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Nach Einigung
"Klimaschutzplan muss keine Verbotstafel sein"

Der SPD-Fraktionschef im nordrhein-westfälischen Landtag, Norbert Römer, hat die Einigung der Bundesregierung auf einen nationalen Klimaschutzplan gegen Kritik verteidigt. Es sei darum gegangen, "einen vernünftigen, ausgewogenen Plan vorzulegen". Die industrielle Produktion sei Grundlage für Wohlstand, betonte Römer im DLF.

Norbert Römer im Gespräch mit Jürgen Zurheide | 12.11.2016
    Norbert Römer, Fraktionschef der SPD im NRW-Landtag
    Norbert Römer, Fraktionschef der SPD im NRW-Landtag (Imago / Cord)
    "Es geht nicht darum, nur auf die fossilen Energieträger zu schauen", meinte der SPD-Politiker. "Ich rate, die Scheuklappen abzulegen." Nach Ansicht des Sozialdemokraten braucht Deutschland die Braunkohle bis Mitte dieses Jahrhunderts. Römer lehnt es aber ab, über "Ausstiegsszenarien" zu sprechen. Er wolle den Betroffenen Sicherheit und eine Perspektive geben. Diese dürften nicht ins "ins Bergfreie" fallen.
    Römer betonte, der nationale Klimaschutzplan sei in Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften und den Unternehmen entstanden. Ein Ziel sei es, "Anreize und Innovationen zu fördern". Der "Klimaschutzplan muss keine Verbotstafel sein", so Römer. Die Baunkohleverstromung gilt als besonders klimaschädlich und ist deshalb umstritten.

    Das Interview in voller Länge:
    Jürgen Zurheide: Das war eine schwere Geburt und eine Einigung quasi in letzter Sekunde, die Bundesregierung hat sich dann aber geeinigt auf einen Klimaschutzplan. Und die interessante Konstellation war, auf der einen Seite stand die Umweltministerin Barbara Hendricks und auf der anderen Seite Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel. Es ist hinzuzufügen: Ja, beide gehören der SPD an, aber sie waren reichlich gegeneinander. Am Ende haben sie sich dann doch geeinigt oder einigen müssen.
    (Bericht)
    Mitgehört und am Telefon ist jetzt Norbert Römer, der SPD-Fraktionschef aus Nordrhein-Westfalen. Guten Morgen, Herr Römer!
    Norbert Römer: Ja, ich wünsche auch einen guten Morgen!
    Zurheide: Herr Römer, haben die Lobbyisten Ihnen schon gratuliert? Wie viel schöne SMSe haben Sie da bekommen?
    Römer: Keine, weil es ja nicht darauf ankommt, dass wir Lobbyarbeit machen, sondern dass es vor allen Dingen wichtig ist, die unterschiedlichen Interessen, die es doch zweifellos gibt, zueinanderzubringen. Für mich hat der Klimaschutzplan, den wir gemeinsam erarbeitet haben, drei klare Botschaften: Erstens, Deutschland bekennt sich zu den Klimaschutzzielen und tut alles, um sie zu erreichen. Wir setzen uns in allen Sektoren ambitionierte, ehrgeizige Ziele, die aber auch realistisch und erreichbar sind. Zweitens, wir machen den Plan mit der Wirtschaft, mit der Industrie, mit den Gewerkschaften und wir setzen vor allem auf die Innovationskraft unserer Betriebe und der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Wir überfordern niemanden, weil wir doch wissen, Herr Zurheide, die Hörerinnen und Hörer doch auch, die industrielle Produktion ist die Grundlage für unseren Wohlstand. Und das wollen wir auch erhalten, das soll bleiben, Wertschöpfung im eigenen Land muss sein. Und drittens, wir treiben den Fortschritt voran. Und deshalb werden wir den Klimaschutzplan fortentwickeln, an die Veränderung, vor allen Dingen an den Fortschritt in Wirtschaft und Technik weiter anpassen, auch die gesellschaftlichen, sozialen Veränderungen mit den Blick nehmen. Im Übrigen füge ich mal hinzu: Wir in Nordrhein-Westfalen haben eine gute Erfahrung. Wir haben einen Klimaschutzplan hier gemeinsam mit der Industrie, mit der Wirtschaft, den Umweltverbänden erarbeitet und der ist ein gutes Beispiel gewesen.
