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Nadine Filko
"Clean Meat"

Fleisch, das nicht von geschlachteten Tieren stammt, sondern aus Zellkulturen gezüchtet wird, soll schon bald den Fleischhunger der Menschen weltweit befriedigen. Doch so einfach ist das nicht - Laborfleisch ist teuer - und bislang müssen immer noch Tiere dafür sterben.

Von Jantje Hannover | 03.02.2020
Hintergrund: Fleisch aus dem Labor - eine Petrischale, ein Reagenzglas und Pillen liegen neben mehreren Scheiben Schinken. Darüber das Buchcover von Nadine Filko: "Clean Meat. Fleisch aus dem Labor: Die Zukunft der Ernährung?"
Gibt es bald Fleisch aus dem Labor für alle? Nadine Filko geht der Frage in ihrem Buch „Clean Meat" nach. (Verlag LangenMüller/ Hintergrund: imago stock&people/ Nicolas Martin)
Der Titel "Clean Meat" stehe für viel mehr als einfach nur "sauberes Fleisch", sagt die Autorin. Clean Meat bezeichne für sie einen anderen Umgang mit Natur, mit Tieren und der Ernährung – und den Wandel einer ganzen Industriebranche, so Nadine Filko. Tatsächlich hat das "saubere" oder von manchen Herstellern gar als "unschuldig" titulierte Fleisch genügend Potential, das milliardenschwere Geschäft der Ernährungsindustrie weltweit durcheinanderzuwirbeln. Es könnte zum Beispiel den Ausstieg aus der unpopulären Massentierhaltung einläuten, meint die Autorin:
"Ich glaube jeder von uns weiß mittlerweile, was für Probleme mit dem Fleischkonsum zusammenhängen, aber keiner baut das so in seinen Alltag ein. Ich muss gestehen, ich bin auch Fleischesserin und esse immer noch Fleisch, was man vielleicht nicht konsumieren sollte. Deswegen denke ich, dass es an der Zeit ist für einen Wandel. Weil ich glaube, dass wenn der von der Industrie auch geleitet werden würde und uns so ein bisschen aufgezwungen würde, wenn man das so sagen darf, dass es dann auch einfacher wäre…"
Immense Entwicklungskosten
Tatsächlich ist dieser von der Industrie geleitete Wandel längst eingeläutet. Unternehmen wie die Rügenwalder Mühle oder Wiesenhof haben schon seit vielen Jahren vegane Fleischalternativen im Sortiment – zusätzlich zum traditionellen Geschäftsmodell mit Schlachttieren. In ihrem Buch stellt Nadine Filko jedoch vor allem Startups und mittelständische Unternehmen in den Mittelpunkt ihrer Betrachtungen. Zum Beispiel die niederländische Firma Mosa Meat, deren Chef Mark Post schon 2013 unter großem Medienrummel einen Burger aus Fleisch vorgestellt hat, das im Labor durch Zellvermehrung gewachsen ist. Clean Meat schmeckt lecker und ist bekömmlich, so befanden es jedenfalls die Testesser. Die Hersteller erwarten darüber hinaus, dass das Fleisch aus dem Labor gesünder ist. Zum Beispiel, weil es keine Medikamentenrückstände enthält.
Der Haken dabei: Im Burger von 2013 steckten Entwicklungskosten von einer viertel Million Euro – pro Stück. Inzwischen kann das Produkt für etwa neun Euro angeboten werden – für einen Burger immer noch viel zu teuer. Beim Wettlauf der Firmen, die Clean Meat entwickeln, geht es nun also vor allem darum, mit weiteren Erfindungen und Tricks die Produktionskosten auf ein marktfähiges Niveau abzusenken. Längerfristig soll die Produktion dann das Labor verlassen und Fleisch in einer Art Brauverfahren in großer Menge in Bottichen heranwachsen.
