Nutz: Der Kanzler hat Bilanz gezogen. Gerhard Schröder nannte es gestern selbst eine ‚Halbzeitbilanz‘. Das ist – genau genommen – geschummelt, denn eigentlich beginnt die 2. Hälfte erst im Herbst - gemessen an der Koalitionsvereinbarung, zum Beispiel am 20. Oktober. Die war damals überschrieben mit ‚Aufbruch und Erneuerung – Deutschlands Weg ins 21. Jahrhundert‘. Zentrale Punkte darin: Die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, Auflösung des Reformstaus bei Rente und Steuern, Einstieg in den Ausstieg aus der Kernenergie, nicht zuletzt Ökosteuer – unter anderem zur Senkung der hohen Lohnnebenkosten. Und diese ‚Halbzeitbilanz‘ kann sich – anders als der Staat damals – sehen lassen. Die Konjunktur läuft, die Steuerreform ist durch und eine halbe Million Menschen weniger ist arbeitslos. Wir wollen eine eigene Bilanz ziehen – vielleicht die einer ein bisschen verkehrten Welt. Inzwischen gehört der Deutsche Gewerkschaftsbund zu einem der hartnäckigsten Kritiker der Schröder-Regierung, und Lob kommt auf der anderen Seite von Arbeitgeberseite. Am Telefon begrüße ich nun zunächst Ursula Engelen-Kefer, stellvertretende DGB-Vorsitzende und zur Zeit über Kreuz mit der Regierung beim Thema ‚Rentenreform‘. Guten Morgen.
Engelen-Kefer: Ja, guten Morgen Frau Nutz.
Nutz: Frau Engelen-Kefer, beginnen wir ein bisschen globaler. Die Gewerkschaften haben ja 1998 vor dem Regierungswechsel eine millionenschwere Werbekampagne gestartet mit der Empfehlung für die Sozialdemokraten. Gibt es Momente, in denen Sie das heute bedauern?
Engelen-Kefer: Nein, ich bedaure das nicht. Dass wir an Einzelteilen der Politik Kritik üben, heißt nicht, dass wir nicht insgesamt die Politik akzeptieren und auch andere Teile für gut befinden. Wir müssen sehen: Wir sind nicht ein verlängerter Arm irgendeiner Partei, sondern wir sind Gewerkschaften. Wir haben uns um die Interessen der Arbeitnehmer und ihrer Familien zu kümmern. Und so wird es immer in dem einen oder anderen Fall Kritik geben, wie jetzt zum Beispiel in der Rentenpolitik. Aber das ändert nichts an der insgesamt guten Bewertung.
Nutz: Die Gewerkschaften haben damals für den Politikwechsel geworben. Ist das ein Wechsel, so wie Sie sich ihn vorgestellt haben?
Engelen-Kefer: Also, es gab ja zwei wichtige Aspekte unserer Kampagne. Der eine Teil war, dass wir uns einsetzen für mehr Arbeit. Da sind wesentliche Voraussetzungen schon in diesen zwei Jahren der neuen Bundesregierung in die Wege gebracht worden. Das zeigt sich ja auch insgesamt in der wirtschaftlichen Entwicklung und in der Entwicklung des Arbeitsmarktes. Für uns ganz entscheidend war, dass energische Schritte begonnen wurden bei der Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit und der Verbesserung der Ausbildungssituation. Da ist nicht alles Gold, was glänzt. Aber zumindest sind die Weichen richtig gestellt. Und entscheidend für uns ist, dass hierbei das Bündnis für Arbeit wieder funktioniert und auch Fortschritte macht. Was allerdings bislang eben problematisch ist, ist der zweite Teil unserer Kampagne: Soziale Gerechtigkeit herzustellen. Da sind Teile gelungen – gerade, wenn ich an die Lohnfortzahlung im Krankheitsfalle denke, an den Kündigungsschutz. Da sind die Weichen wieder richtig gestellt worden. Bei der großen und wichtigen Frage für uns – bei der Rentenpolitik – sind wir in der Auseinandersetzung, und wir hoffen, dass auch hier die Entwicklung so wird, dass wir es akzeptieren können.
