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Nach Müller-Wohlfahrt-Rückzug
"Spieler pilgern weiter zu ihm hin"

"Kicker"-Herausgeber Rainer Holzschuh rechnet damit, dass Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt auch weiterhin Spieler des FC Bayern behandeln wird. Bei der Nationalmannschaft - und "heimlich", sagte Holzschuh im DLF. Hinter dem Konflikt vermutet er einen um die richtige Therapie.

Rainer Holzschuh im Gespräch mit Jochen Fischer | 18.04.2015
    Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt, Mannschaftsarzt beim DFB und FC Bayern München
    Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt, Mannschaftsarzt beim DFB - aber vorläufig nicht mehr beim FC Bayern München (dpa / Marc Müller)
    Jochen Fischer: Das Rezept für den Erfolg des Fußball-Bundesligisten Bayern München scheint zu sein, viel Geld für viele Topspieler, ein Cheftrainer, der motivieren kann, und eine perfekte medizinische Abteilung mit Ärzten und Physiotherapeuten. Dafür stand in den vergangenen Jahrzehnten ein Name. Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt. Jetzt hat er seinen Job hingeschmissen und alle Welt rätselt warum.
    Was läuft schief beim Rekordmeister? Diese und andere Fragen möchte ich nun mit Rainer Holzschuh vom Fußballmagazin "Kicker" besprechen. Guten Abend, Herr Holzschuh.
    Rainer Holzschuh: Einen schönen guten Abend!
    Fischer: Viel ist das ja nicht, was wir bislang über den Rückzug von Müller-Wohlfahrt gehört haben. Wissen Sie denn mehr?
    Holzschuh: Ich kann vieles vermuten. Ich weiß auch nicht mehr, als offiziell bekanntgegeben wurde. Die werden sich hüten, die Beteiligten, jetzt schon aus dem Nähkästchen zu plaudern. Aber ich kenne sowohl Müller-Wohlfahrt als auch den Vorstand des FC Bayern und kann ein bisschen zumindest ahnen, wobei ich natürlich sehr vorsichtig bin mit meinen Äußerungen.
    Fischer: Was ahnen Sie?
    Holzschuh: Sagen wir mal so: Sehr überrascht bin ich nicht. Man muss zum einen sehen, dass Müller-Wohlfahrt, der von allen ja nur "Mull" wird, in der Vergangenheit schon das eine oder andere Mal Unmut gegenüber dem FC Bayern geäußert hat. In der Ära Klinsmann ist er sogar auch mal schon weg vom Fenster gewesen und nachdem Klinsmann dann gefeuert wurde wieder zurückgekommen. Er hat aber auch schon im vergangenen Jahr mal mit Pep Guardiola, dem Trainer des FC Bayern, den einen oder anderen Disput gehabt. Und man hat sich dann wieder vor einem viertel Jahr vertragen und geschworen, mehr oder minder geschworen, dass man jetzt in Zukunft in Freundschaft und voller Vertrauen zusammenarbeitet. Das musste eigentlich schiefgehen, weil Pep Guardiola immer mehr auf die spanische Fraktion unter Spielern, unter Trainer-Assistenten, auch im Umfeld gesetzt hat und vor allen Dingen auch den einen oder anderen Spieler immer mal wieder nach Verletzung in die Heimat nach Spanien geschickt hat, und das kann einem Müller-Wohlfahrt, der in der ganzen Welt als Guru gehandelt wird, natürlich nicht gefallen.
    Fischer: Müller-Wohlfahrt selbst hat ja gesagt, in diesem speziellen Fall jetzt, nach der Champions-League-Niederlage gegen Porto, da habe man die medizinische Abteilung, seine Abteilung dafür verantwortlich gemacht. Wer hat das denn getan?
    Holzschuh: Es wird kolportiert, dass es der Vorstandsvorsitzende Rummenigge gewesen ist, was mich sehr wundern würde, weil Rummenigge selber ja noch als Spieler Müller-Wohlfahrt genossen hat bei Verletzungen und bei Diagnosen, und Müller-Wohlfahrt gilt ja vor allen Dingen als der beste Diagnosearzt überhaupt, den man sich vorstellen kann in ganz Deutschland. Aber nach solch einem Spiel und solch einer Niederlage rutscht dem einen oder anderen auch schon mal ein wenig das Mundwerk lose raus und das kann vielleicht im Übereifer passiert sein. Ob es wirklich so der Fall ist, weiß ich nicht. Das werden wir irgendwann mal erfahren.
    "Mit 72 der richtige Zeitpunkt, mit stolzer Brust zu gehen"
    Fischer: Müller-Wohlfahrt hat nun genug, er hat das Handtuch geworfen. Wie ist das? Kann es sein, dass sich da etwas aufgestaut hat, dass es häufiger vorgekommen ist, dass er kritisiert wurde, und jetzt gesagt hat, nach 40 Jahren ist jetzt endlich mal Schluss?
