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Nachhaltige Entwicklung
Verbindlichkeit im Klimaschutz

Die UN-Agenda für nachhaltige Entwicklung von 2015 war unverbindlich. Die darin enthaltenen Empfehlungen werden nur von wenigen Ländern befolgt, ansonsten hat sich kaum etwas verändert. Die Bundesregierung diskutiert nun ein verbindliches Klimaschutzgesetz, welches die Ziele der UNO doch noch umsetzt.

Von Andreas Beckmann | 14.03.2019
Frauenhände halten einen Globus (04.06.2012).
Die Große Koalition hat beschlossen, ihre Klimaschutzziele für 2020 fallen zu lassen (dpa / picture-alliance / Angelo Cavalli)
Es sollte ein großer Wurf werden. "Eine Transformation der Welt zum Besseren" versprachen die Vereinten Nationen im September 2015, als sie ihre "Agenda für nachhaltige Entwicklung" beschlossen. Gerade hatte die Weltorganisation ihr wichtigstes Milleniumsziel für die Hälfte der Menschheit erreicht: Niemand sollte mit weniger als 1,25 Dollar am Tag auskommen müssen. Mit der "Agenda für nachhaltige Entwicklung" wurden nun 17 weitergehende Ziele ins Auge gefasst: "Den Hunger beenden" etwa oder "Zugang zu bezahlbarer und verlässlicher Energie", wobei gleichzeitig auch noch "umgehende Maßnahmen zur Bekämpfung des Klimawandels" ankündigt wurden. Die gesamte Agenda war allerdings unverbindlich gehalten, bemerkt die Politologin Elisabeth Hege vom Institut für Nachhaltige Entwicklung und Internationale Beziehungen in Paris:
"Wenn man diese Nachhaltigkeitsziele verbindlich gemacht hätte, wären sie lange nicht so umfangreich, wie sie sind. Das ist immer ein Kompromiss. Wenn man unverbindliche Abkommen hat, dann können sie ehrgeiziger sein, weil sie den Ländern weniger Angst machen und niemand sie blockiert. Ich glaube, wir hätten diese Nachhaltigkeitsziele nie bekommen, wenn man darauf gepocht hätte, dass sie verbindlich seien."
Wenn Regierungen vor verbindlichen Festlegungen zurückschrecken, muss der Hintergrund aber nicht der Versuch sein, das Abkommen zu unterlaufen, ergänzt Ortwin Renn, der in Potsdam das Institut für Transformative Nachhaltigkeitsforschung IASS leitet:
"Wir müssen sehen, dass natürlich in vielen Ländern die Regierungen gar nicht den Durchgriff haben, das zu tun. Wenn ich sage, ich möchte 40 oder 60 oder 80 Prozent weniger Kohlenstoff in der Energieerzeugung haben, Dekarbonisierung, das Stichwort hier, was hat denn die Regierung für eine Möglichkeit, das zu tun? Sie kann ein Gesetz erlassen, aber das muss eingehalten werden. In vielen Ländern haben wir die Governance gar nicht dafür."
Nur wenige Staaten tatsächlich nachhaltig aktiv
In manchen Staaten reicht der Einfluss der Regierung kaum über die Grenzen der Hauptstadt hinaus. Umso größer war die Hoffnung der Uno, dass die Regierungen gut funktionierender westlicher Länder vorangehen würden. Kleinere Staaten wie Finnland, Schweden oder Luxemburg tun das auch. Doch abgesehen von denen hat sich in Europa in punkto Nachhaltigkeit wenig bewegt, hat Elisabeth Hege in einer Untersuchung über die EU festgestellt. "Die EU hat sich sehr stark für diese Nachhaltigkeitsziele eingesetzt in den Verhandlungen und jetzt sind viele internationale Akteure ein bisschen irritiert, dass sie jetzt so wenig in der Umsetzung tut. In vielen Ländern sind diese Nachhaltigkeitsstrategien nur Papier und nicht wirklich verbunden mit tatsächlichen Aktionen oder Investitionen."
