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Nach Karnevalsabsage
Katerlaune in Braunschweig

Nach Absage des Braunschweiger Karnevalsumzugs wegen einer Terrordrohung ermitteln Polizei und Staatsanwaltschaft in Richtung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat. Unter den Narren in der heimlichen Hochburg schwankt die Stimmung derweil zwischen Kummer und Trotz.

Von Alexander Budde | 16.02.2015
    Ein Polizist steht beim Karnevalsumzug in Braunschweig, während verkleidete Narren an ihm vorbeiziehen, aufgenommen am 10.02.2013.
    Der Braunschweiger Karnevalsumzug, hier eine Aufnahme aus dem Jahr 2013, gilt als der größte in Norddeutschland. (picture alliance / dpa - Wolfram Steinberg)
    Es sind Ritter von der traurigen Gestalt, die sich am Sonntagabend noch in Heiterkeit üben. Terror hin, Terror her: So wie hier in einer Eckkneipe in der Altstadt von Braunschweig formieren sich Narren zu trotzigen Polonaisen. Andere stehen in Gruppen beisammen, die Perücken verrutscht, die Pappnasen geknickt – und ertränken ihren Kummer:
    "Wie man sehen kann, eben halt mit Alkohol!"
    "Wir sind ein buntes und kulturelles Braunschweig, schieß mich tot! Und wir lassen uns das Feiern nicht verbieten!"
    "Es gab einige, die gesagt haben: Jetzt erst recht! Weil dafür ist der Tag ja da: zum Spaß haben und nicht zu weinen! Wenn man jetzt alles bierernst nehmen müsste, ja dann würde man sich im Grunde genommen ja gar nicht mehr raustrauen dürfen."
    Doch bereits am Samstagabend erfährt die Polizei der Löwenstadt von den Sicherheitsbehörden, dass es konkrete Hinweise auf einen drohenden Terroranschlag gibt. Eine als besonders zuverlässig eingeschätzte Quelle aus der islamistischen Szene hat die Information dem Staatsschutz weiter gegeben und dabei sogar Zeit und Ort der Bedrohung genannt. Es folgen nächtliche Telefonkonferenzen und nicht näher erläuterte Ermittlungen, die den Verdacht erhärten. Am Sonntagmorgen schließlich fügen sich Polizeipräsident Michael Pientka, Oberbürgermeister Ulrich Markurth von der SPD und Zugmarschall Gerhard Baller ins – wie sie sagen - Unvermeidliche: Das größte karnevalistische Spektakel des Nordens wird nur Stunden vor dem geplanten Start abgesagt.
    "Die Situation war so, dass wir absagen mussten. Wir feiern jetzt ein bisschen Karneval, mit Freunden zusammen. Es ist ein ganzes Jahr, was sich gerade in Luft aufgelöst hat!" Sagt Zugmarschall Baller. Er steht am Abend in der Stadthalle, wo einige Narren überdauern. Polizisten und Ordner kontrollieren den Einlass, die Stimmung auf der Bühne vor halbleeren Bänken: heiter bis wolkig. Gerhard Baller lässt den Blick schweifen über die halbleeren Bänke - und düster fügt er hinzu:
    "Wir sind verletzlich geworden! Über jede Großveranstaltung, die demnächst stattfindet, müssen wir genau nachdenken: Wie können wir die Sicherheit der Menschen garantieren?"
    Nur regionale Themen auf den Motivwagen
    120 Motivwagen rollen zurück ins Depot. Spürhunde werden zu zwei verdächtigen Gegenständen geführt, die sich als harmlos erweisen. Der Schoduvel soll den Teufel austreiben, doch der Teufel hat diesmal nicht mitgespielt. Die Tradition reicht bis 1293 zurück, die älteste Karnevalsgesellschaft der Stadt wurde 1872 gegründet. Doch der sechs Kilometer lange Umzug lebte als Event mit touristischem Mehrwert erst in jüngster Zeit richtig auf: rund 5.000 Aktive machen mit, bis zu 200.000 Besucher kommen in besseren Jahren. Provozieren wolle man nicht, sagt Organisator Baller. Karikaturen: Fehlanzeige!
    "Wir haben regionale Themen gehabt, wir haben europäische Finanzkrise, das Stadtbad gehabt. Alle wollten sehen, wie die Menschen dieser Region fröhlich sind und feiern können."
    Die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat. Doch von möglichen Durchsuchungen oder gar Festnahmen ist bisher nichts bekannt. Über ihren Informanten und über mögliche Verdächtige hüllen sich die Behörden in Schweigen, ermittlungstaktische Gründe führen sie an. Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil tröstet die Karnevalisten per Twitter:
    Sein Innenminister, Boris Pistorius, eilt am Mittag in den Landtag, um die Abgeordneten im Innenausschuss über die bisherigen Erkenntnisse ins Bild zu setzen. Vor Journalisten bestätigt der Sozialdemokrat noch einmal, dass Braunschweig wie auch Hannover und Osnabrück Zentren der salafistischen Szene seien.
    "Ich habe ja immer gesagt, schon seit Monaten, dass wir eine abstrakte Gefährdung haben, in Niedersachsen und in Deutschland so wie in ganz Europa. Diese Konkrete konnte abgewandt werden."
    "Ich bin schon sehr erschrocken über diese Entwicklung, denn es schwächt ein Stück weit unsere Demokratie", mahnt die innenpolitische Sprecherin der CDU-Landtagsfraktion, Angelika Jahns. Die rot-grüne Landesregierung müsse nun endlich im Kampf gegen salafistische Eiferer Biss zeigen. Die Union fordert mehr Personal für den Verfassungsschutz, mehr präventive Beratung.
    Und während sich in den Karnevalshochburgen in Mainz, Köln und Düsseldorf Hunderttausende zu den Rosenmontagszügen formieren, versichert Gerhard Baller, Braunschweigs stolzer Zugmarschall, er gedenke nicht, sich verhärten zu lassen:
    "Wir werden ab Dienstag wahrscheinlich die Kamelle an Kindergärten an Schulen und so weiter verteilen. Ich denke, wir werden auf diese Art und Weise unseren Frohsinn und unsere Fröhlichkeit ein bisschen weiterverbreiten. Wir werden nicht aufgeben und wir machen weiter!"