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Nachhaltigkeitsranking
"Es gibt überall Nachholbedarf"

Seine Nachhaltigkeitsziele habe Deutschland in fast keinem Bereich erreicht, sagte Adolf Kloke-Lesch vom Netzwerk für nachhaltige Entwicklungslösungen, im Deutschlandfunk. Es gäbe große Schwächen. Beispiel: das Wegschmeißen von Lebensmitteln. Eine Halbierung sei hier durch ein Zusammenspiel von Einzelhandel, Lebensmittelproduzenten und der Zivilgesellschaft möglich.

Adolf Kloke-Lesch im Gespräch mit Jule Reimer | 20.07.2016
    Bohnen, fotografiert auf dem Wochenmarkt in Langenhagen in der Region Hannover
    Bohnen: Viel zu viele Lebensmittel werden in Deutschland weggeschmissen. (picture alliance / Holger Hollemann)
    Jule Reimer: Wir bleiben ein bisschen in den USA und gleichzeitig in Deutschland. 2030 soll die Welt besser sein. Erreicht werden soll das mit den 17 Nachhaltigkeitszielen, Sustainable Development Goals, auf die sich die Staats- und Regierungschefs bei der großen Rio plus 20 Konferenz 2012 geeinigt haben. Diese Nachhaltigkeitsziele, das sind 17 große Ziele mit Unterzielen, darunter die Bekämpfung der Armut, der Klimaerwärmung, aber auch das Hinterfragen von Konsummustern in den reichen Staaten dieser Erde. Dass das alles nicht einfach wird zu beschließen, zu erreichen, sieht man schon an dem zähen Ringen bei den Weltklimakonferenzen. Lösungen suchen und verbreiten zur Umsetzung dieser Ziele will das weltweite Sustainable Development Solutions Network, also ein von UN-Generalsekretär Ban Ki-moon gestütztes internationales Netzwerk.
    - In Deutschland wird es koordiniert von Adolf Kloke-Lesch, den ich in Berlin am Telefon begrüße. Die Bundesregierung hat gerade vor der UNO die deutsche Nachhaltigkeitsstrategie vorgestellt. Warum sind diese 17 großen Nachhaltigkeitsziele wichtig und was bewirken sie?
    Adolf Kloke-Lesch: Guten Tag, Frau Reimer. Vielen Dank! - Die 17 Ziele sind deshalb so wichtig, weil sie im letzten September von allen Staats- und Regierungschefs der Welt für alle Länder beschlossen worden sind. Sie sind im Grunde ein Weltzukunftsplan, der gutes Leben überall sicherstellen soll. Für Deutschland heißt das: Es geht um gutes Leben hier in Deutschland, sozial wie politisch, wirtschaftlich wie ökologisch.
    Reimer: Und Sie sollen jetzt nach Lösungen suchen, gemeinsam mit wissenschaftlichen Institutionen, aber auch mit der Wirtschaft, mit Wirtschaftsunternehmen. Die haben Sie in Ihrem Netzwerk versammelt. Was machen Sie da konkret?
    Kloke-Lesch: In unserem Netzwerk sind Mitglieder Wissenschaftsorganisationen. Die Wirtschaft ist als Partner dabei. Auf der globalen Ebene ist das der World Business Council for Sustainable Development, also ein Weltrat für nachhaltiges Wirtschaften. In Deutschland haben wir als Partner Econsense, das über 40 große DAX-Unternehmen zusammenführt. Und wir haben die Internationale Handelskammer. Was wir versuchen ist, diesen grundlegenden Wandel, diesen grundlegenden Wandel der Orientierung, der mit den SDGs kommt, auch in der Wirtschaft mit zu verankern. Und wenn Sie sehen, dass Econsense seine Arbeit in diesem Jahr in den Kontext der SDGs stellt, ist das eine sehr gute Entwicklung.
    Reimer: Wo steht insgesamt Deutschland, wenn Sie so ein kleines Ranking machen würden?
    Kloke-Lesch: Deutschland hat große Schwächen
    Kloke-Lesch: Deutschland steht natürlich auf dem ersten Blick ziemlich gut da, weil diese 17 Ziele auch viele wirtschaftliche und soziale Ziele umfassen, die in reichen Ländern in der Regel ganz gut erreicht sind. Das weltweite SDSN wird zusammen mit der Bertelsmann-Stiftung aus Deutschland, die ja auch bei uns Mitglied ist, heute am Tage ein globales Ranking veröffentlichen, wo im Grunde gezeigt wird, wo Deutschland insgesamt steht im Verhältnis zu anderen Ländern und wo Nachholbedarf ist. Deutschland steht immer da unter den ersten zehn ungefähr, also relativ gut hinter den nordischen Ländern, aber es hat große Schwächen. In quasi keinem SDG hat in Deutschland man die Ziele erreicht. Es gibt überall Nachholbedarf, in manchen Bereichen auch sehr deutlichen.
    Reimer: Praktisches Beispiel?
    Kloke-Lesch: Wenn ich mal auf unsere eigene deutsche Nachhaltigkeitsstrategie schaue, so hatte man in den letzten 15 Jahren vor, die Ressourceneffizienz in Deutschland zu verdoppeln, das heißt, im Grunde mit der Hälfte von Material für die gleiche Leistung auszukommen. Wir haben in über 15 Jahren gerade mal die Hälfte davon geschafft und darüber muss jetzt gesprochen werden. Warum haben wir diese Ziele nicht erreicht? Liegt es am unzureichenden Mittun in der Politik, in der Wirtschaft? Wie kann man das ändern?
    Reimer: Man hat es nicht erreicht, weil man sich nicht richtig entscheiden konnte für Vorgaben.
    Kloke-Lesch: Nein, das ist nicht nur eine Frage der Vorgaben. Natürlich spielen Vorgaben der Politik von oben sozusagen eine gewisse Rolle. Die Wirtschaft ruft auch nach den richtigen Rahmensetzungen. Auf der anderen Seite müssen wir das Innovationspotenzial der Wirtschaft mobilisieren. Dafür sind dann auch Preise wichtig, dafür ist auch eine Zukunftsorientierung wichtig. Und viele Unternehmen erkennen heute, dass die Produkte, die man braucht, um die SDGs zu erreichen, die Produkte der Zukunft sind. Ich persönlich glaube, wir brauchen eine neue Art von Allianzen, in denen die wichtigsten Unternehmen einer Branche mit den wichtigsten zivilgesellschaftlichen Akteuren und denen der Politik quasi einen Pakt schaffen, um gewisse Dinge zu erreichen. Nehmen Sie mal das Thema der Halbierung der Nahrungsmittelabfälle. Es ist ein Skandal, was wir an Tonnen über Tonnen in Deutschland jedes Jahr wegwerfen. Eine Halbierung kann im Zusammenwirken zwischen den Einzelhandelsketten, den großen Lebensmittelkonzernen und der Zivilgesellschaft erreicht werden, wenn man sich zusammensetzt und konkrete Ziele setzt.
    Reimer: Adolf Kloke-Lesch vom Netzwerk für nachhaltige Entwicklungslösungen über das nachhaltige Deutschland. Vielen Dank für das Gespräch nach Berlin.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.