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Nach Urteil zu Landeslisten
"Die AfD wird sich weiter als Opfer darstellen"

Der Sächsische Verfassungsgerichtshof hat entschieden, dass die AfD bei der Landtagswahl mit 30 Listenkandidaten antreten darf. Damit sei eine nachvollziehbare, vernünftige Lösung gefunden worden, sagte der Politologe Hans Vorländer im Dlf. Die AfD werde aber weiter "die Sache am Köcheln" halten.

Hans Vorländer im Gespräch mit Peter Sawicki | 17.08.2019
Die Mikrofone verschiedener Medien stehen anlässlich einer Wahlkampfveranstaltung der AfD auf dem Rednerpult.
Trotz des Urteils des Sächsischen Gerichtshofs halte die AfD "die Sache am Köcheln", kritisierte der Politikwissenschaftler Hans Vorlädner im Dlf (dpa/ZB/ Sebastian Kahnert)
Peter Sawicki: In zwei Wochen wird in Sachsen ein neuer Landtag gewählt. Die AfD macht sich Hoffnungen, dann stärkste Kraft zu werden. Zuletzt war aber nicht einmal klar, wie viele AfD-Kandidaten über die Landesliste überhaupt antreten durften. Die Partei wollte ursprünglich 61 Personen auf die Liste setzen, dies wurde vom Landeswahlausschuss dann auf 18 reduziert.
Jetzt hat der sächsische Verfassungsgerichtshof bestätigt, dass 30 Kandidaten zugelassen werden. Was dieses Urteil für die Wahl und den Wahlkampf in Sachsen bedeutet, das können wir jetzt mit Hans Vorländer besprechen, er ist Politikwissenschaftler an der TU Dresden. Schönen guten Morgen, Herr Vorländer!
Hans Vorländer: Guten Morgen, Herr Sawicki!
Sawicki: Nun ist die Landesliste also endgültig kürzer als ursprünglich gewollt von der AfD. Was bedeutet dieses Urteil aus Ihrer Sicht?
Vorländer: Das bedeutet, dass die AfD nur zur Hälfte Recht bekommen hat, weshalb sie nach wie vor darauf besteht, dass ihr großes Unheil geschehen ist, dass nach wie vor, so argumentiert sie ja, rechtswidriges Verhalten des Wahlausschusses vorliegt. Und damit drückt sie natürlich auch weiter an der Erzählung, dass sie ungerecht behandelt worden ist beziehungsweise gar ausgeschlossen aus einem fairen Wettbewerb. Und das ist für die AfD jetzt wichtig, aufrecht zu erhalten, um sozusagen ihrer Wählerschaft klar zu machen, dass sie schlechter behandelt wird als die anderen Parteien.
Sawicki: Ist das eine stichhaltige Argumentation?
Vorländer: Nein, nach dem, was der Verfassungsgerichtshof ja gestern ausgeführt hat, ist das nicht stichhaltig. Einerseits, da hat die AfD in ihrer Beschwerde natürlich recht, hat der Verfassungsgerichtshof ja deutlich gesagt, dass bis zum Platz 30 es ganz unstrittig sein müsste, dass die Kandidaten eben auch auf der Liste vertreten sein können, weil eben doch die Wahl einheitlich nach Einzelwahl erfolgt ist, auch wenn es zwei Versammlungen waren.
Dass dann aber das Wahlverfahren geändert wurde ab Platz 31 ... also die Entscheidung des Landeswahlausschusses nicht zu beanstanden, dass der Wahlausschuss dann eben doch festgestellt hat, dass es sich hier um eine unzulässige Veränderung des Wahlverhaltens handelt. Also es ist ein bisschen kompliziert, aber es ist in der Sache, glaube ich, nachvollziehbar. Dass die AfD jetzt gleichwohl sogar auch Strafanzeige stellen will wegen Rechtsbeugung und das auch noch durch Vorsatz ist politisch deutlich und klar, ist aber, glaube ich, in der Sache selbst, also rechtlich, nicht wirklich einschlägig.
Vorländer: Landeswahlleitung hat nicht richtig abgewogen
Sawicki: Vielleicht nicht vorsätzlich, aber hat die Landeswahlleitung fahrlässig gehandelt?
Vorländer: Ja, ich glaube, dass sie nicht richtig abgewogen hat, was da passiert ist, und dass sie nicht gesehen hat, welch großer Eingriff das in die Wahlrechtsgleichheit bedeutet nämlich für die Kandidaten.
Sawicki: Wie konnte das passieren?
Vorländer: Ja, das weiß man in solchen Situationen nicht. Vielleicht ist es einfach eine recht fehlerhafte Ermessensentscheidung gewesen, dass hier so gesehen … Einfach die Tatsache, dass es zwei Versammlungen gab mit zwei unterschiedlichen Versammlungsleitern, ist dann so gewertet worden, und dass eben auch das Wahlverfahren geändert wurde. Und bis Platz 30 hätte man das sicherlich anders bewerten können, der Verfassungsgerichtshof sagt, auch anders bewerten müssen. Und ob da nun ein politisches Kalkül dahintersteht, vermag ich nicht zu beurteilen, das müssen dann eben Gerichte tun, wenn es um die Frage geht, ob es sich tatsächlich um Rechtsbeugung handelt.