    Zurheide: Na ja, also, das war jetzt sozusagen die schöne Variante. Da gibt es aber dann vielleicht doch ein paar kritische Stimmen und die kommen ja nicht nur von den Grünen. Zum Beispiel wenn die Industrie dann zehn Millionen Tonnen CO2 weniger einsparen muss, wenn es kein klares Ende für die Kohle gibt, was viele auf dieser Seite fordern. Sind Sie da nicht doch eingeknickt?
    "Wir brauchen fossile Energieträger"
    Römer: Nein. Es geht ja nicht darum, dass wir nur auf die Energiewirtschaft schauen, nur auf die Fossil- und Energieträger. Ich rate da allen, die das bisher gemacht haben, ihre Scheuklappen auch abzulegen, denn es geht ja um mehr. Es geht um den Verkehr, um die Landwirtschaft, um die Gebäude, im Übrigen geht es auch immer um uns selbst als private Verbraucherinnen und Verbraucher. Und das, glaube ich, ist gut zueinandergebracht worden. Jetzt werden wir sehen, wie wir das mit der Industrie, mit der Wirtschaft nach vorne entwickeln. Da bin ich im Übrigen sehr zuversichtlich, weil unsere Unternehmen, unsere Betriebe, wir erleben das doch, Klimaschutz und vor allem Umweltpolitik längst zu ihrem Alltag gemacht haben. Das ist doch nichts Neues für die.
    Zurheide: Aber noch mal, das klingt mir alles ein bisschen zu positiv. Da sagen ja auch manche, da sind schöne Ziele verabredet worden, aber die konkreten Maßnahmen bleiben eben aus. Glauben Sie wirklich, dass man da nur auf sozusagen den Good Will setzen kann?
    Römer: Na, aber der Klimaschutzplan muss doch nicht eine Verbotstafel sein, sondern der hat eine ganze Reihe von Maßnahmen hinterlegt, mit denen die Ziele erreichbar sind. Und das ist ja auch unsere Erfahrung in Nordrhein-Westfalen gewesen, Anregung zu geben, Anreize zu setzen, die Innovationskraft vor allen Dingen in den Unternehmen, in den Betrieben zu fördern. Darauf kommt es an, mit Verbotstafeln kommen wir nicht weiter.
    Zurheide: Auf der anderen Seite, es gab da einen heftigen Konflikt parteiintern und der ist ja schon bemerkenswert: Sigmar Gabriel, der Wirtschaftsminister auf der einen Seite, der eher so Ihre Linie da vertreten hat, und dann die Umweltministerin – Klammer auf, die kommt aus Nordrhein-Westfalen, ist eine Vertraute von Hannelore Kraft –, stand auf der anderen Seite. Jetzt hat sie gesagt, na ja, alles ganz toll, aber so toll war es nicht, denn da wurde heftig gerungen hinter den Kulissen. Haben Sie Ihre Umweltministerin da gerade mal, ich will nicht sagen: politisch umgebracht, aber doch sehr an den Rand gedrängt?
    Römer: Nein, Barbara Hendricks, die Bundesumweltministerin, hat, wie das ja auch verabredet ist, einen Entwurf hineingebracht in die Ressortabstimmung, aber Entwürfe haben es nun mal an sich – das ist doch ihr Charakter –, dass daran gearbeitet wird, dass sie verändert werden. Wir haben aus Nordrhein-Westfalen, die Ministerpräsidentin Hannelore Kraft, der Wirtschaftsminister Garrelt Duin, ich auch ganz persönlich, selbstverständlich in ständigem Kontakt mit Barbara Hendricks, mit Sigmar Gabriel gestanden und dabei auch einbezogen die Gewerkschaften, den IG-BCE-Vorsitzenden Michael Vassiliadis im Besonderen, die Industrie, auch die anderen Bundesländer, mit denen wir – vor allen Dingen Brandenburg – im engen Kontakt waren. Nein, es ging nicht um ein Gegeneinander, es ging darum, miteinander vor allen Dingen einen vernünftigen, ausgewogenen Plan vorzulegen, und das ist jetzt gelungen.
