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Nachwachsender Rohstoff
Verwandte der Sonnenblume soll Dämmmaterial liefern

Das Interesse an recycelbaren Grundmaterialien für die Produktentwicklung nimmt stetig zu. Ein vielversprechender Material-Lieferant ist die "Durchwachsene Silphie", eine Verwandte der Sonnenblume. Forscher der Unis Bonn, Aachen und Düsseldorf versuchen zurzeit, Bau- und Dämmstoffe aus der Pflanze herzustellen. Doch die Silphie hat noch mehr zu bieten.

Von Sophia Wagner | 24.10.2016
    Die Durchwachsene Silphie (Silphium perfoliatum) ist eine Pflanzenart die zur Familie der Korbblütler (Asteraceae) gehört. Sie wird als Energiepflanze angebaut.
    Die Durchwachsene Silphie wird momentan überwiegend als Energiepflanze angebaut, ist aber auch als Baustoff und Pharmaprodukt von Interesse. (dpa / picture alliance / Klaus Nowottnick)
    Auf dem platten Land, zwischen Köln und Bonn, liegen die Felder und Labore des Instituts für Agrarwissenschaften der Universität Bonn. Neben Obstplantagen und Gewächshäusern erstrecken sich fußballfeldgroße Anbauflächen mit verschiedensten Pflanzen. Hier arbeitet Professor Ralf Pude mit seiner Arbeitsgruppe an der Erforschung neuer Energiepflanzen:
    "Und eine davon ist die Durchwachsene Silphie, eine Präriepflanze, die wir hier als Biomassepflanze nutzen wollen."
    Die Silphie sieht aus wie eine zu lang geratene, blasse Sonnenblume und ist in Deutschland wenig bekannt. Bisher wird die Pflanze nur von einigen Landwirten zur Biogasproduktion angebaut, als blühende und insektenfreundliche Alternative zum Mais.
    Ralf Pude und sein Doktorand Martin Höller denken aber, dass noch wesentlich mehr in dem Biomasseproduzenten steckt. Dabei setzten sie ganz auf die natürlichen Eigenschaften der Pflanze. "Hier haben wir einen getrockneten Silphie-Trieb. Was man hier ganz schön sieht, wenn man den mal aufbricht, ist, dass der innen dieses weiße Parenchym hat", sagt Martin Höller.
    Bau- und Dämmstoff aus der Silphie entwickeln
    Das Parenchym ist ein Zellgewebe im Inneren von Pflanzenstängeln. Bei nicht verholzenden Pflanzen dient es zum Beispiel der Stabilisierung. Je nach Pflanze kann es ganz unterschiedlich aussehen. Das Parenchym der Silphie erinnert an Styroporkügelchen. Blasig und weißlich schimmernd zieht es sich durch den daumendicken Stängel der Pflanze. Diese Struktur wollen sich die Wissenschaftler zunutze machen. Ralf Pude:
    "Wir wollen also Bau- und Dämmstoff aus dieser Durchwachsenen Silphie entwickeln, weil die Natur schon so viel vorgegeben hat, dass wir diese botanischen Besonderheiten der Pflanze nutzen wollen."
    Die Forscher lassen die Silphie auf den Versuchsfeldern verblühen und vertrocknen. Im November werden die drei Meter langen Stängel dann kurz über dem Boden abgeschnitten. In einer zum Labor umgebauten Scheune geht es an die Weiterverarbeitung, erklärt Pude:
    "Und dort könne wir also dann diese Biomasse, die wir im Feld geerntet haben, spezielle aufbereiten, speziell verkleinern. Sie sehen hier ganz feine Malfraktionen und größere Fraktionen. Und diese Fraktionen mischen wir dann mit verschiedenen Bindemitteln, um einen Dämmputz herzustellen. Und wir mischen das Ganze auch mit Zement zur Herstellung eines Leichtbetons."
    Das zerkleinerte Pflanzenmaterial wird mit den verschiedenen Bindemitteln zu kleinen Putzmustern verarbeitet, die wie quadratische Volkornkekse aussehen. Diese Muster werden dann in verschiedenen Maschinen auf ihre Dämmeigenschaften getestet. Die richtige Mischung zu finden ist dabei gar nicht so einfach, führt Ralf Pude aus:
    "Sie sehen, dass die Muster teilweise auch gar nicht gelungen sind, dass man das also mühsam ausprobieren muss. Dennoch können sie jetzt schon erkennen, dass das hier schon wie so ein Raufaserputz aussehen könnte. Aber es sind hundert Prozent nachwachsende Rohstoffe."
    Hoher Anteil an medizinisch wirksamen Substanzen
    Neben der ökologischen Dämmung interessieren sich die Wissenschaftler noch für eine weitere Eigenschaft der Silphie: Die Pflanze enthält nämlich einen hohen Anteil an medizinisch wirksamen Substanzen, sogenannten Flavonoiden. Diese sind für die Pharmaindustrie sehr interessant. Zusammen mit den Unis Düsseldorf und Aachen forschen die Bonner Wissenschaftler deshalb an einer gestaffelten Nutzung. Ralf Pude:
    "Sodass dann also vielleicht die Flavonoide in so einem Prozess abfallen, die die eine Richtung verwerten kann, das andere geht dann Richtung Baustoffe und der Rest verbleibt dann auf dem Feld und trägt dort zur Humusversorgung bei."
    Weil die Silphie noch eine relative Wildpflanze ist, muss sie für diese Mehrfachnutzung züchterisch bearbeitet werden. Für Martin Höller ist dabei vor allem wichtig, dass seine Kreuzungen nicht durch Insekten verunreinigt werden:
    "Diese Beutel hängen über den Blüten und verhindern, dass diese Blüten von den Bienen bestäubt werden. Die haben wir von Hand bestäubt, um genau zu wissen, von welcher Pflanze der Pollen stammt, sodass wir ganz reines Saatgut haben."
    Mühselige Bestäubung von Hand
    Ziel der Forscher ist es, Unterarten mit leicht verschiedenen Eigenschaften so zu kreuzen, dass eine optimal verwertbare Pflanze entsteht. Noch dazu eine, die den Boden schont. Denn die Silphie ist mehrjährig und kann nach einmaligem auspflanzen bis zu 30 Jahre lang geerntet werden. Deshalb braucht sie weniger Dünger als zum Beispiel der Mais.
    Zusätzlich kommt sie durch ihre trockene Herkunft aus den Weiten der amerikanischen Grasländer auch mit weniger Wasser aus. Martin Höller ist aber froh, dass viele der Züchtungsexperimente auch an der Uni Düsseldorf stattfinden:
    "Also wenn man einmal so einen Versuch von Hand bestäubt hat, dann weiß man, wie wichtig die Bienen sind."