Nutz: Aber der DGB und die IG Metall stehen im Augenblick in der Rentenfrage etwas einsam da als Kritiker. ÖTV-Chef Mai kritisiert Ihre geplante Informationskampagne und die Protestaktion zur Rentenreform. Der IG Chemiechef Schmoldt hat hier im Deutschlandfunk gemutmaßt, der DGB gehe immer noch fehl in der Annahme, Rot-Grün verteile, was zu verteilen ist – vor allem in Richtung seiner Mitglieder. War das eine Fehleinschätzung?
Engelen-Kefer: Also, wir haben im DGB insgesamt Übereinstimmung erzielt, dass es doch noch erheblicher Korrekturen bedarf an den vorgelegten Rentenplänen. Hier geht es vor allem darum, dass das Rentenniveau nicht so weit absinken darf wie jetzt geplant. Ich glaube, da wollen alle Gewerkschaften gemeinsam, dass hier die gesetzliche Rente weiterhin die Lebensexistenz sichert. Und wir sind auch gemeinsam der Auffassung, dass es vernünftig ist, zusätzlich einen Kapitalstock zu bilden – eine Zusatzversorgung. Aber nicht auf Kosten der gesetzlichen Rente.
Nutz: Das ‚Ende der Bescheidenheit‘ hatten die Gewerkschaften noch im vergangenen Jahr verkündet. Davon ist jetzt fast nichts mehr zu hören. Müssen sich die Gewerkschaften, wie Oskar Lafontaine am Wochenende bemerkte, die Vereinbarung einer neuen Bescheidenheit sozusagen schlucken?
Engelen-Kefer: Also, solche Worte sind natürlich immer problematisch, obwohl sie symbolisch das Richtige – das steht zumindest für unsere Interessen – aufzeigen. Aber es gibt ja bei uns mehrere Elemente und Ziele. Das Entscheidendste ist, dass die Arbeitslosigkeit zurückgeführt wird, dass wieder mehr Beschäftigung geschaffen wird, dass Jugendliche einen Ausbildungs- und Arbeitsplatz erhalten, dass wir Langzeitarbeitslose eingliedern. Da hat die Bundesregierung einiges getan, was diese Ziele fördert und ihnen näher kommt. Sie hat ja auch schon erste Erfolge. Und da sind die Gewerkschaften auch bereit, dies mit der Tarifpolitik zu begleiten. Und nur darum geht es. Es geht nicht um eine bescheidene Tarifpolitik, sondern es geht um eine Tarifpolitik, die auch der Notwendigkeit der Beschäftigungssicherung Rechnung trägt. Und das ist schon lange das Ziel der Gewerkschaften.
Nutz: Ursula Engelen-Kefer, stellvertretende DGB-Vorsitzende, über die Halbzeitbilanz des Bundeskanzlers. Auf Wiederhören, vielen Dank.
Engelen-Kefer: Gerne, Auf Wiederhören Frau Nutz.
Nutz: Die Arbeitgeberseite wird heute bei uns wahrgenommen – hier im Deutschlandfunk – von Dieter Hundt, dem Präsidenten der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände. Auch Ihnen einen guten Morgen.
Hundt: Guten Morgen Frau Nutz.
Nutz: Herr Hundt, das mögen Sie eben wohl gerne gehört haben, dass die Lohnpolitik bzw. die Tarifpolitik von den Gewerkschaften wohlwollend bestimmt und begleitet werden wird?
Hundt: Ich habe den Schluss der Ausführungen gehört und ich stimme zu, dass es nicht um eine ‚bescheidene* Tarifpolitik geht, sondern ausschließlich - wie wir dieses im Bündnis für Arbeit, Ausbildung und Wettbewerbsfähigkeit auch gemeinsam formuliert haben - um eine ‚beschäftigungsorientierte‘ Tarifpolitik. Und auf dem Weg zu diesem Ziel sind wir in diesem Frühjahr 2000 sehr gut vorangekommen. Wir haben angemessene Tarifabschlüsse erzielen können, und diese werden ihre Wirkung jetzt auf das Wirtschaftswachstum in diesem Jahr und insbesondere auch auf die Entwicklung des Arbeitsmarktes nicht verfehlen. Wir haben tatsächlich im Moment Stellenaufbau, und ich erwarte, dass dieser Prozess fortgesetzt wird, wobei wir bereits große Schwierigkeiten haben, die von der Wirtschaft und Industrie angebotenen Stellen mit ausreichend qualifizierten Arbeitskräften zu besetzen.
