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"Nach Russland ist die Sklaverei zurückgekehrt"

Swetlana Gannuschkina von der russischen Menschenrechtsorganisation "Memorial" ist äußerst besorgt über die Lage georgischer Flüchtlinge aus Südossetien und Abchasien und die Situation von Arbeitsmigranten in Russland. Beide Gruppen litten unter russischer Willkür, insbesondere die Arbeiter würden behandelt wie Sklaven.

Swetlana Ganuschkina im Gespräch mit Sabine Adler |
    Sabine Adler: Vor einigen Wochen herrschte in Georgien, in Südossetien Krieg. Ein kurzer zwar, aber immerhin ein Krieg. Was geht heute in dem Konfliktgebiet vor sich, was beunruhigt Sie, Swetlana Gannuschkina, als Menschenrechtlerin an dieser Situation?

    Gannuschkina: Das ist die Rückkehr der Flüchtlinge. Die Mehrheit der ethnischen Georgier aus Südossetien und Abchasien hält sich in Georgien auf. Insgesamt 20.000 geflohene ethnische Georgier können nicht nach Südossetien zurückkehren. 1992/93 sind schon einmal 50.000 Georgier geflohen, damals aus Abchasien. Sie halten sich in Russland auf, die meisten, 35.000, rund um Moskau. Diese Flüchtlinge wurden während dieser nunmehr 16 Jahre nicht als Flüchtlinge anerkannt. Als sie damals nach Russland flohen, galt noch der Visa-freie Grenzverkehr innerhalb der Grenzen der alten Sowjetunion. Das ist seit 2001 vorbei, doch nur der allerkleinste Teil der Flüchtlinge bekam ein Visum und damit einen legalen Status. Hinzu kommen neue Flüchtlinge aus Südossetien, die zunächst ins georgische Kernland geflohen waren und jetzt weiterziehen, weiter nach Russland, weil die Bedingungen in Georgien für sie miserabel sind.
    Der Westen muss die Frage stellen, wann die Flüchtlinge zurückkehren können, beziehungsweise wie man ihnen helfen kann. Das ist ein vergessenes Problem.

    Adler: Swetlana Gannuschkina, wie sehr rechnen Sie damit, dass sich mit der Finanz- und Wirtschaftskrise die ohnehin schwierige Lage der Arbeitsmigranten in Russland verschlechtert?

    Gannuschkina: Im vorigen Jahr, als wir begannen, uns gründlich mit der Lage der Arbeitsmigranten zu befassen, haben wir derart schockierende Menschenrechtsverletzungen festgestellt, dass wir dafür nur einen Begriff fanden: Sklaverei. Nach Russland ist die Sklaverei zurückgekehrt. Den Arbeitern (zum Bespiel aus Tadschikistan, Armenien oder Moldau) wird häufig überhaupt kein Lohn gezahlt, sie werden geschlagen. Es herrscht Korruption in großem Ausmaß. Die Polizeispezialeinheit Omon, die für Arbeitsmigranten in keiner Weise zuständig ist, wird genannt im Zusammenhang mit Einschüchterungsaktionen. Manchmal sind es Firmen, die die Omon-Polizisten bestellen, die dann bei den Arbeitsmigranten auf Baustellen oder Märkten auftauchen, dort die Leute verhaften, schlagen oder sie mitnehmen, um sie woanders ohne jede Kopeke arbeiten zu lassen. Für uns Menschenrechtsaktivisten werden sie auf einem Gebiet tätig, bei dem es genau genommen um Kriminalität geht.
    Als wir damit begannen, bekamen wir als erstes Besuch von den Omon und dann vom staatlichen Migrationsamt. Als sie uns fragten, wer wir überhaupt sind, haben wir nur auf eine Urkunde an der Wand verwiesen und gesagt: Manch einer kennt Memorial, manch einer nicht. An der Wand hing ein Dankesschreiben vom damaligen Präsidenten Putin. Da wurden sie ganz schnell fertig mit ihren Ermittlungen und gingen.

    Adler: In der vergangenen Woche hat das russische Parlament die Verlängerung der Amtszeit des russischen Präsidenten beschlossen. War das rechtmäßig?

    Gannuschkina: Was soll ich dazu sagen? Die Amtszeit unseres Präsidenten Medwedew ist noch sehr kurz und da taucht natürlich der eine oder andere Verdacht auf, wenn man jetzt die Verfassung ändert und uns wahrscheinlich bald erklärt, dass wir demnächst wählen werden, weil nicht mehr das gilt, was galt, als wir Medwedew gewählt haben. Es wird schon bald dazu kommen, dass Wladimir Putin unser Land führt und Medwedew die Partei "Einiges Russland". Die Sieger dieses Wettbewerbs stehen schon jetzt fest und wir werden Putin für 12 weitere Jahre bekommen. Zu solchen Wahlen habe ich noch weniger Lust als schon zu den letzten. Das ist ein falsches politisches Spiel, Betrug.

    Adler: Man hört wenig aus und über Tschetschenien ...

    Gannuschkina: Das kann ich erklären. Auch von mir hat man wenig gehört. Das gegenwärtige tschetschenische Regime lässt keine lauten Auftritte zu. Die Leute haben Angst. Aber eine ganz andere als zu der Zeit, als Bomben fielen. Diese Angst jetzt sitzt tief. Im Jahr 2000, 2003 liefen die Mütter auf die Straßen und beklagten die willkürlichen Festnahmen und das Verschwinden ihrer Söhne und Männer. Heute bleibt alles ruhig. Damals protestierten sie, gingen zu den Behörden, kamen zu uns, zu Memorial. Aber wenn jetzt jemand um Hilfe bittet, will er etwas anderes: Wir sollen einen Deal mit den Machthabern aushandeln und darüber Stillschweigen bewahren.
    Die ganze Wahrheit über Tschetschenien kennen wir wahrscheinlich gar nicht mehr. Wir fürchten, unseren Jahresbericht über die Lage der Tschetschenen in Russland herauszugeben. Im vorigen Jahr bekamen wir danach solchen Ärger. Als wir dem tschetschenischen Präsidenten Ramsan Kadyrow unsere Arbeit erläuterten, sagte er: Ich verstehe nicht, wozu es Menschenrechtsaktivisten braucht, um Informationen zu bekommen. Ich habe in jedem Taxi einen Agenten, weiß auch so Bescheid.
    Dieses Jahr werde ich nur zwei Kapitel des Berichts veröffentlichen: das über fabrizierte Anklagen gegen Tschetschenen und das über ihre Situation in den russischen Gefängnissen, wo Russen, die im Tschetschenien-Krieg dienten sie umbringen. Alles andere erläutere ich lieber mündlich.

    Schulz: Swetlana Gannuschkina von der russischen Menschenrechtsorganisation 'Memorial'. Die Fragen stellte Sabine Adler.