Die Startups für Clean Meat sitzen vor allem in Israel und den USA. Aber auch die Niederlande, die Türkei, Großbritannien, Deutschland und andere mischen mit. Für Investoren, gerade auch aus der Ernährungsindustrie, sind diese Firmen eine interessante Geldanlage. Als freiberufliche PR-Beraterin kennt Filko diese Klientel. Sie bringt viel Verständnis und sogar Bewunderung für ihre Protagonisten auf:
"Es sind eben Wegbereiter für das Ernährungssystem, das wir meinen Recherchen zufolge ja ändern müssen, in irgendeiner Form, alleine schon auf Grund der Kapazitäten und Ressourcen, die gar nicht da sind bei dem Bevölkerungswachstum. Damit sind sie für mich Pioniere. Das sind halt Menschen, die Innovation vorantreiben, die einen inspirieren und die einen auch ein bisschen antreiben, diese Veränderung mit zu leben."
Handfeste Daten liegen noch nicht vor
Nadine Filko spielt in ihrem Buch die Rolle der engagierten Beobachterin, und sie lässt den Leser an ihrem persönlichen Erkenntnisprozess teilhaben. Als leidenschaftliche Fleisch- und Käse-Esserin verordnet sie sich selbst eine einwöchige vegane Diät. Die bricht sie dann ab, als sie schwanger wird.
Nadine Filko analysiert die Auswirkungen des Massenkonsums auf die Umwelt und das Marktpotential von veganen und im Labor produzierten Fleischalternativen. Dafür spricht sie mit vielen jungen und einigen älteren Unternehmern und Unternehmerinnen, mit Agrarexperten und Marktforscherinnen. Sämtliche Gesprächspartner werden in wörtlicher Rede zitiert, was stellenweise den Lesegenuss schmälert und zwangsläufig auch in Wiederholungen mündet.
Essen dient in den reichen Ländern vor allem dem persönlichen Genuss. Und dafür sollte kein Tier mehr sterben müssen, versprechen die Clean Meat Pioniere. Zusätzlich wecken sie Hoffnungen, Fleisch sehr viel umweltfreundlicher herzustellen, als das in der modernen Tiermast möglich ist: Experten erwarten enorme Einsparungen beim Wasserverbrauch, bei Düngemitteln für die Futterproduktion, bei Medikamenten wie Antibiotika und weniger Treibhausgase. Aber handfeste Daten liegen zu den meisten Punkten noch nicht vor, räumt Filko ein:
"Der Tierschutz und die Landnutzung, das sind so die zwei Punkte, die da auf jeden Fall am Wichtigsten sind. Und im Tierschutzbereich gibt es natürlich dieses Problem mit dem Kälberserum aber daran arbeiten die Unternehmen, also es gibt viele, die schon sagen, sie haben schon Alternativen entwickelt. Sie verraten natürlich nicht, was da drin ist."
Kälberserum wird bisher genutzt, um Zellkulturen zu vermehren. Es wird aus dem Herzen eines lebenden Embryos abgezapft. Kalb und Mutterkuh werden dabei getötet. Daher widerspricht die Produktion mit dem Serum in krasser Weise dem Anspruch der Clean Meat Hersteller, weniger Tierleid zu produzieren. Doch es scheint Lösungen zu geben, über die der Leser allerdings nichts erfährt. Genauso wenig wie darüber, wie genau und aus welchen Nährmedien Clean Meat eigentlich hergestellt werden soll. Hat die Autorin zu viel Respekt vor dem Geschäftsgeheimnis ihrer Gesprächspartner?
"Ich wollte für den Leser gar nicht so ins Detail gehen, wie jetzt dieses Fleisch entsteht, weil das Wichtige für mich war eben: Hat es das Potential zu verändern, wie wir Fleisch essen? Wie wir das System betrachten? Und was verändert sich da? Will der Verbraucher das? Das waren für mich die Fragen, die relevant waren."
Das Buch "Clean Meat" stößt eine Debatte an, die dringend geführt werden muss. Ob das saubere Fleisch allerdings tatsächlich umweltfreundlich ist und ob die Verbraucher es auch kaufen wollen, bleibt abzuwarten.
Nadine Filko: "Clean Meat. Fleisch aus dem Labor: Die Zukunft der Ernährung?",
Verlag LangenMüller, 224 Seiten, 18 Euro.