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Nach der bayerischen Landtagswahl:

Müller: Nach dem klaren Sieg der CSU gestern in Bayern beraten die Parteigremien heute über die Auswirkungen auf die Bundestagswahl. Die Unionsparteien sehen ein klares Signal für die Kehrtwende; die SPD hingegen bestreitet einen Zusammenhang zwischen München und Bonn. Am Telefon nun CDU-Generalsekretär Peter Hintze. Guten Morgen!

    Hintze: Guten Morgen Herr Müller!

    Müller: Herr Hintze, wie groß war denn der Anteil von Edmund Stoiber an diesem Sieg?

    Hintze: Edmund Stoiber, Theo Weigel und die CSU haben ein ganz prächtiges Ergebnis hier in Bayern herbeigeführt. Das ist eine ganz klare Geschichte, und es ist ein Ausweis für die exzellente Politik, die die CSU in Bayern macht, daß sie auf allerhöchstem Niveau noch zulegen konnte und daß die SPD auf trostlos niedrigem Niveau noch abgebröckelt ist und die GRÜNEN ebenfalls. Aber neben dieser wichtigen bayerischen Komponente hat auch etwas anderes noch eine große Rolle gespielt, nämlich daß die Menschen in Bayern ja die ersten waren, die wählen konnten nach der starken wirtschaftlichen Aufwärtsbewegung, die wir in Deutschland erleben konnten. Es geht aufwärts in Deutschland, die Arbeitsplätze legen wieder zu, der Export legt zu, die Preise sind stabil. Wir haben eine Inflationsrate von 0,8 Prozent. Die Menschen merken, daß sich die Dinge zum Positiven wenden, und das wollen sie nicht durch rot/grün in Frage stellen, und das ist die wichtige Botschaft von Bayern.

    Müller: Aber die CSU hat doch einen klar bayerischen Wahlkampf geführt mit bayerischen Landesthemen?

    Hintze: Das ist ganz typisch für die CSU, daß sie natürlich das bayerische Sonderbewußtsein auch in Wahlkämpfen anspricht. Das ist auch sehr erfolgreich. Aber daneben waren ja viele Bundespolitiker, an der Spitze der Bundeskanzler, zu mächtigen Kundgebungen in Bayern, wo Tausende von Menschen gekommen sind. Unser ganzes Kabinett war in Bayern, ich selbst war in Bayern, Wolfgang Schäuble. Also wir haben hier mit der ganzen Kraft der Union in diesem Wahlkampf gekämpft, denn diese Wahlen waren ja nicht irgendwann, haben mitten zwischen den Zeiten stattgefunden, sondern 14 Tage vor dieser Jahrhundertwahl, vor der Bundestagswahl, und das haben die Wählerinnen und Wähler schon gewußt. Die SPD hat sie auch eingeladen, hat gesagt, wer CSU wählt, wählt Kohl, und das haben die Wähler als Aufforderung verstanden, CSU zu wählen.

    Müller: Sie sagen, Herr Hintze, es gab also auch die bundespolitische Ausstrahlungskraft auf diese bayerischen Landtagswahlen? Warum hat Bundeskanzler Kohl dann darauf verzichtet, mit dem Ministerpräsidenten aufzutreten?

    Hintze: Erst einmal: Wir haben durch diese bayerischen Wahlen einen Schub auf der Zielgerade bekommen. Es war ja immer unser Wahlkampf, darauf angelegt, am 27. September den Zustimmungshöhepunkt zu haben. Die SPD hatte einen Frühstart. Wir haben alles darauf konzentriert, zum Zeitpunkt der Wählerentscheidung auch die höchste Zustimmung zu bekommen, und dafür ist Bayern ein ganz wichtiges letztes Signal vor der Bundestagswahl gewesen. Der Bundeskanzler selbst ist in Bayern massiv aufgetreten zu großen Kundgebungen, und der bayerische Ministerpräsident selber hat ja gestern abend im Fernsehen deutlich gemacht Millionen von Zuschauern konnten es sehen , daß er das auch als eine ganz wichtige und positive Vorentscheidung für die Union, für Bonn und für Helmut Kohl sieht. Das wird auch daran zu erkennen sein, daß die SPD ja versucht hat, mit ihrem Kanzlerkandidaten in Bayern etwas für die Bundestagswahl herbeizuführen. Das ist auch herbeigeführt worden, nämlich sie sind eingebrochen. Ganz einfach!

