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Nahles: Konsumgutscheine können Rezession verkürzen

Die stellvertretende SPD-Vorsitzende Andrea Nahles hat sich für die Ausgabe von Konsumgutscheinen ausgesprochen, zugleich aber eingeräumt, dass es in der SPD-Führung dazu keine abgestimmte Haltung gibt. Konsumschecks sehe sie als Ergänzung zu langfristigen Investitionen, sagte Frau Nahles. Mit Gutscheinen könne man eine Rezession zwar nicht verhindern, aber verkürzen.

Andreas Nahles im Gespräch mit Jochen Spengler |
    Jochen Spengler: Der Bundestag will heute abschließend über das Konjunkturpaket der Regierung beraten und es auch verabschieden. Reicht es? Was soll, was kann man tun gegen die Flaute? Konjunkturprogramm, Konsumgutscheine, Steuersenkungen - der Konzepte gibt es zuhauf und der Chor ist vielstimmig.

    Bernd Rürup: "Das Finanzmarktstabilisierungsgesetz war eine richtige Antwort. Ihr Beschäftigungs- und Wachstumspaket sehen wir kritisch."

    Volker Wissing: "Europa diskutiert Steuersenkungen und wir bekommen hier ein zusammengeflicktes Konjunkturprogramm vorgelegt. Glauben sie denn wirklich, was sie uns hier vorlegen ist dazu geeignet, in Deutschland Wachstum und Beschäftigung zu fördern?"

    Oskar Lafontaine: "Das was sich Konjunkturprogramm nennt, wird ja international belächelt. Man kann das in Zahlen ausdrücken. China gibt 8 Prozent seiner Wirtschaftsleistung aufs Jahr bezogen als Konjunkturprogramm aus, die Vereinigten Staaten 2 Prozent, wir 0,15 Prozent. Also wir machen uns international lächerlich."

    Angela Merkel: "An einem Überbietungswettbewerb von immer neuen Vorschlägen, an einem sinnlosen Wettbewerb um Milliarden, daran beteiligen wir uns nicht. Der ist mit uns, der ist mit mir nicht zu machen, denn wir haben auch in solchen Zeiten Verantwortung vor dem Steuerzahler von heute und vor dem Steuerzahler in der Zukunft, liebe Freunde."

    Spengler: Das waren Zitate vom Wirtschaftsweisen Bernd Rürup, vom FDP-Politiker Volker Wissing, vom Linkspartei-Fraktionschef Oskar Lafontaine und zum Schluss von der Bundeskanzlerin Angela Merkel. Wer hat Recht, die Kanzlerin oder ihre Kritiker? Reicht es, was die Bundesregierung beschlossen hat, oder reicht es nicht? - Am Telefon ist nun Andrea Nahles, die stellvertretende Vorsitzende der SPD. Einen schönen guten Morgen, Frau Nahles.

    Andrea Nahles: Schönen guten Morgen.

    Spengler: Frau Nahles, Sie selbst sind für Konsumgutscheine. Jeder Erwachsene bekäme einen Shopping-Gutschein von 500 Euro. Das klingt so, als steckten wir nicht in der tiefsten Wirtschaftskrise, sondern im Schlaraffenland.

    Nahles: Ja, stimmt, aber es ist durchaus ein ernster Hintergrund. Wir würden im Grunde mit so einem Konsumgutschein die letzten anderthalb Jahre Mehrwertsteuer einmalig zurückgeben an die Bürger - so kann man es auch ausdrücken -, ohne die negative Wirkung zu haben, dass wir den Staat auf Dauer um wichtige Steuereinnahmen bringen.

    Spengler: Es wäre also Ihrer Ansicht nach nicht sinnvoll, diese Mehrwertsteuer auf Dauer zurückzunehmen?