    Zurheide: Also, Herr Laschet, der CDU-Oppositionsführer in Nordrhein-Westfalen und stellvertretender Parteivorsitzender der CDU sieht das anders, der hat da mächtig Dampf gemacht gegen Frau Hendricks. Hat er da so unrecht?
    Römer: Bei dem habe ich den Eindruck gehabt, ich sage das mal ein bisschen drastisch, dass er nie auf Ballhöhe war, nie auf der Höhe der Zeit. Herr Laschet hat, wenn er sich öffentlich geäußert hat, sich über Sachen geäußert, die überhaupt nicht Gegenstand von Verhandlungen gewesen sind. Nein, er hat keine Rolle gespielt. Für mich macht das deutlich, wahrscheinlich hat das Bundeskanzleramt ihn auch gar nicht einbezogen, warum auch, was hätte er beitragen können und sollen zu einer Verständigung, zu Problemlösungen? Nichts.
    Zurheide: Jetzt kommen wir noch mal zu wichtigen Fragen wie der Braunkohle. Da sagen ja nicht wenige: Wenn wir nicht aus der Braunkohle aussteigen, und zwar eher, als das bisher geplant ist, können wir Klimaschutzziele nicht erreichen. Warum sehen Sie das so anders?
    Römer: Nein, es geht ja nicht um Ausstieg. In Nordrhein-Westfalen beispielsweise ist seit Langem klar, dass es keine weiteren neuen Tagebaue mehr geben wird. Rahmenbetriebspläne sind bis 2045 genehmigt, wir haben jetzt – Rot-Grün in Nordrhein-Westfalen – mit einer neuen Leitentscheidung dafür gesorgt, dass Garzweiler II, ein großer Tagebau, noch einmal räumlich etwas verkleinert wird, aber klar ist in jedem Fall: Die Möglichkeit, Braunkohle zu fördern in Nordrhein-Westfalen, besteht bis zur Mitte des Jahrhunderts. Ich kann Ihnen nicht genau sagen, wann die Tagebaue ausgekohlt sein werden, aber eines weiß ich genau: Auf der Strecke bis 2050, um unsere ehrgeizigen Klimaschutzziele zu erreichen, brauchen wir fossile Energieträger, brauchen wir auch die Braunkohle. Und deshalb kommt es nicht darauf an, Ausstiegsszenarien zu machen, sondern vor allen Dingen den Menschen in den Braunkohlerevieren Sicherheit zu geben, vor allen Dingen ihnen auch zu sagen, ihr braucht keine Angst zu haben, dass ihr ins Bergfreie fallen werdet, ihr braucht keine Sorgen zu haben, dass ihr sozial nicht abgesichert werdet. Das ist doch etwas, worum es vor allen Dingen gehen muss, die Menschen mitzunehmen, denen keine Sorgen zu machen, sondern ihnen Hoffnung und Perspektive zu geben.
    "Deutschland ist ein gutes Beispiel und darauf kommt es auch an"
    Zurheide: Jetzt sagen Sie immer, das passt alles zusammen. Das erinnert mich so an die alten Sätze, Ökonomie und Ökologie aus einer Hand und das kriegen wir alles hin. Ich frage mal zugespitzt: Müssen wir dann nicht auf der anderen Seite sagen, es gibt manchmal auch Interessengegensätze zwischen diesen beiden Polen, Sie als Sozialdemokrat stehen eben mehr da für die Arbeitsplätze und sagen, die sozialen Komponenten sind uns in manchen Situationen wichtiger als die anderen? Wäre das nicht ehrlicher?
