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Nach Trumps Atomabkommen-Entscheidung
"Verhindern, dass der Nahe Osten nuklearisiert wird"

Der Grünen-Politiker Omid Nouripour warnt vor einem atomaren Wettrüsten im Nahen Osten. Sollte das Atomabkommen mit dem Iran nach dem Ausstieg der USA scheitern, sei dies "weit gefährlicher als alles, was wir bisher gesehen haben", sagte der außenpolitische Sprecher der Grünen im Dlf.

Omid Nouripour im Gespräch mit Mario Dobovisek | 09.05.2018
    Der außenpolitische Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion, Omid Nouripour, am 28. Februar 2017 in Berlin.
    Der außenpolitische Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion, Omid Nouripour (dpa / picture-alliance / Britta Pedersen)
    Mario Dobovisek: Das war’s! Die Hardliner in Washington und Jerusalem jubeln. Das Atomabkommen mit dem Iran ist am Ende, zumindest für die USA, denn die ziehen sich jetzt aus dem Abkommen zurück, aus dem schlechtesten Deal der Welt, wie US-Präsident Donald Trump sagt.
    Der US-Präsident macht Ernst. Die USA steigen aus dem Atomabkommen mit dem Iran aus und setzen ihre Wirtschaftssanktionen wieder ein. Darüber will ich sprechen mit Omid Nouripour, außenpolitischer Sprecher der Grünen im Bundestag. Er ist in Teheran geboren und hat neben der deutschen auch die iranische Staatsbürgerschaft. Guten Morgen, Herr Nouripour!
    Omid Nouripour: Schönen guten Morgen!
    Dobovisek: Was bedeutet Donald Trumps Entscheidung jetzt für die Stabilität im Nahen Osten?
    Nouripour: Nichts Gutes. Das ist eine Entscheidung, die verheerender ist sogar, glaube ich, als die falschen Entscheidungen von George W. Bush, 2003 im Irak einzumarschieren, weil das ein Atomabkommen aufkündigt, was ein riesiges Hindernis war auf dem Weg der Nuklearisierung der Region. Wenn das Abkommen tatsächlich scheitert, was ja noch nicht gesagt ist, dann wird dies dazu führen, dass es keine Inspektionen mehr gibt, dass die Iraner ihre Zentrifugen alle wieder auf voller Tour laufen lassen, und das ist der schnellste Weg des Iran zur Bombe und damit eigentlich auch gleichzeitig der schnellste Weg Saudi-Arabiens zur Bombe, von dem wir wissen, dass sie relativ schnell dann sich auch eine Bombe würden besorgen wollen.
    "Ich verliere immer mehr Respekt vor diesem Mann"
    Dobovisek: Nun sagt Donald Trump aber, mit dem Abkommen sei der Iran auf dem schnellsten Weg zur Bombe.
    Nouripour: Ganz ehrlich? Ich verliere täglich immer mehr Respekt vor diesem Mann, weil er andauernd irgendwelche Dinge behauptet, von denen niemand weiß, wie er dazu kommt. Das Abkommen hat das härteste Inspektionsregime der Geschichte der Menschheit für das iranische Atomprogramm nicht nur vorgesehen, sondern auch implementiert. Die Inspekteure sind da, die schauen sich das alles an, und deshalb wissen wir ziemlich genau, was da passiert. Vorher wussten wir es eben nicht und die Zentrifugen liefen, wie sie Lust hatten, und deshalb ist das absurd zu behaupten, das Abkommen wäre ein Beitrag zur Nuklearisierung, sondern im Gegenteil: Das ist das letzte Hindernis gewesen. Und ich hoffe sehr, dass wir es schaffen, es zu erhalten.
    "Weit gefährlicher als alles, was wir bisher gesehen haben"
    Dobovisek: Stehen wir ansonsten vor einem neuen gefährlichen atomaren Wettrüsten?
    Nouripour: Wir stehen vor einem weit gefährlicheren, als wir es bisher hatten. Wer glaubt, wenn Iran und Saudi-Arabien die Bombe haben, dass das dann zu so was führen würde wie dem nuklearen Ausgleich des Horrors, wie wir es im Kalten Krieg hatten, vertut sich. In Teheran und Riad gibt es so viele Akteure, von denen wir in den letzten Jahren gesehen haben, dass es da nicht nur um Vernunft geht, und deshalb ist das weit gefährlicher als alles, was wir bisher gesehen haben.
    Dobovisek: Wenn die USA jetzt wieder Sanktionen verhängen, wie sollte sich Europa, wie sollte sich Deutschland verhalten, auch mit Blick auf die eigene Wirtschaft, die im Iran ja investieren will oder schon längst dabei ist?
