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Nächstes Level Großhirnrinde

Die Nervenbahnen im Gehirn kann man sich wie ein kompliziertes Labyrinth vorstellen. Welcher Pfad wohin führt, wollen Max-Planck-Forscher über ein Computerspiel herausfinden, in dem die Großhirnrinde als Vorlage für die Spielebenen dient.

Von Magdalena Schmude | 30.10.2013
    Manuel Berninger ist Physiker, Doktorand am Max-Planck-Institut für Neurobiologie - und steuert mit der Tastatur seines Laptops ein Raumschiff durch ein Mäusegehirn.

    "Wir sind eigentlich ein Nanoraumschiff, weil wir fliegen ja quasi durch eine Nervenbahn. Was wir machen müssen, ist, dass wir diese goldenen Dinger einsammeln - jetzt habe ich schon wieder eins verpasst."

    Das Raumschiff auf dem Monitor fliegt durch die tunnelartige Nervenbahn zügig auf ein kreisrundes Licht zu. Die Wände der Röhre leuchten blau. Sie bestehen aus flachen Fasern, die parallel zur Flugrichtung laufen.

    Brainflight - also "Flug durchs Gehirn" heißt das Computerspiel. Mit seiner Hilfe wollen Wissenschaftler herausfinden, wie die einzelnen Nervenzellen der Großhirnrinde miteinander verbunden sind. Denn nur wenn die Forscher den Schaltplan des Gehirns kennen, können sie verstehen, wie die Nervenzellen in diesem Netzwerk kommunizieren, um Informationen zu verarbeiten.

    Das Problem dabei: Jede Nervenzelle ist mit rund tausend anderen Neuronen verbunden. Die Zahl der möglichen Kontakte ist riesig und die Kabel zwischen den Nervenzellen verlaufen selten auf direktem Weg.

    "Das muss man sich vorstellen wie einen ganz dicht gepackten Block Spaghetti oder so. Das Schlimme ist, die Spaghetti verzweigen sich auch noch in unserem Fall."

    Der Neurobiologe Moritz Helmstaedter leitet die Münchner Arbeitsgruppe, die "Brainflight" entwickelt hat. Das Spiel soll helfen, eine Wissenslücke zu schließen. Mit speziellen Mikroskopen können die Forscher genaue Bilder von hauchdünnen Schichten des Gehirns aufnehmen. Computer können daraus kurze Abschnitte der Verbindungskabel zwischen den Nervenzellen berechnen. Bei komplizierten Verbindungen sind diese Berechnungen aber oft fehlerhaft, der Computer braucht Hilfe. Helmstaedter:

    "Was der Computer besonders schwierig findet, ist, wenn viele möglichst auch kleine Nervenzellfortsätze an einer Stelle sehr stark verknäult sind. Und das ist auch wirklich schwierig, aber wir Menschen sind offensichtlich sehr gut darauf trainiert, in solchen Fällen dann zu fragen, welche Fortsetzung ist wahrscheinlich. Unsere Gehirne sind unglaublich gut darin, solche Strukturen zu erkennen und dann eben diese Kabel zu verfolgen."

    Moritz Helmstaedter setzt deshalb auf menschliche Unterstützung. Zusammen mit Softwareentwicklern verwandelten die Forscher ihre Mikroskopbilder in ein Videospiel. Dazu mussten die Bilder nicht nur animiert werden, sondern auch so dargestellt, dass ein Spieler visuell alle nötigen Informationen erhält, um den Weg von einer Nervenzelle zur nächsten zu finden. Das Ergebnis ist eine Art Flugsimulation, erklärt Helmstaedter,

    "wo wir alles, was man so braucht zum analysieren, hineinblenden, welches Objekt ist der Ausgangspunkt, und dann mögliche Antworten, wie geht es weiter. Also es geht immer um diese Frage: Wie komme ich von meinem Ausgangspunkt korrekterweise ins nächste Kabelstück."

    Manuel Berninger ist mittlerweile an einer kritischen Stelle angekommen, wo sich die Nervenbahnen verzweigen. Auf dem Bildschirm erscheinen die Umrisse von fünf verschiedenen Nervenzellen. Die Zelle, zu der er den Weg finden soll, ist gelb eingefärbt. Während er weiterfliegt, verschiebt sich diese Zelle auf dem Bildschirm. Manuel Berninger muss sein Ziel mit den Augen verfolgen und an der nächsten Abzweigung darauf Kurs nehmen.

    Seine Flugroute dient dem Computer als Kontrolle. Stimmen die vorher berechneten Verbindungen nicht mit dem vom Spieler gewählten Kurs überein, weiß der Computer, dass er wahrscheinlich einen Fehler gemacht hat, überprüft die entsprechenden Nervenverbindungen und korrigiert sie wenn nötig. Dadurch lernt der Computer dazu, seine Berechnungen werden auf Dauer zuverlässiger.

    Zu analysieren gibt es genug, mehrere Terabyte an Gehirnbildern sind schon aufgenommen worden. Zu viel, als dass die Forscher sie alleine auswerten könnten. Deshalb entschied sich Moritz Helmstaedter, "Brainflight" ins Internet zu bringen. Dort, so hofft er, könnten sich genügend Spieler finden.

    "Was wir für unsere Datensätze bräuchten, sind mehrere Hunderttausend Stunden von Analyse. Wir wissen aber auch, dass einige der typischen Spiele mehrere Millionen Stunden pro Tag gespielt werden. Wenn wir auch nur einen ganz kleinen Bruchteil der Begeisterung, die solche Spiele entfachen können, schaffen würden, dann wären wir in ein paar Wochen oder Monaten fertig."

    Noch testen die Forscher das Spiel vor allem selbst, Ende des Jahres soll "Brainflight" dann online gehen. Auch eine App für Handys und Tablets ist geplant. Moritz Helmstaedter weiß, dass für den Erfolg des Crowdsourcings keine rein wissenschaftlichen Faktoren ausschlaggebend sind:

    "Das Wichtigste dafür ist, dass das, was wir bauen, Spaß macht und interessant ist, und dann wirklich Menschen begeistert auch für unsere Fragestellung."

    Dann, so die Hoffnung des Neurobiologen, könnte bald jeder sogar beim Warten an der Bushaltestelle mit "Brainflight" durchs Gehirn fliegen und damit die Hirnforschung weiter voranbringen.