Schwarz-Schilling: Guten Morgen, Herr Müller!
Müller: Wie haben Sie die Nachricht aus Belgrad gestern aufgenommen?
Schwarz-Schilling: Ich war total niedergeschlagen. Ich ermesse, was das bedeutet. Er war ein Lichtblick für Serbien und für all das, was dort geschehen ist. Es war ein mutiger Mann, der für unsere Werte stand, der Menschenrechte kannte, der selber ja schon mehrmals verfolgt worden war und als Oppositioneller den Kampf gegen Milosevic aufgenommen hatte. Er gewann ja dann die Bürgermeisterwahl in Belgrad, auch diese wollte man ihm ja nicht zulassen. Erst internationale Kontrollen haben dann das Wahlergebnis in entsprechender Weise revidiert. Ich habe ihn etwa 1995 oder 1996 in Bonn kennen gelernt. Da hatten wir ein dreistündiges Frühstück im Königshof, und ich erinnere mich noch, wie er mir seine Vision gesagt hat, wie schwer es wird. Er sagte auch, dass es sehr schwer für das serbische Volk ist zu verstehen, dass es seine Vergangenheit aufarbeiten muss und dass ein Unrechtsbewusstsein kaum verbreitet ist. Das war auch für jeden eine ganz schwierige Hypothek, der politisch Milosevic nachfolgt. Es hat die Schwierigkeiten richtig vorausgesagt, ohne dass wir ja wussten, dass er einmal diese Aufgaben übernehmen wird.
Müller: Im Westen war Zoran Djindjic ja nahezu unumstritten. Im eigenen Volk war er ja trotz seiner Wahlerfolge durchaus umstritten. Woran lag das?
Schwarz-Schilling: Das lag daran, dass er Mut hatte. Es ist ja heute bei uns selten geworden, dass Politiker auch dann die Dinge so aussprechen, wie sie den eigenen Erkenntnissen und der Wahrheit entsprechend sind, auch wenn man dabei keine Beifallstürme erntet. Er was so jemand, und deswegen ist und war er im Grunde genommen unersetzlich für eine solche historische Situation. Er hatte großen Mut, die Kriegsverbrecher an Den Haag zu überstellen, insbesondere den fürchterlichen Anführer Milosevic. Dieser Mut hat das ganze Volk und alles andere natürlich weit nach vorn gebracht, ohne dass das Volk realisiert hat, was es an diesem Mann gehabt hat. Das wird wahrscheinlich jetzt erst nachträglich jedem klar werden, wenn wir sehen, wie die Sache weitergeht.
Müller: Sie kennen den Balkan ja sehr gut. Sie kennen die Stimmungen dort sehr gut. Haben Sie Verständnis dafür, wenn einige oder viele Serben auch immer wieder gesagt haben, Djindjic habe Serbien an den Westen verraten?
Schwarz-Schilling: Ich habe dafür keine Verständnis in dem Sinne, dass ich damit übereinstimme. Ich habe Verständnis dafür, dass sich dieses Volk eben auch der wirklichen Entsetzlichkeiten, die dort passiert sind, nicht bewusst ist. Es war ja auch eine absolute Diktatur, eine Mediendiktatur. Die Leute haben ja nichts erfahren. Die lebten in Belgrad und in den einzelnen Städten und wussten gar nicht, was die entsetzlichen Truppen auch in den Nachbarländern und gerade auch in Bosnien-Herzegowina oder auch gegenüber Kroatien angerichtet haben. Das kommt ja nun auch erst jetzt langsam zum Vorschein. Insofern ist auch dieser Prozess in Den Haag so wichtig, denn gerade jetzt werden ja die Dinge offenbar, wie die Geheimstränge von Milosevic zu diesen Truppen gewesen sind, was da für Befehle ergangen waren und wie das aus dem Innenministerium gesteuert war. Es liegt sehr nahe, und es deuten ja jetzt schon einige Anzeichen darauf hin, dass auch dieser Mord etwas mit dieser alten polizeilichen Truppe des Innenministeriums zu tun hat. Das war ja ein professioneller Mord. Das war ja kein Irrläufer oder Verrückter, sondern das war ja ganz professionell geplant und durchgeführt. Das sind die Leute, die schon lange damals im Innenministerium, vom Innenministerium gesteuert waren, die natürlich jetzt mit jedem Tag mehr in Den Haag Angst bekamen, wo die Zeugenaussagen jetzt immer klarer werden und zeigen, wie blutig dieses Regime damals geherrscht hat. Die Leute haben jetzt einfach Angst, dass die Wahrheit ans Licht kommt und die Zeit der Täuschungen vorbei ist.