Nutz: Zunächst einmal, um auf die Halbzeitbilanz zurückzukommen: Gute Noten von Ihnen für Gerhard Schröder und das Bündnis für Arbeit?
Hundt: Der Beginn der ersten Halbzeit der rot-grünen Regierung ist aus Sicht der Wirtschaft nicht ausreichend gewesen. Die Regierung hat dort sehr viele Rückpässe und Eigentore fabriziert. Denken Sie an die Rücknahme der Reformen der Regierung Kohl, denken Sie an die zusätzliche Belastung der Wirtschaft, insbesondere durch das Steuerentlastungsgesetz, das die Deutsche Wirtschaft in dieser Legislaturperiode gut 30 Milliarden Mark mehr kostet. Ich akzeptiere, dass die Regierung dann in der letzten Phase dieser ersten Halbzeit zu ihrem Spiel gefunden hat. Ich sehe insbesondere das Bündnis für Arbeit, Ausbildung und Wettbewerbsfähigkeit als einen Erfolg an. Und mit beträchtlichen Einschränkungen ist auch die Steuerreform ein Schritt in die richtige Richtung.
Nutz: Stichwort ‚Steuerreform‘: Da sind Sie jetzt aber sehr zurückhaltend. Noch kurz vor dem 14. Juli hat man sich Augen und Ohren gerieben, weil die Wirtschaft ja sozusagen die Union drängte, dem Projekt zuzustimmen. Hund: Für die Kapitalgesellschaften geht die Steuerreform in die richtige Richtung. Sie hat aber beträchtliche Nachteile für die Personengesellschaften. Für mich ist unerträglich, dass die Besteuerung eines Unternehmens von der Rechtsform abhängig sein soll. Und hier werden insbesondere die kleinen und mittleren Unternehmen - ganz besonders stark das Handwerk – beträchtlich benachteiligt.
Nutz: Also da sagen Sie, wie auch am Anfang dieser Legislaturperiode: ‚Nachbessern‘?
Hundt: Es ist dringend eine Nachbesserung erforderlich, die die Personengesellschaften, die kleinen und mittleren Unternehmen – die ja das Rückgrad unserer Deutschen Wirtschaft darstellen – besser stellen.
Nutz: Schauen wir einmal in die Zukunft. Der Reformstau ist ja zunächst einmal aufgelöst. Als Zukunftsvision oder als Frage, ob diese Regierung mit diesem Kanzler auch zukunftsfähig ist, gilt ja auch die weitere Entwicklung im – zum Beispiel – IT-Bereich. Da hatte der Kanzler die Idee mit der Greencard-Kampagne. Reicht Ihnen das? Ist diese Regierung in Ihrem Sinne zukunftsfähig?
Hundt: Ich halte die Greencard-Aktion für sehr gut. Ich habe sie von Anfang an positiv mit begleitet. Dies ist eine erforderliche Erste-Hilfe-Aktion, um den enormen Arbeitskräftebedarf in dieser Zukunftstechnologie zu decken. Die Aktion muss begleitet sein. Dies ist der Fall. Diese Entwicklung ist bereits im Gange - von einer Intensivierung der eigenen Ausbildung. Es kann dieses auch nur der Einstieg in eine entsprechende Verhaltensweise auch für andere Branchen sein. Wir haben in vielen Branchen derzeit zunehmenden Fachkräftemangel. Ich nenne den Ingenieursektor, ich nenne qualifizierte Facharbeiter in der Metall- und Elektroindustrie und in der chemischen Industrie und auch in anderen Branchen. Und hier muss eine ähnliche Lösung gefunden werden. Und das Ganze führt schließlich – und da ist der Anfang ja ebenfalls gemacht – zu der Notwendigkeit eines Einwanderungsgesetzes. Und mein Appell an die Regierung ist, in der zweiten Halbzeit hier nun eine angemessene Lösung zu finden, die auch insbesondere die Interessen der Wirtschaft und die Situation des Arbeitsmarktes mit berücksichtigt.
Nutz: In einem Satz, Herr Hund: Wie würden Sie die Kanzlerbilanz mit einer Note bewerten?