    Nouripour: Auf der einen Seite haben die Amerikaner ja verkündet, dass sie die bisherigen Sanktionen, die wegen des Abkommens ausgesetzt worden sind, wieder implementieren wollen. Aber es ist gestern Abend ja auch angekündigt worden, dass neue dazukommen würden. Ich würde erst gerne abwarten, was das denn genau bedeutet, solche Art von Sanktionen.
    Andere Partner müssen Sanktionen abfedern
    Dobovisek: … und Sanktionen gegen all jene Länder, sagt Trump, die den Iran unterstützen. Also möglicherweise auch deutsche Firmen und damit Deutschland.
    Nouripour: Das ist richtig und deshalb muss man genau abwarten, was sie genau tun. Und dann ist es dringend notwendig, dass die Signatarstaaten, auf unserer Seite des Tisches sind es ja Deutschland, Frankreich, Großbritannien, China und Russland, und der Iran sich zusammensetzen. Es gab von allen sechs Staaten bereits die klaren Signale, dass man sich zusammensetzen will, um miteinander darüber nachzudenken, wie man die Sanktionen denn so abfedert, dass die Iraner tatsächlich noch drin bleiben können. Es gibt im Iran ausreichend Hardliner, die der Meinung sind, ist ja super, dass das Abkommen weg ist, lasst uns jetzt endlich die Bombe bauen.
    "Amerikaner treiben uns immer weiter Richtung Russland und China"
    Dobovisek: Das haben wir auch in den vergangenen Monaten beobachten müssen im Iran, diesen Machtkampf zwischen Hardlinern und Präsident Rohani. Wie sehr steht der jetzt unter Druck?
    Nouripour: Na ja, er hat massiven Druck. Er hat immer dafür geworben, dass es einen Ausgleich gibt zu dem Abkommen, und die andere Seite hat immer gesagt, Du kannst doch nicht mit dem Westen paktieren, Du kannst nicht ein Abkommen mit den USA abschließen, den Amerikanern könne man nicht trauen, die würden alle Abkommen grundsätzlich immer brechen. Diese Leute haben seit gestern Abend natürlich massiven Aufwind und Auftrieb und deshalb ist es umso wichtiger, dass wir so schnell wie möglich zusammenkommen und versuchen, eine Möglichkeit zu finden, wie wir das Abkommen ohne die Amerikaner retten können, wobei die amerikanischen Freunde verstehen müssen, dass sie, wenn sie in dieser Rücksichtslosigkeit gegen unsere nationalen und kontinentalen Sicherheitsinteressen vorgehen, dass sie uns wie automatisch immer weiter in diesen Fragen Richtung Russland und China treiben, weil wir mit denen arbeiten können und mit dem Weißen Haus anscheinend derzeit nicht. Und das sage ich als zutiefst überzeugter Transatlantiker!
    Dobovisek: Sie sagen, amerikanische Freunde. Sind es denn noch Freunde?
    Nouripour: Die transatlantischen Beziehungen basieren ja auf Werten und vor allem auf Freundschaften zwischen Völkern, und das amerikanische Volk, wie ich es kennengelernt habe, ist ja nicht Donald Trump. Aber es ist sicher so, dass das, was im Weißen Haus derzeit passiert, eine immense Belastung ist für das transatlantische Verhältnis.
    "Die Amerikaner haben genug Mittel in der Hand, um das Abkommen zu sabotieren"
    Dobovisek: Kommen wir zurück zu dem Atomabkommen. Wie kann ein Atomabkommen mit dem Iran ohne die USA funktionieren, auch vor dem Hintergrund, dass Rohani im Iran ja so dermaßen unter Druck steht, und wenn die Sanktionen der USA jetzt wieder greifen, wird es dem Iran wirtschaftlich nicht besser gehen. Wie kann ein Atomabkommen unter diesen Vorzeichen funktionieren?
    Nouripour: Wir werden uns wie gesagt sehr genau anschauen müssen, welche Sanktionen verhängt werden jetzt neu, und alle miteinander reden müssen, auch mit unserer Wirtschaft, wie wir es schaffen können, die Sanktionen abzufedern. Aber es ist mir schon klar, dass wenn die Amerikaner wirklich ganz fest darauf aus sind, das Abkommen zu sabotieren, sie genug Mittel in der Hand haben, dass wir es wahrscheinlich nicht schaffen werden. Das macht es umso dramatischer.