    Nahles: Wir müssen einen handlungsfähigen Staat haben, gerade in den nächsten Monaten, vielleicht sogar in den nächsten ein, zwei Jahren. Das bedeutet, wir sollten auf jeden Fall vermeiden, die Handlungsfähigkeit, also die Steuerbasis massiv zu schmälern.

    Spengler: Jetzt muss ich wirklich gestehen: Ich hätte überhaupt nichts dagegen, jetzt vor Weihnachten noch 500 Euro zu bekommen. Aber was brächte das außer einem kurzfristigen Strohfeuer? Wem brächte das was?

    Nahles: Erst mal muss ich Sie enttäuschen. Geplant ist das jedenfalls nicht vor Weihnachten, sondern erst nach Weihnachten.

    Spengler: Das ist schon schade!

    Nahles: Ja, schade. Das Weihnachtsgeschäft läuft nämlich gar nicht so schlecht. Ich denke, wir diskutieren jetzt nämlich Vorschläge, die in das nächste Jahr reinreichen. Das hätte zwei Vorteile. Wir haben derzeit eine Abhängigkeit der deutschen Wirtschaft von 48 Prozent vom Export. Wir nennen uns ja nicht umsonst Exportweltmeister. Aber dieser Export wird unsere Wirtschaft nicht mehr hochhalten. Dann könnte man sagen okay, das muss aufgefangen werden von anderen. Das war in der Vergangenheit so. Da haben wir uns immer auf die konsumfreudigen Amerikaner verlassen. Die können aber jetzt auch nicht und deswegen ist es wichtig, weil wir sehr chronisch schon eine schwache Binnennachfrage haben, an der Stelle einen wichtigen Gegenimpuls zu setzen, um eben auch die Ausfälle beim Export zu kompensieren.

    Spengler: Aber das ist doch nicht nachhaltig? Man muss einmal sagen, diese Konsumschecks gibt es auch schon anderswo. Es ist nicht irgendwie ein rein populistisches, aktionistisches Programm, sondern die USA haben das zum Beispiel schon mal gemacht. Aber die Erfahrungen dort zeigen, dass das keine nachhaltige Wirkung erzielt, sondern dass das wirklich ein Strohfeuer ist.

    Nahles: Die Frage ist, was uns im nächsten Jahr erwartet. Und alles, was ich höre - ich hatte gestern auch eine große Betriebsrätekonferenz aus ganz Deutschland -, was aus den Wirtschaftsdaten herüberkommt, ist, dass sehr viel Kurzarbeit droht, die Leiharbeiter werden entlassen. Wir werden also durchaus eine echte schwere Krise auch bekommen, ohne dass ich dramatisieren will. Jetzt sind aus meiner Sicht zwei Maßnahmen notwendig: kurzfristig Konsum anregen, langfristig Investitionen auf den Weg bringen. Das Problem bei langfristigen Investitionen ist aber, dass wenn wir jetzt damit beginnen würden die Vorlaufzeiten, die Planungsfristen so sind - ich hatte mich auch diese Woche mit der deutschen Bauindustrie darüber unterhalten -, dass wir erst Ende Quartal 2009, Anfang 2010 überhaupt in die Umsetzung zum Beispiel von Schulgebäudesanierungen oder anderen sinnvollen Maßnahmen im Energiesektor oder Verkehrssektor kommen würden. Was tun wir aber in den nächsten sechs bis acht Monaten? Da kann ein Konsumgutschein sehr wichtige wirtschaftliche Impulse geben. Ich sage nicht, dass das die Rezession verhindert, aber es kann die Dauer verkürzen und es kann auf jeden Fall die Kurve nach unten abflachen.

    Spengler: Der Konsumgutschein soll also nicht andere Maßnahmen ersetzen, sondern er soll komplementär ergänzend sein?

    Nahles: So ist es aus meiner Sicht.