Hundt: Ich mag diese schulmeisterlichen Benotungen von Politikern überhaupt nicht und habe auch keine pädagogische Ausbildung, so dass ich mich hier enthalte. Ich wiederhole: Der Anfang war – aus der Sicht der Wirtschaft – auf gar keinen Fall zufriedenstellend. Das Ende der ersten Halbzeit lässt darauf hoffen, dass wir in der zweiten Halbzeit tatsächlich deutlich vorankommen.
Nutz: Die Kanzlerbilanz – das Forum mit Dieter Hundt, Präsident der Bundesvereinigung Deutscher Arbeitgeberverbände im Deutschlandfunk. Herzlichen Dank für dieses Gespräch. Hund: Bitte sehr.
Link: Interview als RealAudio
Engelen-Kefer: Ja, guten Morgen Frau Nutz.
Nutz: Frau Engelen-Kefer, beginnen wir ein bisschen globaler. Die Gewerkschaften haben ja 1998 vor dem Regierungswechsel eine millionenschwere Werbekampagne gestartet mit der Empfehlung für die Sozialdemokraten. Gibt es Momente, in denen Sie das heute bedauern?
Engelen-Kefer: Nein, ich bedaure das nicht. Dass wir an Einzelteilen der Politik Kritik üben, heißt nicht, dass wir nicht insgesamt die Politik akzeptieren und auch andere Teile für gut befinden. Wir müssen sehen: Wir sind nicht ein verlängerter Arm irgendeiner Partei, sondern wir sind Gewerkschaften. Wir haben uns um die Interessen der Arbeitnehmer und ihrer Familien zu kümmern. Und so wird es immer in dem einen oder anderen Fall Kritik geben, wie jetzt zum Beispiel in der Rentenpolitik. Aber das ändert nichts an der insgesamt guten Bewertung.
Nutz: Die Gewerkschaften haben damals für den Politikwechsel geworben. Ist das ein Wechsel, so wie Sie sich ihn vorgestellt haben?
Engelen-Kefer: Also, es gab ja zwei wichtige Aspekte unserer Kampagne. Der eine Teil war, dass wir uns einsetzen für mehr Arbeit. Da sind wesentliche Voraussetzungen schon in diesen zwei Jahren der neuen Bundesregierung in die Wege gebracht worden. Das zeigt sich ja auch insgesamt in der wirtschaftlichen Entwicklung und in der Entwicklung des Arbeitsmarktes. Für uns ganz entscheidend war, dass energische Schritte begonnen wurden bei der Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit und der Verbesserung der Ausbildungssituation. Da ist nicht alles Gold, was glänzt. Aber zumindest sind die Weichen richtig gestellt. Und entscheidend für uns ist, dass hierbei das Bündnis für Arbeit wieder funktioniert und auch Fortschritte macht. Was allerdings bislang eben problematisch ist, ist der zweite Teil unserer Kampagne: Soziale Gerechtigkeit herzustellen. Da sind Teile gelungen – gerade, wenn ich an die Lohnfortzahlung im Krankheitsfalle denke, an den Kündigungsschutz. Da sind die Weichen wieder richtig gestellt worden. Bei der großen und wichtigen Frage für uns – bei der Rentenpolitik – sind wir in der Auseinandersetzung, und wir hoffen, dass auch hier die Entwicklung so wird, dass wir es akzeptieren können.
Nutz: Aber der DGB und die IG Metall stehen im Augenblick in der Rentenfrage etwas einsam da als Kritiker. ÖTV-Chef Mai kritisiert Ihre geplante Informationskampagne und die Protestaktion zur Rentenreform. Der IG Chemiechef Schmoldt hat hier im Deutschlandfunk gemutmaßt, der DGB gehe immer noch fehl in der Annahme, Rot-Grün verteile, was zu verteilen ist – vor allem in Richtung seiner Mitglieder. War das eine Fehleinschätzung?
Engelen-Kefer: Also, wir haben im DGB insgesamt Übereinstimmung erzielt, dass es doch noch erheblicher Korrekturen bedarf an den vorgelegten Rentenplänen. Hier geht es vor allem darum, dass das Rentenniveau nicht so weit absinken darf wie jetzt geplant. Ich glaube, da wollen alle Gewerkschaften gemeinsam, dass hier die gesetzliche Rente weiterhin die Lebensexistenz sichert. Und wir sind auch gemeinsam der Auffassung, dass es vernünftig ist, zusätzlich einen Kapitalstock zu bilden – eine Zusatzversorgung. Aber nicht auf Kosten der gesetzlichen Rente.
