Dienstag, 19. März 2024

Archiv

Nach Harry Mulisch
"Die Entdeckung des Himmels" am Düsseldorfer Schauspielhaus

Knapp zehn Jahre nach dem Tod des niederländischen Schriftstellers Harry Mulisch bringt das Düsseldorfer Schauspielhaus jetzt seinen Erfolgsroman „Die Entdeckung des Himmels“ auf die Bühne. Eine wahre Herkulesaufgabe: Der Roman hat fast 900 Seiten und eine ausufernde Erzählweise.

Von Christoph Ohrem | 16.11.2019
Das Düsseldorfer Schauspielhaus, aufgenommen am 26.02.2014
Matthias Hartmann inszeniert "Die Entdeckung des Himmels" am Düsseldorfer Schauspielhaus (picture alliance / dpa / Jan-Philipp Strobel)
Der Roman behandelt die großen Themen Freundschaft und Liebe, Wissenschaft versus Religion, Gott und Teufel, Leben und Sterben. Die Adaption von "Die Entdeckung des Himmels" im Düsseldorfer Schauspielhaus mäandert inhaltlich ebenso, wie es auch die ausufernde Vorlage tut. Im Zentrum stehen die beiden ungleichen Freunde Onno Quist und Max Delius. Der eine monogamer und zynischer Philologe, der andere Frauenheld und Astronom. Der eine schaut nach oben in die Sterne, um Wissen zu erlangen, der andere schaut nach unten in die Bücher. Schon bei ihrer ersten Begegnung - Max nimmt Onno als Anhalter mit - deutet sich das besondere Verhältnis der beiden an:
"Max war jemandem wie Onno nie begegnet. Er fühlte sich von diesem Mann durchschaut wie von nie jemandem zuvor. Und Onno fühlte sich von Max verstanden, weil seine aggressive Ironie nicht wie sonst immer auf Widerstand gestoßen war, sondern aufgefangen wurde von einem Lachen, das etwas total Unverletzliches hatte. Sie hatten einander erkannt. Sie schwiegen. Verlegen."
Klassische Ménage-à-trois
Die Geschichte dieser beiden Freunde wäre damit zu Ende, wenn nicht die junge Cellistin Ada auf den Plan treten würde. Es kommt zu einer klassischen Ménage-à-trois, aus der auch ein Sohn hervorgeht. Von wem der stammt, bleibt allerdings unklar.
Das alles hat eine Rahmenhandlung. Zwei Engel in legeren, weißen Kostümen kommentieren und intrigieren in Zwischenspielen, während sie sich im Bühnenvordergrund auf einer Art riesigem metallenen Hamsterrad fläzen. Das ist ebenso lakonisch wie witzig. Schon zu Beginn zeigt sich, dass Harry Mulischs Romantext "Die Entdeckung des Himmels" gerade in den Dialogen durchaus Theaterqualitäten birgt. Die Geschehnisse rund um einen himmlischen Auftrag von Adas Sohn sind allerdings für ein Theaterstück schon zu komplex. Die Verwicklungen, in welche der Engel die beiden Freunde Onno und Max geraten lässt, sind derart ausufernd erzählt, dass man sich als Zuschauer schon wundert, dass der Abend die Vier-Stunden-Marke nicht deutlich überschreitet. Eine besonders bedeutsame Etappe ist die Reise von Max Delius nach Auschwitz-Birkenau, wo er auf den Spuren seiner vergasten Mutter wandelt.
"Dies war der Altar. Dies war die eigentliche Kraftzentrale des Faschismus. Gab es irgendwo auf Erden einen Ort, an dem im selben Maße das Gute getan worden war wie hier das Böse? Ist es tatsächlich so, dass nichts mehr zählt? Ist denn alles möglich, konnte alles getan werden, weil es eines Tages irgendwie wieder beiseitegelegt würde? Alles war offenbar bis in alle Ewigkeiten verpfuscht. Nicht nur hier, sondern schon bei tausenden nachfolgenden Gelegenheiten, an die schon Keiner mehr dachte. Ein Himmel war unter diesen Umständen unmöglich. Nur die Hölle, die gabe es vielleicht."
Viele Szenen nur angerissen
Regisseur Matthias Hartmann lässt sich für diese Szene angemessen Zeit. Viele Szenen, gerade gegen Ende, werden aber nur angerissen, das epische Erzählen der handelnden Figuren geht zu Lasten des szenischen Spiels. So wird zwar die Romanhandlung relativ vollständig abgebildet, eine straffere Textfassung hätte aber mehr Freiraum für Dynamik gelassen.
Dass "Die Entdeckung des Himmels" nicht im Szenenstakkato absäuft, ist vor allem dem überzeugenden Ensemble geschuldet. Die Rolle des liebenswerten Zynikers Onno Quist scheint Christian Erdmann auf den Leib geschrieben zu sein. So natürlich, sympathisch und differenziert haucht er dieser Figur Leben ein, dass er stets berührt und auch die Lacher auf seiner Seite hat.
Heimliche Hauptdarstellerin ist die Bühne von Volker Hintermeier. Ein strahlender Mond über der ansonsten leeren Bühne, den in einer Szene in Kuba auch einmal das Konterfei von Che Guevara ziert. Unter dem Mond eine schwebende dünne, elliptische, leuchtende Umlaufbahn, welche als drohende kosmische Bahn stets an den vorgezeichneten Weg der Figuren erinnert. Im Hintergrund eine Gaze, auf die Live-Videobilder projiziert werden: Detailaufnahmen von Händen, auf der Bühne abgefilmte Modelle, Close-ups der Figuren. Das Ganze erinnert teilweise an ein Live-Hörbuch mit Illustrationen und entwickelt doch auch eine ganz eigene Dynamik. Matthias Hartmann schafft es, diesem unmöglichen Bühnenstoff vor allem durch das engagierte Spiel viele gelungene Facetten abzugewinnen. Am Ende aber scheitert die Inszenierung ganz profan an der Stofffülle.