    Aber es gibt ja noch etwas, was so dramatisch ist. Die Amerikaner sagen ja die ganze Zeit, es gäbe riesige Probleme mit dem Iran, die vom Abkommen nicht betroffen seien, und über die müsste man reden. Das ist völlig richtig. Das Atomabkommen mit dem Iran beinhaltet nicht die problematischen Felder des ballistischen Raketenprogramms des Landes, die Menschenrechtslage des Landes, die hoch aggressive Regionalpolitik des Landes, allen voran mit militärischer Präsenz in Syrien.
    "Verhindern, dass der Nahe Osten nuklearisiert wird"
    Dobovisek: Sind das die größten Mängel des Vertrages, des Abkommens?
    Nouripour: Nein, das sind eben nicht die Mängel des Vertrages, weil der Vertrag sich auf ein einziges Thema bezieht, nämlich, dass der Iran nicht nuklearisiert wird. Das Problem jetzt ist seit gestern Abend, dass diese Themen nicht mehr wirklich bearbeitet werden können zusammen. Wir hätten uns zusammensetzen können mit den amerikanischen Freunden, um darüber nachzudenken, wie man diese Probleme löst. Jetzt hat höchste Priorität, dass wir verhindern, dass der Nahe Osten nuklearisiert wird. Alles andere wird jetzt nicht hinten runterfallen, aber nicht mehr prioritär behandelt werden, und schuld daran ist Trump!
    Dobovisek: Welche Rolle könnte Deutschland dabei spielen, die Bundesregierung?
    Nouripour: Die Bundesregierung hat in den letzten Wochen, und es ist nicht Teil meiner Jobbeschreibung, die Bundesregierung zu loben, aber sie hat in den letzten Monaten tatsächlich viel dafür getan, das Abkommen zu retten, und zwar im europäischen Chor, gemeinsam mit den Franzosen und den Briten, und das muss man so weitermachen. Aber noch mal: Das oberste Ziel muss bleiben, dass die Iraner aus dem Abkommen nicht aussteigen.
    Dobovisek: Wie könnte es damit jetzt weitergehen, mit diesen Verhandlungen, die ja bei all dem, was Sie uns gerade erzählen, was uns andere auch erzählen und noch erzählen werden, so schwierig sind, fast aussichtslos?
    Nouripour: Na ja. Man muss natürlich klar bleiben den Amerikanern gegenüber. Ich freue mich sehr, dass es endlich nach eineinhalb Jahren einen US-Botschafter in diesem Land geben wird.
    "Das ist einfach kein Ton der Zusammenarbeit"
    Dobovisek: …, der gleich auch als erste Amtshandlung per Tweet den deutschen Wirtschaften einen Schuss vor den Bug setzt und sagt, ihr müsst so schnell wie möglich raus aus dem Iran.
    Nouripour: Er sagt nicht, so schnell wie möglich; er sagt, sofort! Das ist ja weit schlimmer. Deshalb muss man da sehr klar und deutlich, natürlich freundlich und diplomatisch im Ton, aber sehr klar in der Sache sagen, willkommen in diesem Land, wir freuen uns sehr auf die Zusammenarbeit. Aber zu einer guten Zusammenarbeit gehört, dass man nicht eine hoch aggressive, rücksichtslose Politik unseren Sicherheitsinteressen gegenüber fährt und, bevor man hier überhaupt sich einmal hat zeigen lassen, erst mal die deutsche Wirtschaft bedroht. Das ist einfach kein Ton der Zusammenarbeit und das muss man ihnen auch sehr klar und deutlich sagen.
    "Trump ist sicher kein verlässlicher Partner"
    Dobovisek: Jetzt ist ja das Atomabkommen nicht das einzige Missgeschick, so nennen wir es mal vorsichtig, das transatlantisch die Beziehungen belastet. Wir haben den Handelsstreit, wir haben auch den Ausstieg aus dem Klimaabkommen. Sind die USA überhaupt noch ein verlässlicher Handelspartner?
    Nouripour: Trump ist sicher kein verlässlicher Partner, aber im Klimabereich sehen wir ja und haben es auch gesehen, dass es tatsächlich funktioniert, bis zu einem gewissen Grad das, was an Wahnsinn passiert im Weißen Haus, abzufedern, indem man subnationale Akteure findet, indem man mit Staaten paktiert, indem man Klimabündnisse macht mit Städten und mit Bundesstaaten. Das heißt, es gibt vieles, was man tun kann, und man muss immer wieder sehr mühsam und sehr mühselig versuchen, um das Weiße Haus herum Politik aufzubauen. Aber das ist natürlich nicht einfach und hat natürlich Grenzen.
    Dobovisek: Omid Nouripour, außenpolitischer Sprecher der Grünen im Bundestag. Vielen Dank für das Interview, das wir vor knapp einer Stunde aufgezeichnet haben, weil Herr Nouripour jetzt gerade im Flugzeug sitzt.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.