Nutz: Das ‚Ende der Bescheidenheit‘ hatten die Gewerkschaften noch im vergangenen Jahr verkündet. Davon ist jetzt fast nichts mehr zu hören. Müssen sich die Gewerkschaften, wie Oskar Lafontaine am Wochenende bemerkte, die Vereinbarung einer neuen Bescheidenheit sozusagen schlucken?
Engelen-Kefer: Also, solche Worte sind natürlich immer problematisch, obwohl sie symbolisch das Richtige – das steht zumindest für unsere Interessen – aufzeigen. Aber es gibt ja bei uns mehrere Elemente und Ziele. Das Entscheidendste ist, dass die Arbeitslosigkeit zurückgeführt wird, dass wieder mehr Beschäftigung geschaffen wird, dass Jugendliche einen Ausbildungs- und Arbeitsplatz erhalten, dass wir Langzeitarbeitslose eingliedern. Da hat die Bundesregierung einiges getan, was diese Ziele fördert und ihnen näher kommt. Sie hat ja auch schon erste Erfolge. Und da sind die Gewerkschaften auch bereit, dies mit der Tarifpolitik zu begleiten. Und nur darum geht es. Es geht nicht um eine bescheidene Tarifpolitik, sondern es geht um eine Tarifpolitik, die auch der Notwendigkeit der Beschäftigungssicherung Rechnung trägt. Und das ist schon lange das Ziel der Gewerkschaften.
Nutz: Ursula Engelen-Kefer, stellvertretende DGB-Vorsitzende, über die Halbzeitbilanz des Bundeskanzlers. Auf Wiederhören, vielen Dank.
Engelen-Kefer: Gerne, Auf Wiederhören Frau Nutz.
Nutz: Die Arbeitgeberseite wird heute bei uns wahrgenommen – hier im Deutschlandfunk – von Dieter Hundt, dem Präsidenten der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände. Auch Ihnen einen guten Morgen.
Hundt: Guten Morgen Frau Nutz.
Nutz: Herr Hundt, das mögen Sie eben wohl gerne gehört haben, dass die Lohnpolitik bzw. die Tarifpolitik von den Gewerkschaften wohlwollend bestimmt und begleitet werden wird?
Hundt: Ich habe den Schluss der Ausführungen gehört und ich stimme zu, dass es nicht um eine ‚bescheidene* Tarifpolitik geht, sondern ausschließlich - wie wir dieses im Bündnis für Arbeit, Ausbildung und Wettbewerbsfähigkeit auch gemeinsam formuliert haben - um eine ‚beschäftigungsorientierte‘ Tarifpolitik. Und auf dem Weg zu diesem Ziel sind wir in diesem Frühjahr 2000 sehr gut vorangekommen. Wir haben angemessene Tarifabschlüsse erzielen können, und diese werden ihre Wirkung jetzt auf das Wirtschaftswachstum in diesem Jahr und insbesondere auch auf die Entwicklung des Arbeitsmarktes nicht verfehlen. Wir haben tatsächlich im Moment Stellenaufbau, und ich erwarte, dass dieser Prozess fortgesetzt wird, wobei wir bereits große Schwierigkeiten haben, die von der Wirtschaft und Industrie angebotenen Stellen mit ausreichend qualifizierten Arbeitskräften zu besetzen.
Nutz: Zunächst einmal, um auf die Halbzeitbilanz zurückzukommen: Gute Noten von Ihnen für Gerhard Schröder und das Bündnis für Arbeit?
