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Nachdenken über die friedliche Revolution

Das Wissen über die DDR bei der jüngeren Generation ist nach wie vor erschreckend lückenhaft, Kostprobe: Willy Brandt war Generalsekretär der SED. Dagegen ist die Aufarbeitung des SED-Unrechts relativ gut gediehen. Licht und Schatten also als Fazit der Jubiläumsfeier "Vor 20 Jahren".

Von Margarete Limberg | 09.05.2009
    Wie steht es um die Aufarbeitung des DDR-Regimes, und wie ist es um die Vermittlung der gewonnenen Erkenntnisse bestellt ? Neben der stolzen Rückschau von Politikern und Zeitzeugen auf die friedliche Revolution 1989 standen diese Fragen im Mittelpunkt der Jubiläumsfeier. Und sie wurden sehr gegensätzlich beantwortet. Bei der historischen Aufarbeitung der SED-Diktatur sei man auf gutem Wege, lautete das einhellige Urteil einer Expertenrunde. Umso mehr hapert es bei dem Bemühen, die sehr gründlichen Kenntnisse über fast alle Aspekte der Politik und des Lebens in der DDR einer breiteren Bevölkerung zu vermitteln. Dass ein erschreckend hoher Prozentsatz der Jugendlichen Willy Brandt für einen Generalsekretär der SED hält , ist nur ein Indiz. Der Leiter des Forschungsverbundes SED – Staat an der FU – Berlin, Prof. Klaus Schröder:

    Die jüngsten Auseinandersetzungen über die Frage, ob die DDR ohne Wenn und Aber als Unrechtsstaat beschrieben werden muss oder ob es zu rechtfertigen ist, auch mutmaßlich gute Seiten herauszuklauben, spiegelten sich auch in den Diskussionen der Berliner Veranstaltung wider. Ohne klare Wertmaßstäbe gehe es nicht, meinte Prof. Schröder. Der Historiker Christoph Klessmann riet zur Zurückhaltung:

    Eine, die sich ständig mit der Frage konfrontiert sieht, wie und mit welchem Ziel das Wissen über die DDR weitergegeben wird, ist die Leiterin der Stasi – Unterlagenbehörde, Marianne Birthler:

    Liegt der Schwerpunkt bei der Beschäftigung mit dem SED-Regime , wie manche kritisieren, zu einseitig bei der Staatssicherheit ? Marianne Birthler weist diesen Vorwurf zurück. Zunächst einmal sei es doch ganz selbstverständlich gewesen, dass die Menschen wissen wollten, wer sie verraten hat. Außerdem sei die DDR ohne die Stasi nicht zu verstehen, und die Akten außerdem eine unverzichtbare historische Quelle. Aber auch Marianne Birthler sieht die Notwendigkeit, den Blick auf das, wie sie sagt, Verführerische des Systems zu erweitern, das neben der Angst und der sowjetischen Präsenz das Überleben der DDR so lange sicherte.

    Wie schwierig es ist, gegen liebgewordene Legenden anzugehen, erleben die Erforscher des DDR-Alltags immer wieder. Über die Frage, ob es jenseits der Angst andere Bindungskräfte gab, wie die auf niedrigem Niveau vorhandene soziale Sicherheit oder vor allem in den ersten Jahren den antifaschistischen Impetus, gingen die Meinungen jedoch auseinander. Von Gewöhnung an die Ohnmacht sprach Birthler-Vorgänger Joachim Gauck. Und rechnete auf seine Weise mit den Nostalgikern ab:

    Gegen die Nostalgiker haben es die demokratischen Aufklärer auch 20 Jahre nach der historischen Wende von 1989 schwer. Für viele ist die Erinnerung an die Angst machenden Wirklichkeit der DDR-Diktatur angesichts der Angst vor dem Absturz nach ganz unten in Zeiten der Krise verblasst oder ganz verschwunden. Und auf die Schulen als Korrektiv kann man sich offenbar nicht verlassen. Noch einmal Marianne Birthler:

    Bei allen unbestrittenen Leistungen der Aufarbeitung der DDR – Geschichte ist das 20 Jahre nach der friedlichen Revolution eine erschreckende Bilanz. Dass die wissenschaftlichen Erkenntnisse und ihre Vermittlung im Dienst der Demokratieerziehung so weit auseinanderklaffen, lässt eine große Ratlosigkeit zurück.