    Müller: Stoiber hatte sich immer wieder kritisch geäußert zur Bundespolitik in Bonn. Auch gegenüber dem Kanzler hat er Zurückhaltung gezeigt. Das hat ihm offenbar nicht geschadet?

    Hintze: Der bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber hat eine exzellente Politik in Bayern gemacht. Es gehört auch immer zu den Besonderheiten unserer Unionsschwestern in Bayern, daß sie mal den einen oder anderen Punkt etwas anders akzentuieren, aber in der großen politischen Linie hat Edmund Stoiber klar in allen Zusammenkünften, in allen gemeinsamen Beratungen der Parteipräsidien, aber auch in allen öffentlichen Stellungnahmen die Politik des Bundeskanzlers unterstützt. Er hat das auch gestern nachdrücklich gemacht, und insofern ist der Versuch nicht von Ihnen, Herr Müller, sondern der Versuch, den im Moment die politische Linke in ihrer Verzweiflung über dieses SPD/GRÜNEN-Wahldesaster macht, hier eine feinsinnige Unterscheidung zu treffen zwischen Stoiber auf der einen Seite und Kohl auf der anderen Seite, ein Versuch, der der Wirklichkeit 14 Tage vor der Bundestagswahl nicht gerecht wird. Man muß mal sehen, was das für eine Leistung ist, gegen 18 andere Parteien auf einem so hohen Niveau noch zuzulegen. Das ist eine tolle Geschichte, und da gilt natürlich der erste große dicke Glückwunsch der CSU, aber daß das auch eine Unionsentscheidung insgesamt ist, daß es eine neue Entschlossenheit gibt, die Union zu wählen, daß das, was Bayern zeigt, wir auch deutschlandweit in unseren Veranstaltungen spüren, daß die Menschen wieder zur CDU kommen, zuhören, der Kanzler hat Tausende von Menschen jeweils auf seinen Kundgebungen, und daß sie uns ansprechen und sagen, wir werden euch unterstützen und wir werden euch zum Erfolg verhelfen, weil Deutschland darf nicht rot/grün werden.

    Müller: Herr Hintze, Sie sehen also Rückendeckung für Bonn?

    Hintze: Ja, einen starken Schub auf der Zielgerade.

    Müller: Herr Hintze, Bayern hat Auswirkungen für Bonn. Gilt das auch für die FDP?

    Hintze: Die Freien Demokraten haben nun nicht besonders erfolgreich gestern abgeschnitten. Das kann man nicht übersehen. Das Ergebnis ist ja nun wirklich sehr bescheiden. Das liegt nun daran, daß der Wähler und die Wählerin in Bayern bei der starken und erfolgreichen CSU die Freien Demokraten für die bayerische Landespolitik nun nicht im Landtag sehen wollen. Das hat sich bei all den letzten bayerischen Landtagswahlen gezeigt. Insofern ist die FDP dort in bayerischer Kontinuität. Nun stehen wir ja auf der Bundesebene nicht vor einer absoluten Unionsmehrheit. Ich meine, ich will der Wählerzustimmung keine Grenzen setzen, aber das ist ja nun nicht zu erwarten. Das ist in der Geschichte der Bundesrepublik ein einzigesmal eingetreten: 1957. Wir wollen zulegen, wir wollen unsere Position ausbauen, aber es ist nicht zu erwarten, daß wir das alleine schaffen. Ich gehe davon aus, daß die FDP den Sprung über die fünf Prozent auf der Bundesebene sicher wieder schafft.

    Müller: Werden Sie nachhelfen?