    Spengler: Ist denn der Vorschlag nicht sogar gefährlich? Das wird auch vorgeworfen, insofern nämlich Verbraucher jetzt mit dem, was sie sowieso ausgeben wollten, warten, ihr Geld zurückhalten, um dann eben auf diese Gutscheine zu warten, die möglicherweise nie kommen.

    Nahles: Ich glaube, dass wir uns natürlich entscheiden müssen, wollen wir eine Diskussion haben. Die sollte natürlich nicht endlos sein. Ich stelle mir vor, dass wir uns im Januar entscheiden, was wir tun. Aber es muss möglich sein, dass man auch Vorschläge abwägt. Es gibt ja auch andere Vorschläge im Raum und die heißen ja vor allem "allgemeine Steuersenkungen". Das wiederum macht die Leute ja auch kirre. Die wiederum sind aus meiner Sicht nicht geeignet, um die wirtschaftliche Krise im nächsten Jahr richtig zu beantworten, und insoweit darf man jetzt sich schon zwei, drei Wochen Zeit geben und abwägen, was ist das richtige.

    Spengler: Gut, wir sind gerade beim Abwägen. Die Gutscheine würden Staat 40 Milliarden Euro kosten. Was sagt Ihr Parteigenosse Steinbrück dazu?

    Nahles: Erst mal haben diese Gutscheine einen Refinanzierungseffekt. Allein schon durch die Mehrwertsteueranteile fließt auch direkt Geld zurück. Aber richtig: Es ist erst mal viel Geld. Die Frage ist, was passiert im Haushalt von Peer Steinbrück und uns allen, wenn wir nichts tun.

    Spengler: Meine Frage war, was Herr Steinbrück dazu sagt.

    Nahles: Er ist erst mal derjenige, der am wenigsten freigiebig ist, und das ist auch gut so. Das heißt, er hält sich zurzeit zurück. Er ist im Grunde genommen am sichten. Ich gehe davon aus, dass wir noch keine abschließenden Bewertungen von ihm vor Januar nächstes Jahr hören.

    Spengler: Es gibt auch insgesamt noch keine abgestimmte Linie jetzt in der SPD-Führung?

    Nahles: Das werden wir in den nächsten zwei Wochen versuchen hinzukriegen.

    Spengler: Also im Augenblick gibt es sie noch nicht?

    Nahles: Nein. In der Frage Konsumgutscheine nicht, ansonsten immer.

    Spengler: Stichwort Steuersenkungen. Frau Merkel ist vorerst dagegen, Finanzminister Steinbrück auch. Was sagen Sie?

    Nahles: Steuersenkungen bringen ja nur denen etwas, die Steuern bezahlen. Das sind aber schon mal 24 Millionen deutsche Bürgerinnen und Bürger, die nicht Steuern zahlen.

    Spengler: Aber die Mehrheit zahlt doch noch oder?

    Nahles: Das ist Gott sei Dank so, aber ich will sagen, dass Rentner, Arbeitslose, Menschen mit geringen Einkommen durch den Steuerfreibetrag - das ist ja eine Riesen große Anzahl von Leuten - erst mal keine Steuern bezahlen. Das ist auch richtig so, das ist auch gewollt, bedeutet aber, die haben jetzt auch, obwohl sie die geringsten Einkommen haben, nichts davon. Zweitens verliert der Staat auf Dauer Einnahmen und es ist nicht klar, ob das, was wir den Leuten an Steuererlass geben, nicht auf die hohe Kante gelegt wird, also sprich es geht ins Sparguthaben, was wiederum dann tatsächlich überhaupt nicht helfen würde, um die Volkswirtschaft im nächsten Jahr auf Touren zu bringen.

    Spengler: Ich entnehme Ihren Worten, dass Sie, was allgemeine Einkommenssteuersenkungen angeht, sehr skeptisch sind?

    Nahles: Ich bin sogar definitiv dagegen.

    Spengler: Was ist denn, wenn man den Soli streichen würde? Das wäre überschaubar: zwölf Milliarden mehr für die Bürger, zwölf Milliarden weniger für den Staat.

