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Nach der Olympia-Verschiebung
Verunsicherung auf der Trainerbank

Kurzarbeit, Existenzangst, Zukunftssorgen: Das treibt in Zeiten der Coronakrise so einige Arbeitnehmerinnen um – auch im Sport. Vor allem freiberufliche Übungsleiterinnen haben keine Einnahmen. Doch auch Trainerinnen im Leistungssport sind verunsichert. Nach der Olympia-Verschiebung ist vieles in Frage gestellt.

Von Andrea Schültke | 12.04.2020
Der frühere Badminton-Chefbundestrainer Holger Hasse mit Karin Schnaase.
Ex-Badminton-Bundestrainer Holger Hasse kennt das Leid vieler Trainer hautnah. Bei vielen herrsche nun Unsicherheit, sagt er im Dlf. (imago sportfotodienst)
Verträge von Bundestrainerinnen sind oft an einen Olympiazyklus geknüpft. Es geht um Kontrakte über vier Jahre, nach den Olympischen Spielen laufen sie aus. Aktuell also am 31.12.2020. Denn dann wären die Spiele von Tokio eigentlich Geschichte.
"Für die Trainer persönlich bedeutet das, dass sie nicht wissen, wie geht es vertraglich mit ihnen weiter, wenn sie befristete Verträge haben." Das sei bei vielen der Fall, sagt Holger Hasse, Präsident des Berufsverbandes der Trainerinnen und Trainer im deutschen Sport.
Befristete Verträge
In dieser Interessenvertretung ist auch Christine Adams aktiv. Auch ihr Vertrag mit dem Deutschen Leichtathletikverband als Bundestrainerin im Stabhochsprung ist befristet:
"Ich hoffe jetzt ganz einfach, dass auch der kommende Vertrag dann wirklich um vier Jahre bis 2024 verlängert wird und nicht erst einmal bis 31.12.21, weil dann erst die Olympischen Spiele vorbei sind. Das würde natürlich wieder viel mehr Unruhe reinbringen."

Verbände entscheiden individuell
Lita Baehre Bo Kanda, Deutschland, unterhält sich mit Teamleiterin Christine Adams (r). 
Christine Adams (r.), Bundestrainerin Stabhochsprung in Deutschland. (dpa /Soeren Stache)
Auch in der aktuellen Lage entscheide jeder Fachverband individuell über den Vertrag für seine angestellten Bundestrainerinnen und -trainer, erläutert Dirk Schimmelpfennig, Vorstand Leistungssport im Deutschen Olympischen Sportbund:
"Da waren sicherlich Verbände, die bis Tokio 2020 geplant haben und dann mit einer anderen Aufstellung die nächsten Olympischen Spiele angehen wollen. Andere haben darüber hinaus geplant, und das muss man sich dann in im differenzierten Fall anschauen und dann schauen, zu welcher Entscheidung kommt."