Sawicki: Und wenn wir auf den Ursprung des Ganzen schauen, also überhaupt die ursprüngliche Aufstellung oder der Versuch der Aufstellung der Liste der AfD, würden Sie dann Kalkül dahinter vermuten?
Vorländer: Vonseiten der AfD?
Vorländer: AfD hat nicht gesehen, dass man sich da ein Rechtsproblem einhandelt.
Sawicki: Vonseiten der AfD.
Vorländer: Nein, ich glaube das nicht, weil die AfD sich ja selbst geschadet hätte. Also eine so komplizierte Geschichte zu stricken, dass man immer das Opfer ist und das bewusst herbeiführt, ich glaube, so etwas sollte man nicht annehmen. Es war schlicht und einfach, glaube ich, vonseiten der AfD bei der Veränderung des Wahlverfahrens ein Fehler, der vielleicht den zeitlichen Zwängen zuzuschreiben ist, wenn man ohnehin schon eine zweite Versammlung hatte. Das ist, glaube ich, vielleicht schlicht und einfach von der Seite der AfD nicht gesehen worden, dass man sich da ein Rechtsproblem einhandelt.
"Jetzt ist ein bisschen die Luft raus"
Sawicki: Nun stellt sich trotzdem die Frage, welche Rolle das in den verbliebenen Tagen im Wahlkampf spielen könnte. Könnte das der AfD in die Karten spielen?
Vorländer: Also ich glaube, dass jetzt ein bisschen die Luft da raus ist, denn die andere mögliche Entscheidung, dass eben nur bis Listenplatz 18 die Aufstellung der Kandidaten rechtmäßig gewesen wäre, das in der Tat hätte der AfD in doch vielfältiger Weise geholfen, weil sie sich dann eben doch als das große Opfer der sogenannten Altparteien oder des Kartells – wie manchmal auch gesagt wird – der Altparteien begreifen kann.
Jetzt ist eine nachvollziehbare, vernünftige Lösung gefunden worden. Die AfD wird sicherlich, und das hat sie ja schon angekündigt durch Ihren Vorsitzenden, nach wie vor sich als Opfer darstellen. Ob das dann auch dazu führt, dass die AfD weniger Kandidaten in den Landtag hineinbekommt, bleibt dem Wahlergebnis vorbehalten.
Es könnte sein theoretisch nach jetzigen Prognosen, dass vielleicht zwei oder drei Kandidaten, die gewählt würden, dann eben nicht im Landtag wären, weshalb ja die AfD auch noch mal angekündigt hat, dass sie das ganze Verfahren dem Wahlprüfungsausschuss des neuen Landtags und vielleicht sogar einem Untersuchungsausschuss des neuen Landtags zuweisen will. Das heißt, sie hält die Sache am Köcheln, ohne dass sie, glaube ich, in der Sache selbst sehr viel mehr hätte erreichen können.
Vorländer: AfD könnte mit 30 bis 32 Kandidaten rechnen
Sawicki: Und ist denn ungefähr berechenbar, bei welchem Wahlergebnis ungefähr diese jetzt ja am Ende verkürzte Liste praktische Auswirkungen auf die Sitzverteilung hätte?
Vorländer: Ja, also nach jetzigen Prognosen könnte die AfD etwa mit 30, 32, 33 Abgeordneten rechnen.
Sawicki: Von 120 ungefähr.
Vorländer: Ja, genau. Man muss natürlich davon ausgehen, dass auch die AfD eine Reihe von Direktkandidaten durchbekommt, und dann muss man sehen, wie das Verhältnis zwischen Direktkandidaten und Listenkandidaten, also zwischen Erst- und Zweitstimme ist. Davon hängt dann letztlich die Zusammensetzung ab. Aber nach dem, was man so überschlägig einschätzen kann, weil viele der jetzt auf der Liste befindlichen Kandidaten auch klassisch Direktkandidaten sind, könnte es eben sein, dass am Ende ein oder zwei Kandidaten eben nicht dann Abgeordnete werden, weil eben nur 30 auf der Liste sind.
"Politisch würde das ausgeschlachtet werden"
Sawicki: Wäre das dann politisch ein Problem?
Vorländer: Politisch würde das ausgeschlachtet werden, selbstverständlich, weil dann wird gesagt, wir sind nicht repräsentiert so, wie unser Gewicht bei den Wählern bemessen worden ist. Und das ist ja das alte Argument, man hört nicht auf uns, wir sind nicht repräsentiert, wir werden ausgeschlossen, und genau dieses Argument wird ja nun auch weiter von der AfD vorgetragen. Insofern versucht sie, das politisch nach wie vor natürlich auch auszuschlachten.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.