    Nahles: Wissen Sie, bei mir in der Eifel, wo ich herkomme, ist das ein sehr populärer Vorschlag. Aber wir haben eine gesamtdeutsche Verantwortung und deswegen halte ich nichts davon.

    Spengler: Und die Mehrwertsteuer zu senken? Das wäre ja relativ sozial, weil davon alle profitieren würden, auch jene, die normalerweise keine Einkommenssteuer zahlen.

    Nahles: Auch hier haben wir das Problem: Wenn wir sie jetzt senken, dann wird das auf Dauer sein. Da bin ich ziemlich sicher, dass sich da kaum noch jemand wieder rantraut, rein in die Kartoffeln, raus aus den Kartoffeln. Der Gutschein, den ich vorschlage, hätte den Effekt, dass es einmalig ist und nicht die Steuereinnahmen der Zukunft minimiert. Und ich sage noch mal: Wir wissen nicht genau, wie lange die wirtschaftliche Abschwungphase dauert, und wir sollten auch unseren Staat nicht in die Handlungsunfähigkeit manövrieren und neue Schuldenberge anhäufen.

    Spengler: Frau Nahles, das habe ich so verstanden: Sie sind gegen Steuersenkungen, den Konsumgutschein finden Sie gut als einmaliges Anschubinstrument. Sie haben aber gesagt, das kann nicht alleine sein. Wenn keine Steuersenkungen und wenn sozusagen auch alleine nur der Konsumentengutschein nicht reicht, was dann noch?

    Nahles: Ich glaube, dass wir insbesondere auf der kommunalen Ebene einen Riesen Investitionsstau haben und dass wir dort sowohl von Krankenhäusersanierung über Schulgebäude sehr viel machen müssen, dass das aus meiner Sicht auch Investitionen sind, die vorgezogen werden können, die also ohnehin anstehen, aber jetzt vorgezogen werden können. Und da sollten wir investive Mittel mobilisieren. Ich stelle mir aber auch vor, dass wir beispielsweise in energetische Altbausanierung noch mehr Geld reinstecken können. Und drittens brauchen Unternehmen Kredite. Da kann das Land Berlin ein Vorbild sein. Die haben Mikrokredite jetzt für Kleinstunternehmen auch ausgeschrieben, oder die KfW könnte die Kreditzurückhaltung der Privatbanken jetzt gegenüber den Mittelständlern, die sich bei mir darüber jetzt schon beschweren, vielleicht teilweise kompensieren. Es gibt also eine Reihe von Dingen, die abgewogen werden müssen. Ich glaube jedenfalls, dass das langfristigere und auch wichtige investive Schübe sind, die wir brauchen.

    Spengler: Frau Nahles, sollte das alles gebündelt werden in einem Konjunkturprogramm, was deutlich mehr ist als das, was bislang auf den Weg gebracht ist?

    Nahles: Ja, das wäre meine Vorstellung Anfang nächsten Jahres. Wie man das Kind dann tauft, ist mir egal.

    Spengler: Oskar Lafontaine fordert ein solches Programm in Höhe von rund 50 Milliarden Euro. Hat er Recht?

    Nahles: Der setzt immer noch einen oben drauf. Über den Umfang und den genauen Zuschnitt reden wir. Kein Schnellschuss! Wir haben nur einmal jetzt noch die Chance, das anzuschieben. Das schaffen wir, das müssen wir auch machen. Deswegen müssen wir es aber auch genau prüfen, was geht, was sinnvoll ist, was in den Wirkungen auch gut ist. Mir scheint es wichtig, die kommunale Ebene zu stärken, ihre investive Kraft zu stärken, und darauf sollten wir uns konzentrieren.

    Spengler: Danke schön! - Das war Andrea Nahles, die stellvertretende Vorsitzende der SPD. Danke für das Gespräch, Frau Nahles.