    Hintze: Nein. Die FDP muß das aus eigener Kraft schaffen, und sie wird es aus eigener Kraft schaffen. Wir werden die Wählerinnen und Wähler in der Schlußphase darum bitten, die uns zugeneigt sind, ihr ganzes Gewicht auf die Union zu konzentrieren und mit beiden Stimmen CDU und CSU zu wählen, um rot/grün abzuwenden und die erfolgreiche Politik von Helmut Kohl fortzusetzen.

    Müller: CDU-Generalsekretär Peter Hintze war das. Vielen Dank für das Gesprächund auf Wiederhören. Ebenfalls in Bonn hat uns nun Franz Müntefering zugehört, Bundesgeschäftsführer der SPD. Guten Morgen!

    Müntefering: Guten Morgen Herr Müller!

    Müller: Herr Müntefering, Sie haben gestern in der "Bonner Runde" so kurz vor acht gesagt, die CSU verschlechtert sich kontinuierlich seit 30 Jahren und die SPD hat immerhin das Ergebnis gehalten. Im Laufe des Abends hat sich nun das vorläufige amtliche Endergebnis doch etwas umgedreht. Welche Erklärung haben Sie jetzt?

    Müntefering: Ja, gut, zu dem Zeitpunkt konnte man nicht erkennen, wie das endgültige Ergebnis sein würde. Es ist dann wohl so gewesen, daß aus dem Bereich München heraus noch zugeschaltet worden ist und die Ergebnisse später gelaufen sind. Heute muß man feststellen, daß die Landtagswahl für uns in Bayern nicht erfolgreich gelaufen ist, gar keine Frage. Aber Landtagswahl ist Landtagswahl und Bundestagswahl ist Bundestagswahl. Die Bayern-Wahl war gestern, und jetzt geht es auf die letzten 13 Tage hin zur Bundestagswahl. Da sind wir auf der Siegesstraße, mit Gerhard Schröder und gegen Helmut Kohl, und das wird sich auch vor dem Hintergrund des Ergebnisses von gestern nicht ändern.

    Müller: Wie groß ist denn der Einfluß des Bayern-Ergebnisses auf Bonn?

    Müntefering: Das ist eine Landtagswahl gewesen erklärlicherweise, denn die Landesregierung, die Staatsregierung in Bayern ist ja nicht ohne Erfolg gewesen, und die Menschen haben getreu dem bayerischen Motto "mir san mir" gestern für den Freistaat abgestimmt. Aber jetzt geht es um die Bundestagswahl. Das was wir als Ergebnis von gestern sehen können ist: Man darf sich nicht zu früh zurücklehnen. Man muß sich weiter anstrengen. Man muß bei den Menschen um Vertrauen werben. Aber all die Argumente, um die es am 27. 09. geht, sind mit gestern nicht beantwortet. Diese Bundesregierung ist verantwortlich für hohe Arbeitslosigkeit, für die Sorgen der jungen Menschen, für soziale Ungerechtigkeiten im Land, und die Zeit von Helmut Kohl läuft ab. Das ist das Gefühl der großen Mehrheit der Menschen bei uns im Lande.

    Müller: Deswegen haben Sie auch in Bayern plakatiert, CSU gleich Kohl, aber das ist nach hinten losgegangen. Warum?

    Müntefering: Es hat zumindest nicht den Erfolg gehabt, den wir uns davon erhofft haben. Wie gesagt, weil die Bayern auf die Landtagswahl gesetzt haben und sehr wohl auseinandergehalten haben. Herr Stoiber hat ja etwas gemacht, was aus seiner Sicht ganz richtig war. Er hat die Landtagswahl weggeholt von der Bundestagswahl. Er wollte nicht identifiziert werden mit Helmut Kohl und mit den Ergebnissen der Bundestagswahl. Diese Rechnung aus der Sicht der CSU und von Stoiber ist offensichtlich aufgegangen.

    Müller: Die Wähler in Bayern haben auf die Landtagswahlen, auf die spezifischen regionalen Besonderheiten gesetzt. Haben das die Wähler in Niedersachsen und Sachsen-Anhalt nicht?