Die Rolle der EU
Ein einziges unverbindliches Papier habe die EU-Kommission seit 2015 zustande gebracht, kritisiert Elisabeth Hege, obwohl das Europäische Parlament Druck machte. Der könnte verschwinden, wenn im Mai bei den Europawahlen jener Rechtsruck einsetze, den die Meinungsforschungsinstitute voraussagen. Dann könnte sich auch in Europa der Trend verstärken, internationale Vereinbarung nicht mehr sonderlich ernst zu nehmen. Genau der falsche Weg, meinen sowohl Ortwin Renn, als auch die indische Ökonomin Joyeeta Gupta, die in Amsterdam eine Professur für Entwicklungspolitik innehat:
Ortwin Renn: "Im Englischen sagen wir auch Tribalism dazu, jeder versucht um seine eigene Gruppe einen Zaun zu setzen und nur für die gut zu sorgen und für die anderen nicht mehr. Zurück zu gehen zum Kirchturmsdenken ist nicht die Lösung, im Gegenteil, das erschwert die Probleme."
Joyeeta Gupta: "Wenn wir davon sprechen, dass wir bei der Umweltbelastung an planetare Grenzen stoßen, dann brauchen wir internationale Solidarität. Und das heißt vor allem, dass die reichen Länder des Nordens sich stärker einschränken müssen, damit die armen Staaten des Südens noch Spielraum für Wachstum haben, um die Armut zu bekämpfen."
Nachhaltigkeit und sozialer Ausgleich
Im Pariser Klimaschutzabkommen, das nur wenige Monate nach der Nachhaltigkeitsvereinbarung abgeschlossen wurde, war dieses Prinzip auch festgeschrieben worden, nicht zuletzt, weil die Industriestaaten im Verlauf der Geschichte viel mehr zur Erderwärmung beigetragen haben als die Entwicklungsländer. Deutschland galt auch lange als Vorreiter für eine schnelle Reduzierung der Treibhausgase. Doch sowohl in der Industrie als auch im Verkehr und in der Landwirtschaft ist der Ausstoß in den letzten zehn Jahren nicht mehr zurückgegangen. Inzwischen hat die Große Koalition beschlossen, ihre Klimaschutzziele für 2020 einfach fallen zu lassen, weil sie nicht erreichbar seien. Joyeela Gupta ist enttäuscht, aber nicht überrascht:
"Die meisten westlichen Länder, auch Deutschland, stecken auf ihren eingefahrenen Wegen fest. Sie haben viel Kapital in alte Technologien investiert, etwa in der Autoindustrie, von der Hunderttausende Jobs abhängen. Dann kann man sich nicht so einfach vom Verbrennungsmotor verabschieden. Die Entwicklungsländer sollten sie deshalb nicht nachahmen, sondern sie müssen sich fragen, wie sie die Fehler des Nordens vermeiden können."
China könnte zum Vorreiter in Sachen Nachhaltigkeit werden, denn dort gehe der Ausbau erneuerbarer Energien und der Elektromobilität inzwischen rasant voran. Deutschland muss aufpassen, nicht den Anschluss zu verlieren. Noch befürwortet zwar eine Mehrheit der Bevölkerung etwa die Energiewende. Das zeigt das Soziale Nachhaltigkeitsbarometer, das das IASS in Potsdam jährlich unter Leitung von Ortwin Renn erhebt. Doch die Skepsis wächst, weil immer mehr Leute die Auswirkungen der Energiewende als sozial ungerecht empfinden:
"Wir sehen, dass weit über die Hälfte der Bevölkerung mit der Energiepolitik der Bundesregierung nicht zufrieden ist. Die merken ja auch, einerseits wird der Strom teurer, andererseits werden aber die Ziele nicht erreicht, das heißt, man kriegt das Schlechteste von beidem. Das kann auf Dauer natürlich nicht für mehr Vertrauen in die Politik sorgen."
Derzeit diskutiert die Bundesregierung ein Klimaschutzgesetz, in dem dann doch verbindliche Reduktionswerte festgeschrieben werden könnten. So hofft die Umweltministerin, die selbst gesteckten Ziele in einer Art Schlussspurt bis 2030 doch noch zu erreichen. Mit unverbindlichen Empfehlungen, darin sind sich Wissenschaftler aller Disziplinen einig, wird sich die Hoffnung auf eine nachhaltige Entwicklung jedenfalls nicht erfüllen.