    Holzschuh: Ja, er wird schon gesehen haben, dass er längst nicht mehr das Standing hat als Diagnostiker, auch beim FC Bayern. Er wird gesehen haben, dass er mit seinen 72 Jahren vielleicht auch jetzt den richtigen Zeitpunkt wählen kann, um mit stolzer Brust rauszugehen, vor allen Dingen auch, um Attacken zu reiten gegen den, der seiner Meinung nach ihn ein wenig demontiert hat in den vergangenen Monaten. Es mögen alle diese Hintergründe gewesen sein. Ich weiß, dass die Spieler, die meisten Spieler zumindest, in der Vergangenheit wie aber auch in der Gegenwart nach wie vor immer zu ihm hinpilgern und auch hinpilgern werden, weil sie unheimlich viel von ihm halten und weil Müller-Wohlfahrt ihr Vertrauen genießt, und es ist ja ganz wichtig, dass ein Arzt das Vertrauen des Patienten hat. Er wird auch die Nationalspieler, vor allen Dingen die deutschen Nationalspieler in Zukunft weiter betreuen, weil er dem DFB nach wie vor bis zur Europameisterschaft zur Verfügung steht.
    Fischer: Im Hintergrund, da schwingt doch der Vorwurf dann irgendwie mit, der Mannschaftsarzt sorge dafür, dass die Spieler nicht wieder rechtzeitig ins Spiel kommen, sondern lange auskurieren. Aber muss er das nicht eigentlich so händeln, damit die Spieler, das große Kapital des Vereins, auch fit bleiben?
    Holzschuh: Das ist genau die entscheidende Frage. Es gibt immer wieder Trainer und es gab auch in der Vergangenheit immer wieder Trainer, die darauf gedrängt haben, dass die Spieler, die sie zu glauben brauchen, so schnell wie möglich wieder fit gemacht werden. Früher hieß es, dass der "Doktor Spritze" im einen oder anderen Fall, wenn dann mal wieder gespritzt werden sollte, was immer darunter zu verstehen ist. Heutzutage ist natürlich bei jedem, wie auch in der Vergangenheit bei jedem es hätte sein sollen, die Verantwortung groß, dass man sagt, ein Spieler muss auch dauerhaft gesund sein, und wenn ich ihn vorzeitig freigebe, dann kann ein Rückfall wieder eintreten. Beim FC Bayern ist in den vergangenen Monaten in der Tat pausenlos die Verletzungsseuche umgegangen und der eine oder andere Spieler ist auch mehrfach verletzt gewesen. An wem das liegt? Müller-Wohlfahrt hat mal wohl auch intern - ich sage das mit aller Vorsicht - geäußert, dass es ihm nicht passt, dass Guardiola Spieler nach Spanien schickt, weil sie dort nicht nach seiner Fasson behandelt werden und deswegen auch alles wesentlich länger dauert. Das mag Guardiola sehr stark missfallen haben. Also gibt es von beiden Seiten Gründe, wo man sagen kann, das Misstrauen ist größer geworden, und insofern hat sich das jetzt hochgeschaukelt.
    "Es kommt auf den Trainer an"
    Fischer: Gibt es das eigentlich häufiger auch bei anderen Vereinen, diesen Druck auf die medizinische Abteilung?
    Holzschuh: Druck wird es immer gegeben haben. Es kommt auf den Trainer drauf an, es kommt auf den Sportdirektor drauf an. Wenn ein Trainer ungeduldig ist, dann wird er wohl Druck äußern. Wenn ein Trainer sehr vernünftig ist und weiß, dass der Arzt nach bestem Wissen und Gewissen handelt, dann wird er auch geduldig sein und sagen, okay, machen wir ihn fit, aber er muss richtig fit sein. Das hängt von Fall zu Fall ab.
    Fischer: Hat Müller-Wohlfahrt mit seinem Rückzug jetzt den Finger in diese Wunde gelegt?
    Holzschuh: Sicherlich! Man wird in den nächsten Tagen und Wochen ernsthaft darüber diskutieren und man wird auch dann dieses Thema vor allen Dingen von Fachleuten auch kommentieren. Ich bin kein Fachmann auf diesem Gebiet. Insofern kann ich nur das sagen, was ich von allen Seiten immer wieder höre. Aber ein Fachmann wird sich mit Sicherheit dazu äußern, und nicht nur einer, sondern von vielen Seiten.
    Fischer: Wie geht es denn jetzt weiter beim FC Bayern? Wer macht denn nun die medizinische Leitung?
    Holzschuh: Man hat ja schon verschiedene Ärzte in den Reihen, nicht nur Müller-Wohlfahrt, sondern auch Ärzte, die die Jugendabteilung betreuen, die andere Abteilungen betreuen. Da greift man momentan drauf zurück. In München gibt es eine ganze Reihe von hervorragenden Fachärzten, die sicherlich auch gerne beim FC Bayern arbeiten wollen, weil dadurch natürlich auch ihre Popularität steigt und dadurch auch ihr Einkommen steigt. Ich kann mir vorstellen, dass es nicht so ganz schwierig sein wird für den FC Bayern, über kurz oder lang wieder schnell Ärzte zu besorgen.
    Fischer: Dann haben sie neue Ärzte. Aber wie finden das denn die Spieler? Wird das nicht Unruhe in den Laden bringen?
    Holzschuh: Das Vertrauen der Spieler war immer da zu Müller-Wohlfahrt, vor allen Dingen der deutschen Spieler, und da wird natürlich eine innere Diskrepanz bei ihnen auftauchen. Ich möchte fast sagen, dass der eine oder andere Spieler bestimmt auch heimlich zu Müller-Wohlfahrt geht, selbst wenn der Verein das nicht so ganz gut findet.
    Fischer: Der Mannschaftsarzt von Bayern München, Müller-Wohlfahrt, wirft hin - Einschätzungen dazu von "Kicker"-Herausgeber Rainer Holzschuh.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.