Hundt: Der Beginn der ersten Halbzeit der rot-grünen Regierung ist aus Sicht der Wirtschaft nicht ausreichend gewesen. Die Regierung hat dort sehr viele Rückpässe und Eigentore fabriziert. Denken Sie an die Rücknahme der Reformen der Regierung Kohl, denken Sie an die zusätzliche Belastung der Wirtschaft, insbesondere durch das Steuerentlastungsgesetz, das die Deutsche Wirtschaft in dieser Legislaturperiode gut 30 Milliarden Mark mehr kostet. Ich akzeptiere, dass die Regierung dann in der letzten Phase dieser ersten Halbzeit zu ihrem Spiel gefunden hat. Ich sehe insbesondere das Bündnis für Arbeit, Ausbildung und Wettbewerbsfähigkeit als einen Erfolg an. Und mit beträchtlichen Einschränkungen ist auch die Steuerreform ein Schritt in die richtige Richtung.
Nutz: Stichwort ‚Steuerreform‘: Da sind Sie jetzt aber sehr zurückhaltend. Noch kurz vor dem 14. Juli hat man sich Augen und Ohren gerieben, weil die Wirtschaft ja sozusagen die Union drängte, dem Projekt zuzustimmen. Hund: Für die Kapitalgesellschaften geht die Steuerreform in die richtige Richtung. Sie hat aber beträchtliche Nachteile für die Personengesellschaften. Für mich ist unerträglich, dass die Besteuerung eines Unternehmens von der Rechtsform abhängig sein soll. Und hier werden insbesondere die kleinen und mittleren Unternehmen - ganz besonders stark das Handwerk – beträchtlich benachteiligt.
Nutz: Also da sagen Sie, wie auch am Anfang dieser Legislaturperiode: ‚Nachbessern‘?
Hundt: Es ist dringend eine Nachbesserung erforderlich, die die Personengesellschaften, die kleinen und mittleren Unternehmen – die ja das Rückgrad unserer Deutschen Wirtschaft darstellen – besser stellen.
Nutz: Schauen wir einmal in die Zukunft. Der Reformstau ist ja zunächst einmal aufgelöst. Als Zukunftsvision oder als Frage, ob diese Regierung mit diesem Kanzler auch zukunftsfähig ist, gilt ja auch die weitere Entwicklung im – zum Beispiel – IT-Bereich. Da hatte der Kanzler die Idee mit der Greencard-Kampagne. Reicht Ihnen das? Ist diese Regierung in Ihrem Sinne zukunftsfähig?
Hundt: Ich halte die Greencard-Aktion für sehr gut. Ich habe sie von Anfang an positiv mit begleitet. Dies ist eine erforderliche Erste-Hilfe-Aktion, um den enormen Arbeitskräftebedarf in dieser Zukunftstechnologie zu decken. Die Aktion muss begleitet sein. Dies ist der Fall. Diese Entwicklung ist bereits im Gange - von einer Intensivierung der eigenen Ausbildung. Es kann dieses auch nur der Einstieg in eine entsprechende Verhaltensweise auch für andere Branchen sein. Wir haben in vielen Branchen derzeit zunehmenden Fachkräftemangel. Ich nenne den Ingenieursektor, ich nenne qualifizierte Facharbeiter in der Metall- und Elektroindustrie und in der chemischen Industrie und auch in anderen Branchen. Und hier muss eine ähnliche Lösung gefunden werden. Und das Ganze führt schließlich – und da ist der Anfang ja ebenfalls gemacht – zu der Notwendigkeit eines Einwanderungsgesetzes. Und mein Appell an die Regierung ist, in der zweiten Halbzeit hier nun eine angemessene Lösung zu finden, die auch insbesondere die Interessen der Wirtschaft und die Situation des Arbeitsmarktes mit berücksichtigt.
Nutz: In einem Satz, Herr Hund: Wie würden Sie die Kanzlerbilanz mit einer Note bewerten?
Hundt: Ich mag diese schulmeisterlichen Benotungen von Politikern überhaupt nicht und habe auch keine pädagogische Ausbildung, so dass ich mich hier enthalte. Ich wiederhole: Der Anfang war – aus der Sicht der Wirtschaft – auf gar keinen Fall zufriedenstellend. Das Ende der ersten Halbzeit lässt darauf hoffen, dass wir in der zweiten Halbzeit tatsächlich deutlich vorankommen.
Nutz: Die Kanzlerbilanz – das Forum mit Dieter Hundt, Präsident der Bundesvereinigung Deutscher Arbeitgeberverbände im Deutschlandfunk. Herzlichen Dank für dieses Gespräch. Hund: Bitte sehr.
Link: Interview als RealAudio