    Müntefering: Doch. Mit den Wahlen in Niedersachsen und in Sachsen-Anhalt hat sich ja nicht die Bundestagswahl entschieden. Das ist ja gerade das, was wir sagen, was ganz deutlich geworden ist in all den Landtagswahlen: Bundestagswahl ist etwas anderes. Bei den Umfragen zur Bundestagswahl sehen wir, daß die Menschen Gerhard Schröder erkennen als denjenigen, der in diese Zeit paßt, dem sie eher zutrauen, die Zuversicht in die Gestaltbarkeit der Dinge zu haben. Helmut Kohl, das alte Denkmal, wird kleiner, und das ist das, was die Menschen für den 27. 09. mitnehmen.

    Müller: Nun war Gerhard Schröder ja sehr präsent in Bayern im Laufe des Wahlkampfes, aber der Schröder-Effekt ist ausgeblieben?

    Müntefering: Auch Helmut Kohl war präsent. Natürlich kämpfen die Parteien vor Ort, und das, was Gerhard Schröder bei der Landtagswahl in Bayern und in den anderen Ländern, natürlich auch in der Bundesrepublik in diesen Wochen und Monaten säht, das wird am 27. 09. geerntet und nicht früher. Auch in Bayern werden nicht alle, die gestern die CSU unterstützt haben, bei der Bundestagswahl noch auf deren Seite sein, sondern sie wissen sehr wohl, daß neben einer tüchtigen Staatsregierung eine neue, eine frische Bundesregierung kommen sollte, und da ist Gerhard Schröder sehr viel eher als Helmut Kohl der, dem die Menschen das zutrauen, daß er eine neue Politik in Deutschland beginnen kann.

    Müller: Nun haben die Sozialdemokraten ganz stark in Bayern zur Überraschung vieler besonders in den Großstädten verloren. Welche Erklärung haben sie dafür?

    Müntefering: Das ist eine Frage der Wahlbeteiligung. Landtagswahlen haben nicht den Zuspruch im Verständnis der Menschen, nicht die Bedeutung wie eine Bundestagswahl. Bei der Bundestagswahl wird die Wahlbeteiligung zehn Prozent und mehr über dem liegen, was bei der Landtagswahl passiert ist. In Bayern war natürlich im Verständnis der Menschen klar, es bleibt, sei es in Prozentpunkten, sei es in Mandaten, eine Mehrheit der CSU. Insofern war die Spannung bei den Menschen auch nicht besonders groß. Viele, die nicht zur Wahl gegangen sind, werden am 27. 09. dabei sein und dann zur Bundestagswahl ihre Meinung sagen, und die geht gegen die Bonner Regierung, denn Helmut Kohl ist derjenige, der verantwortlich ist für die vier Millionen Arbeitslosen und dafür, daß wir in Sachen Forschung und Technologie zum Beispiel von der Substanz leben in Deutschland und wir dringend einen neuen Schub brauchen.

    Müller: Die Bayern haben das offenbar anders gesehen. Waren Sie aber auf der anderen Seite erleichtert, daß die GRÜNEN den Sprung ins Parlament wieder geschafft haben?

    Müntefering: Nun, das eröffnet eine Perspektive, die wir ja nicht für die schlechteste halten. Wenn die Wählerinnen und Wähler das wollen, dann wird es eine Möglichkeit des Regierungswechsels kompletter Art geben, nämlich die, die jetzt in Bonn regieren, heraus und die Sozialdemokraten zusammen mit den GRÜNEN. Wenn die Wählerinnen und Wähler anders entscheiden, muß man auch die Möglichkeit einer großen Koalition im Blick haben. Das ist eine Frage von ein, zwei Prozentpunkten hin und her, die man heute nicht beurteilen kann. Wir machen jedenfalls auch in den verbleibenden 13 Tagen keinen Bindestrichwahlkampf. Wir werben um Zustimmung für Gerhard Schröder und für die Sozialdemokraten, und je mehr wir bei uns an Stimmen haben, um so deutlicher werden die Sozialdemokraten das Tempo und die Richtung in einer neuen Bundesregierung bestimmen können, und das wird entscheidend sein.

    Müller: Franz Müntefering war das, Bundesgeschäftsführer der SPD. Vielen Dank!