheit, mit der Ursula von der Leyen vom Europaparlament zur neuen EU-Kommissionspräsidentin gewählt wurde. Das erschwert wohl auch ihre erste Aufgabe, die Bildung der Kommission, für die die Mitgliedsstaaten nun ihre Kandidaten benennen müssen.

Von Paul Vorreiter | 17.07.2019
Ursula von der Leyen auf einer Pressekonferenz nach ihrer Wahl zur Präsidentin der EU-Kommission
Ursula von der Leyen auf einer Pressekonferenz nach ihrer Wahl zur Präsidentin der EU-Kommission (picture alliance / Photoshot / Zhang Cheng)
Die Erleichterung war Ursula von der Leyen anzusehen, sie schnappte tief nach Luft, als das knappe Ergebnis vorgetragen wurde. 383 Stimmen für die CDU-Politikerin als neue EU-Kommissionspräsidentin, neun mehr als nötig. Kurz nach der Wahl bedankte sie sich bei den Fraktionsvorsitzenden und Unterstützern, streckte die Hand aber auch in Richtung derer aus, die sie nicht gewählt haben:
"I thank all the group leaders, all the members of parliament, who decided to work for me today but my message is to you all, let us work constructively."
Eine konstruktive Arbeit wünscht sich von der Leyen. Die soll auf einem proeuropäischen Fundament fußen. Eine Wahl für sie sei eine für Europa, sagte die CDU-Politikerin. Sie hatte in ihrer Rede zuvor die Arme weit aufgerissen, um eine Mehrheit in der Mitte und in der moderaten Linken zu finden: Mindestlohn, ein unverhandelbares Ja zum Rechtsstaat, Klimaneutralität bis 2050, Initiativrecht für das Parlament.
Nur eine knappe Mehrheit
Und doch: Ihre Angebote verfingen offenbar nicht bei allen Adressaten. Am Ende gaben wohl Stimmen der polnischen PiS-Partei aus rechtskonservativen EKR-Fraktion den Ausschlag. Vertreter von ihr sehen sich selbst als Königsmacher:
Der Europaabgeordnete Tomasz Poreba twitterte, ohne die Stimmen der PiS wäre der Sieg nicht möglich. Ursula von der Leyen dazu, wie sich ihre Stimmen zusammengesetzt haben:
"Ich weiß nicht, wer für mich gestimmt hat, ich weiß nur, es war sehr schwer war, die Mehrheit zu finden, aber ich denke das Wichtigste heute war, meine Überzeugungen vorzustellen, einen proeuropäischen Diskurs anzuschieben."
Die Grünen hatten angekündigt, gegen von der Leyen zu stimmen, zeigten sich aber über den Auftritt der CDU-Politikerin positiv überrascht: Ska Keller fasste gegenüber Phoenix zusammen:
"Haben wir das wirklich nicht erwartet, dass sie eine gute Rede rausholt, sie hat viele gute Worte gesagt, aber wenig Konkretes."
Grüne bieten Zusammenarbeit an
Dennoch ließ Ska Keller auf Twitter wissen, ihre Fraktion sei bereit, mit von der Leyen zusammenzuarbeiten, etwa wenn es um mehr Klimaschutz, Seenotrettung und Rechtsstaatlichkeit geht.
Die 16 deutschen Sozialdemokraten hatten angekündigt, geschlossen gegen von der Leyen zu stimmen. Jens Geier, Chef der Europa-SPD, begründete die Ablehnung erneut mit dem Verweis auf das Spitzenkandidatensystem. Ursula von der Leyen habe sich in keinem europäischen Wahlkampf vorgestellt. Mehr als ein Drittel der S&D-Fraktion habe das ähnlich gesehen und deshalb gegen den Vorschlag des Rates gestimmt. Die Skepsis gegenüber von der Leyen bleibt:
"Wir haben viele Versprechungen gehört, die klingen auch gut in unseren Ohren, aber sie muss auch liefern und die Voraussetzungen dafür sind nicht gut, aber an uns soll es nicht liegen, all den Dingen, die gut geklungen haben, in die Realität zu verhelfen."
AfD-Chef Jörg Meuthen sagte nach der Wahl, dass von der Leyens Mehrheit kein Polster sei, auf dem man sich ausruhen könne. Er hatte als Mitglied der I&D-Fraktion am Vormittag auch dafür plädiert, gegen von der Leyen zu stimmen.
Kommission mus gebildet werden
Für die CDU-Politikerin beginnt nun eine arbeitsreiche Zeit. Sie muss die Mitgliedsstaaten offiziell bitten, Kandidatinnen und Kandidaten für die Kommissare vorzuschlagen. Bereits da wird eines ihrer Versprechen auf die Probe gestellt:
"If member states don’t propose enough female commissioners, I will not hesitate to ask for new names. "
Sollten Mitgliedsländer keine weiblichen Kollegen vorschlagen, will von der Leyen sofort um neue Namen bitten. Von Ende September bis zum 8. Oktober sollen die Nominierten dann von den Parlamentsausschüssen befragt werden. Kurze Zeit später stimmt das Parlament über die Kommission als Ganzes ab, die dann Anfang November ihr Amt antreten soll. Der bisherige EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker zeigte sich über dessen Nachfolgerin jedenfalls schon jetzt erfreut:
"Endlich stehe die erste Frau an der Spitze der EU-Kommission."