Müller: Ist Serbien jetzt demokratisch stabil?
Schwarz-Schilling: Nein, von stabil kann man überhaupt nicht reden. Aber es war auf dem Weg zu Demokratie und zu Europa. Die politischen Visionen der Regierung und auch von Djindjic waren auf diesem Wege. Man kann nicht sagen, dass der frühere Präsident Kostunica diesen Weg wirklich mit gegangen ist. Er war damals eine Symbolfigur gegen Milosevic geworden. Aber er war eben alles andere als mutig. Er hat auch stark in der Nomenklatur von früher zähe Verbindungen gehabt, die es ihm nicht gestattet haben, den Bruch so zu vollziehen wie Djindjic. Djindjic hat einen ganz klaren Bruch mit dieser Vergangenheit vollzogen. Insofern war er eine Figur, wie wir sie dann auch im Nachkriegsdeutschland gehabt haben. Da konnte sich auch keiner halten, der behauptete, dass die Nazis ja gar nicht so schlimm gewesen seien. Davon gibt es ja eine ganze Menge dort. Es gibt ja auch Leute, die unbehelligt weiter in ihren Positionen bleiben. Das ist ja auch leider Gottes noch in Bosnien-Herzegowina der Fall. Da wird die Geschichte nur ganz langsam aufgearbeitet. Insofern ist jede Erschütterung dieser Art eine neue Herausforderung für das Land, beim Kurs zu bleiben und diese Erschütterung nicht zu einem Kurswechsel kommen zu lassen.
Müller: Vielen Dank für das Gespräch!
Link: Interview als RealAudio
Müller: Wie haben Sie die Nachricht aus Belgrad gestern aufgenommen?
Schwarz-Schilling: Ich war total niedergeschlagen. Ich ermesse, was das bedeutet. Er war ein Lichtblick für Serbien und für all das, was dort geschehen ist. Es war ein mutiger Mann, der für unsere Werte stand, der Menschenrechte kannte, der selber ja schon mehrmals verfolgt worden war und als Oppositioneller den Kampf gegen Milosevic aufgenommen hatte. Er gewann ja dann die Bürgermeisterwahl in Belgrad, auch diese wollte man ihm ja nicht zulassen. Erst internationale Kontrollen haben dann das Wahlergebnis in entsprechender Weise revidiert. Ich habe ihn etwa 1995 oder 1996 in Bonn kennen gelernt. Da hatten wir ein dreistündiges Frühstück im Königshof, und ich erinnere mich noch, wie er mir seine Vision gesagt hat, wie schwer es wird. Er sagte auch, dass es sehr schwer für das serbische Volk ist zu verstehen, dass es seine Vergangenheit aufarbeiten muss und dass ein Unrechtsbewusstsein kaum verbreitet ist. Das war auch für jeden eine ganz schwierige Hypothek, der politisch Milosevic nachfolgt. Es hat die Schwierigkeiten richtig vorausgesagt, ohne dass wir ja wussten, dass er einmal diese Aufgaben übernehmen wird.
Müller: Im Westen war Zoran Djindjic ja nahezu unumstritten. Im eigenen Volk war er ja trotz seiner Wahlerfolge durchaus umstritten. Woran lag das?