    Römer: Das habe ich ja vorhin am Anfang auch schon gesagt. Selbstverständlich gibt es unterschiedliche Interessen, auch Interessensgegensätze. Aber es ist Aufgabe von Politik – und deswegen ist es nicht einfach mit Schwarz-Weiß-Malerei getan –, diese Interessensgegensätze zueinanderzubringen, sie ein bisschen abzuschleifen, vor allen Dingen dafür zu sorgen, dass die Interessen der Menschen dabei nicht untergehen. Sie haben das gerade am Beispiel der Arbeitsplätze gesagt. Es nutzt uns nichts, wenn wir beispielsweise in den Braunkohlerevieren nur Sorgen und Nöte und Zukunftsängste hinterlassen. Nein, die Menschen müssen wissen, Politik kümmert sich darum, wir sorgen dafür, dass es in eine vernünftige Zukunft geht. Das ist noch schwer genug, Herr Zurheide. Da gibt es viele Auseinandersetzungen, die vor uns liegen. Da sind auch weiterhin viele Interessensgegensätze zu überwinden. Aber ich will den Menschen Sicherheit geben, wir in Nordrhein-Westfalen machen es nicht gegen ihre Interessen, sondern wir versuchen, vernünftige Zukunftsperspektiven zu entwickeln. Im rheinischen Revier haben wir die Innovationsregion Rheinisches Revier schon lange eingesetzt, weil wir doch wissen, Braunkohlenbergbau ist endlich. Und deshalb setzen wir auf Fortschritt, auf Innovation, nehmen die Unternehmen dabei mit, Wissenschaft und Technik. Das ist vor allen Dingen für die Menschen wichtig zu wissen, die Politik lässt uns nicht allein.
    Zurheide: Auf der anderen Seite, bei den Gewerkschaften hört man durchaus Skepsis bei dieser Einigung. Der Chef der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie und Energie Vassiliadis sagt: Na ja, das ist schon ziemlich hoher Regelungsaufwand, der ja jetzt besprochen worden ist, und das alles, weil Deutschland 2,36 Prozent an CO2 emittiert. Also, der kommt sozusagen von der anderen Seite und kritisiert Sie. Und das jetzt angesichts der Tatsache, dass Trump möglicherweise in den USA aussteigt. Wie bewerten Sie das eigentlich?
    Römer: Ja, das will ich ja nicht verkennen. Frau Kraft und ich haben noch am Donnerstagnachmittag fast zwei Stunden mit Michael Vassiliadis in meinem Büro zusammengesessen und beraten, wie kriegen wir den Klimaschutzplan auf der Zielgeraden auch so zusammengebracht mit unseren Interessen, mit den Interessen auch der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Und selbstverständlich bleiben am Ende bei einer Betrachtung von verschiedenen Seiten immer auch Kritikpunkte übrig, das wäre ja schön, wenn es am Ende nur noch Jubel und Zustimmung geben würde. Nein, es kommt ja jetzt darauf an, vor allen Dingen dafür zu sorgen, dass die wichtigen Zusagen, die gemacht worden sind, auch an die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer jetzt auch eingehalten und eingelöst werden. Das ist jetzt die Aufgabe für Politik, dafür zu sorgen, dass das, was versprochen worden ist, auch gehalten wird.
    Zurheide: Auf der anderen Seite, die Klimaziele sollen aber auch eingehalten werden, und das angesichts des Ausstieges von Herrn Trump aus all diesen Verabredungen, die ja anstehen. Oder sagen Sie, na ja, das wird noch anders kommen?
    Römer: Nein, wir haben ja in Deutschland unsere Aufgabe zunächst einmal zu lösen gehabt und haben sie gelöst, unseren Beitrag zu leisten, den wir auch international verabredet haben. Selbstverständlich kriegen wir die internationalen Ziele nur dann erreicht, wenn auch die Vereinigten Staaten von Amerika mit dabei bleiben, sich noch mehr anstrengen, China mit dabei bleibt, sich noch mehr anstrengt. Nein, das geht nicht von Deutschland alleine, aber Deutschland ist ein gutes Beispiel und darauf kommt es auch an.
    Zurheide: Das war Norbert Römer, der Fraktionschef der nordrhein-westfälischen Sozialdemokraten, zum Klimaschutzplan. Herr Römer, ich bedanke mich heute Morgen für das Gespräch, danke schön!
    Römer: Ich bedanke mich auch!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.