Die Entscheidung im Reiten etwa lautete: Vertragsverlängerung für Bundestrainerin und -trainer bis 2021 – also um ein Jahr. Daran wird für Holger Hasse vom Berufsverband das generelle Problem der Mitglieder deutlich, die er vertritt - Kettenverträge:
Dirk Schimmelpfennig, Leistungssportchef des DOSB.
Dirk Schimmelpfennig, Leistungssportchef des DOSB. (dpa/picture alliance/ Michael Kappeler)
"Auch wenn die meisten natürlich eigentlich mittlerweile wissen, wenn der Vertrag mehrfach verlängert wurde, er de facto unbefristet ist. Aber trotzdem gibt's natürlich ein ungutes Gefühl, wenn man weiß, es steht eigentlich eine Befristung drinnen, und man muss formal nach Ende des olympischen Zyklus wieder zum Arbeitsamt laufen."
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"Viele Trainer sind ausgestiegen"
Im Zuge der Spitzensportreform soll ermittelt werden, welche Sportart, wieviel Förderbedarf und Potenzial hat. Das betrifft auch die Trainer. Drei Spitzentrainer kritisieren im Dlf, dass ihre Berufsgruppe stiefmütterlich behandelt werde.
Keine Kurzarbeit
In der aktuellen Krise sind die Jobs der Bundestrainerinnen und -trainer sicher. Kurzarbeit ist hier kein Thema – im Gegensatz zu Angestellten oder Selbständigen in Vereinen. Dirk Schimmelpfennig bestätigt eine Entscheidung des Bundesinnenministeriums, das das Leistungssportpersonal finanziert:
"Dass der Bund das Leistungssportersonal aus Bundesmitteln vollständig unverändert fördern wird. Das ist ja schon mal für die Beteiligten eine sehr wichtige Aussage in Zeiten der Coronakrise."
Wie es danach weitergehe entscheide sich im Laufe des Jahres.
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Überstunden abbauen
Bundestrainerinnen wir Christine Adams, bauen jetzt erstmal Überstunden ab. Die häufen sich normalerweise durch Trainingslager, lange Wettkampfreisen und Arbeit an Wochenenden – bei ihr und allen Kollegen:
"Viele sind im Homeoffice und versuchen aber trotzdem natürlich, mit ihren Athleten im Rahmen der Regelungen, die es in Deutschland gibt, zu trainieren und arbeiten zusätzlich auch strukturell in unserem Verband und in unseren Disziplinen."
Mehr Wertschätzung
Überstunden, Kettenverträge, zu wenig Geld für zu viel Arbeit. Das sind die Hauptpunkte, die aus Sicht der Trainerinnen im Leistungssport in Deutschland generell seit Jahren im Argen liegen. Dabei sollte am Stellenwert der Berufsgruppe im Sportsystem kein Zweifel bestehen, sagen Sportler wie Jonathan Koch. Der ehemaliger Ruderer sitzt für die Athleten im DOSB-Präsidium:
"Trainer haben eine Schlüsselfunktion. Sie sind Partner vom Sportler, gleichzeitig zum Verband zum Arbeitgeber zu einem Verein. Haben gleichzeitig eine pädagogische, sportfachliche Verantwortung und meines Erachtens eine sehr, sehr schwierige Rolle, die ganz oft nicht so gewertschätzt wird, wie sie zu wertschätzen ist", so Koch auf der Mitgliederversammlung des Deutschen Olympischen Sportbundes Anfang Dezember in Frankfurt.
Der ehemalige Ruderer Jonathan Koch, Vertreter der Athleten im DOSB.
Der ehemalige Ruderer Jonathan Koch, Vertreter der Athleten im DOSB. (Guido Kirchner/dpa)
Konzept verabschiedet
Dort verabschiedeten die Delegierten ein Konzept für bessere Arbeitsbedingungen für Trainer und damit auch für mehr Wertschätzung. Im Januar sollte das in den Sommersportarten bereits greifen. Für Holger Hasse vom Berufsverband gibt es in diesen Zeiten Wichtigeres als den Sport und die Trainer:
"Trotzdem man arbeitet natürlich in solchen Prozessen mehrere Jahre lang und natürlich wird auch auf verschiedenen Ebenen weitergearbeitet. Und das ist ja auch ein Stück weit Normalität, dass jetzt nicht alles stillsteht, sondern dass man trotzdem versucht, Dinge zu optimieren und zu verbessern."
Grundlage für Gespräche
Dirk Schimmelpfennig vom Deutschen Olympischen Sportbund betont gegenüber dem Deutschlandfunk, auch in diesen Zeiten am beschlossenen Konzept festhalten zu wollen:
"Das ist auch eine Grundlage für Gespräche, die wir mit dem Bundesinnenministerium in der Angelegenheit führen und schauen, was von diesem Konzept in Kürze umsetzbar ist."
Das wiederum sei abhängig von den Rahmenbedingungen, also vom Geld, das das Bundesinnenministerium in Zukunft für den Leistungssport ausgibt. Zuletzt hatten sich die Zahlungen aus dem Hause Seehofer deutlich erhöht.
Sportfinanzierung nicht oberste Priorität
Dass das so weitergehen kann, sieht Stabhochsprung-Bundestrainerin Christine Adams angesichts der aktuellen Situation eher nicht. Sport habe derzeit nicht die oberste Priorität und das finde sie richtig:
"Nichtsdestotrotz ist es für viele in Deutschland auch ein Lebensinhalt, der nicht unerheblich ist. Und ich freue mich auch, wenn die Politik sich mit dem Thema - und nicht nur Fußball - auch in Krisenzeiten beschäftigt. Auch Sport muss irgendwann wieder Fahrt aufnehmen, und da muss es irgendwie weitergehen."
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