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Nächstenliebe an Pessach
Ungesäuertes Brot als Geschenk

Beim Pessach-Fest kommen jüdische Familien zusammen und feiern die Flucht des israelitischen Volkes aus Ägypten. Zu Pessach gelten strenge Speisevorschriften: Es ist verboten, gesäuerte Teigwaren zu essen. Doch koschere Lebensmittel sind teuer. Das kann sich nicht jeder leisten. Deshalb bieten jüdische Institutionen in Deutschland koschere Lebensmittel für wenig Geld an.

Von Miron Tenenberg | 22.04.2016
    Jüdische Frauen backen zum jüdischen Pessachfest das traditionelle "Maza" Brot.
    Jüdische Frauen in Israel backen zum Pessachfest das traditionelle "Maza" Brot. (imago stock&people)
    Pessach ist ein besonderes Fest im jüdischen Jahr. Deshalb wollen die meisten Juden Pessach koscher feiern, so Rabbiner Edward van Voolen:
    "Ein koscheres Pessach wünscht man sich, weil Pessach auch viel zu tun hat mit Befreiung! Und Befreiung findet auf verschiedenen Ebenen statt. Befreiung findet auch statt, dass man das Haus sauber macht, dass man sich um die Küche kümmert und in Pessach ist vorgeschrieben, ist schon biblisch, dass man alle Chametz aus dem Haus entfernen muss. So, alles mit Brotprodukte oder Brot in Kontakt gewesen ist."
    Es kommt aber nicht nur auf den gründlichen Pessachputz an. Es gibt es auch das Gebot, sich um Bedürftige zu kümmern: Tzdaka. Die Gemeinden verteilen spezielle Speisen, die an Pessach gegessen werden - oder sie laden zum Festmahl, dem Seder, ein. Rabbiner van Voolen hat gerade mit Andreas Nachama und Rabbiner Jonah Sievers eine neue Haggada, ein Pessach-Gebetbuch, veröffentlicht. Daraus zitiert er:
    "Dies ist das Brot der Armut, das ist die Mazzot, das unsere Vorfahren in Ägypten gegessen haben. Jeder der hungrig ist, komme und esse. Jeder der in Not ist, komme und feiere mit uns Pessach."
    Knapp ein Drittel der deutschen Juden von Armut betroffen
    90 Prozent der in Deutschland lebenden Juden sind Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion. Unter ihnen wird Altersarmut ein immer größeres Thema. Viele haben nur kleine Renten. Schließlich haben sie im Ausland gearbeitet. Dadurch sind sie auf Grundsicherung angewiesen. Darüber sprechen will niemand so recht, das verbietet der Stolz.
    Somit sind knapp ein Drittel der deutschen Juden von Armut betroffen, rechnet die Zentrale Wohlfahrtsstelle. Tendenz steigend, denn die jüdischen Gemeinden vergreisen: Jedes zweite Gemeindemitglied ist über 60 Jahre alt. Nur jeder fünfte Jude ist unter 30. Und die Jungen finden immer seltener den Weg in die Gemeinden.
    Das soll sich ändern: Studenten und Azubis bekommen zum Feiertag günstige Pessach-Pakete angeboten. Darin befinden sich die nötigsten Speisen für Pessach: Matzen, Matzemehl, eine Flasche koscheren Wein, und eine Dose saure Gurken. Das alles gibt es für 6,90 Euro. Wahlweise kann man noch eine Haggada mitbestellen. Die kostet weitere fünf Euro. Daniel Botmann, Geschäftsführer des Zentralrates der Juden in Deutschland:
    "Jede Altersgruppe muss auf diese Art und Weise angesprochen werden, wie sie sich ansprechen lässt. Studenten lassen sich eher über eine Form von Pessachpaketen, die man online bestellen kann, ansprechen."
    Das findet auch Abraham Lehrer, Vorstandsvorsitzender der Zentralen Wohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland:
    "Natürlich haben wir auch gewisse Ängste, Menschen zu verlieren, junge Menschen zu verlieren. Wir sehen aber mit solchen Aktionen eine Chance. Für uns geht's darum gewisse Kenntnisse, Traditionen des Judentums zu vermitteln. Ob jemand daraus die Folgerung zieht, ich bin jetzt, oder ich werde ein praktizierender Jude, ein orthodox Praktizierender, ein liberal Praktizierender oder ich bin nur ein Jude, der nur bei Maccabi irgendeinen Sportart betreibt, das ist in der Entscheidung eines jeden einzelnen gelegt. Wir wollen unsere Tradition vermitteln, Wissen vermitteln, das ist die primäre Aufgabe, die wir für uns sehen."
    Jüdische Identität bei jungen Erwachsenen festigen
    Das erklärt, warum sich die Pessachpakete nur an junge Erwachsene zwischen 18 und 35 Jahren richten. Sie sollen nicht Armut lindern, sondern die jüdische Identität festigen. Der Zentralrat und die Zentrale Wohlfahrtsstelle bieten diesen Service nun im zweiten Jahr an - im Gegensatz zu anderen jüdischen Organisationen, die das bereits seit Jahren tun. Daniel Botmann vom Zentralrat:
    "Ich glaube gar nicht, dass es eine Konkurrenzsituation zwischen jüdischen Institutionen ist. Es geht tatsächlich darum, dass man die Leute die vielleicht schon sehr, sehr weit weg sind überhaupt von ihrer jüdischen Religion und Tradition, dass man sie wieder zurück gewinnt, zurück in die jüdische Community zu kommen. Es ist also keine Konkurrenz zwischen Organisationen, sondern es geht wirklich darum, Leute darauf zu besinnen oder daran zu erinnern: Du bist jüdisch, und wir helfen Dir dabei das wieder aktiver zu leben."
    Das Angebot komme gut an, sagt Botmann. 600 Pessachpakete seien bestellt worden.
    Doch Wohltätigkeit – Tzadka – heißt nicht nur Pakete verschicken. Gerade zu Pessach gibt es in fast allen Gemeinden Abend-Veranstaltungen für die, die sich zu Hause kein feierliches Festmahl, den Seder, leisten können - und auch für die, die allein sind, betont Rabbiner van Voolen:
    "Es ist total wichtig, dass man Tzdaka macht. Und Tzdaka ist nicht nur, dass man mal jemandem eine Schachtel Mazzot gibt, aber auch dass man Menschen einlädt. So das steht hier auch in den Text geschrieben: "Alle, die hungrig sind, kommen und sollten essen", so eine Einladung zu geben an Personen, die man nicht kennt, der neu ist, ein Student, der in der Stadt eingezogen ist, den man kennengelernt hat, auf der Straße begegnet oder deswegen auch eine Gemeindeseder, wo man nicht beim Eingang fragt: "Hast Du bezahlt?" Aber, wo man fragt: "Kannst Du einen Beitrag geben? Sehr gerne, wenn nicht kein Problem, komm herein." So es ist total wichtig, nicht nur Leute, die alt sind, aber auch jüngere Leute, Studenten, die kein Geld haben, die in einer Stadt neu eingezogen sind, die muss man auch ermöglichen, um bei einem Sedermahl anwesend zu sein und mitzufeiern.