Schwarz-Schilling: Das lag daran, dass er Mut hatte. Es ist ja heute bei uns selten geworden, dass Politiker auch dann die Dinge so aussprechen, wie sie den eigenen Erkenntnissen und der Wahrheit entsprechend sind, auch wenn man dabei keine Beifallstürme erntet. Er was so jemand, und deswegen ist und war er im Grunde genommen unersetzlich für eine solche historische Situation. Er hatte großen Mut, die Kriegsverbrecher an Den Haag zu überstellen, insbesondere den fürchterlichen Anführer Milosevic. Dieser Mut hat das ganze Volk und alles andere natürlich weit nach vorn gebracht, ohne dass das Volk realisiert hat, was es an diesem Mann gehabt hat. Das wird wahrscheinlich jetzt erst nachträglich jedem klar werden, wenn wir sehen, wie die Sache weitergeht.
Müller: Sie kennen den Balkan ja sehr gut. Sie kennen die Stimmungen dort sehr gut. Haben Sie Verständnis dafür, wenn einige oder viele Serben auch immer wieder gesagt haben, Djindjic habe Serbien an den Westen verraten?
Schwarz-Schilling: Ich habe dafür keine Verständnis in dem Sinne, dass ich damit übereinstimme. Ich habe Verständnis dafür, dass sich dieses Volk eben auch der wirklichen Entsetzlichkeiten, die dort passiert sind, nicht bewusst ist. Es war ja auch eine absolute Diktatur, eine Mediendiktatur. Die Leute haben ja nichts erfahren. Die lebten in Belgrad und in den einzelnen Städten und wussten gar nicht, was die entsetzlichen Truppen auch in den Nachbarländern und gerade auch in Bosnien-Herzegowina oder auch gegenüber Kroatien angerichtet haben. Das kommt ja nun auch erst jetzt langsam zum Vorschein. Insofern ist auch dieser Prozess in Den Haag so wichtig, denn gerade jetzt werden ja die Dinge offenbar, wie die Geheimstränge von Milosevic zu diesen Truppen gewesen sind, was da für Befehle ergangen waren und wie das aus dem Innenministerium gesteuert war. Es liegt sehr nahe, und es deuten ja jetzt schon einige Anzeichen darauf hin, dass auch dieser Mord etwas mit dieser alten polizeilichen Truppe des Innenministeriums zu tun hat. Das war ja ein professioneller Mord. Das war ja kein Irrläufer oder Verrückter, sondern das war ja ganz professionell geplant und durchgeführt. Das sind die Leute, die schon lange damals im Innenministerium, vom Innenministerium gesteuert waren, die natürlich jetzt mit jedem Tag mehr in Den Haag Angst bekamen, wo die Zeugenaussagen jetzt immer klarer werden und zeigen, wie blutig dieses Regime damals geherrscht hat. Die Leute haben jetzt einfach Angst, dass die Wahrheit ans Licht kommt und die Zeit der Täuschungen vorbei ist.
Müller: Ist Serbien jetzt demokratisch stabil?
Schwarz-Schilling: Nein, von stabil kann man überhaupt nicht reden. Aber es war auf dem Weg zu Demokratie und zu Europa. Die politischen Visionen der Regierung und auch von Djindjic waren auf diesem Wege. Man kann nicht sagen, dass der frühere Präsident Kostunica diesen Weg wirklich mit gegangen ist. Er war damals eine Symbolfigur gegen Milosevic geworden. Aber er war eben alles andere als mutig. Er hat auch stark in der Nomenklatur von früher zähe Verbindungen gehabt, die es ihm nicht gestattet haben, den Bruch so zu vollziehen wie Djindjic. Djindjic hat einen ganz klaren Bruch mit dieser Vergangenheit vollzogen. Insofern war er eine Figur, wie wir sie dann auch im Nachkriegsdeutschland gehabt haben. Da konnte sich auch keiner halten, der behauptete, dass die Nazis ja gar nicht so schlimm gewesen seien. Davon gibt es ja eine ganze Menge dort. Es gibt ja auch Leute, die unbehelligt weiter in ihren Positionen bleiben. Das ist ja auch leider Gottes noch in Bosnien-Herzegowina der Fall. Da wird die Geschichte nur ganz langsam aufgearbeitet. Insofern ist jede Erschütterung dieser Art eine neue Herausforderung für das Land, beim Kurs zu bleiben und diese Erschütterung nicht zu einem Kurswechsel kommen zu lassen.
Müller: Vielen Dank für das Gespräch!
Link: Interview als RealAudio