Andrea Nahles: Guten Morgen, Herr Birke.
Birke: Die Bürgerpauschale will die Vorteile beider konkurrierenden Vorschläge kombinieren, also der von der Union vorgestellten modifizierten Kopfprämie und der Bürgerversicherung. Einerseits sollen die Gesundheits- von den Arbeitskosten entkoppelt, andererseits sollen alle Bürger gezwungen werden, sich zu vergleichbaren Wettbewerbsbedingungen zu versichern, sprich privat und gesetzlich wird künftig keine Rolle mehr spielen. Ein attraktives Modell für Sie?
Nahles: Nein, es ist auf jeden Fall kein Kompromiss, auf den wir uns einlassen wollen, aber ich stelle trotzdem fest: Seit dem letzten Jahr, da hatte sich der Sachverständigenrat auch schon geäußert, gibt es eine Bewegung und die geht ganz klar auf die Bürgerversicherung zu, weil hier festgestellt wird, dass man die beiden Systeme gesetzliche und private Krankenkassen integrieren sollte und alle Bürgerinnen und Bürger in ein System zusammenfassen soll. Das sehe ich als eine Bewegung auf die Bürgerversicherung zu, aber Kopfpauschale bleibt Kopfpauschale und ungerecht und deswegen wird die SPD diesen Vorschlag so nicht aufgreifen.
Birke: Weshalb wenden Sie sich gegen diese Entkoppelung der Sozial- und Krankenversicherungskosten von den Arbeitskosten?
Nahles: Zunächst mal ist es ein ungedeckter Scheck und die Gegenfinanzierung konnte auch durch den neuesten Vorschlag der CDU überhaupt nicht gewährleistet werden. Es ist also die Frage: Kann man sich eigentlich diese Entkoppelung tatsächlich leisten und da sage ich nein, das funktioniert nicht. Wenn man das entkoppelt, muss man einen sozialen Ausgleich organisieren und dieser ist dann für die Solidarität im System ganz wichtig, wenn man aber hinsieht, stellt man fest, dass über 14 Milliarden nicht gedeckt sind und das ist ein Zustand, der durch keinen Vorschlag, auch nicht den des Sachverständigenrats, abgesichert ist.
Birke: Sie wenden sich also vor allen Dingen gegen die von den Sachverständigen angeregte Umverteilungskomponente über eine Erhöhung auch der Umsatz- oder Einkommenssteuer?
Nahles: Ich sage, das System ist dem überlegen, das wir jetzt haben, nämlich Beiträge von vornherein so zu erheben, dass derjenige, der weniger verdient, weniger bezahlt und der, der mehr verdient mehr bezahlt. Alle anderen Konstruktionen, die praktisch im Nachhinein versuchen, einen gerechten Ausgleich zu schaffen und sich dann abhängig machen vom Steuersystem, egal, welches es ist, sind erst mal auf tönernen Füßen und nicht abgesichert. Ob jetzt eine Steuererhöhung kommt über die Einkommens- oder Umsatzsteuer ist mir jetzt erst mal egal. Ich finde das System als solches dem, was wir jetzt haben, worauf die Bürgerversicherung aufsitzen würde, ehrlich gesagt nicht über- sondern unterlegen.
Birke: Ist denn unter Wettbewerbskriterien aber nicht das Pauschalenmodell besser?
Nahles: Wir haben festgestellt, dass in dem einzigen Land, wo es eine Kostenpauschale bisher gibt, der Schweiz, diese im Durchschnitt im Jahr um 5,5 Prozent gestiegen sind. Es gibt also weiterhin eine Dynamik, die bedeutet, dass diese Ausgaben fürs Gesundheitssystem steigen. Aber dann nicht mehr für die Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite, sondern nur noch für die Arbeitnehmerseite. Wer jetzt glaubt, dass das volkswirtschaftlich neutral ist, wenn die Arbeitnehmerseite jedes Jahr im Durchschnitt mit fünf Prozent mehr belastet wird, weil die Kostendynamik nicht gebremst wird, muss ich ganz ehrlich sagen, den halte ich auch für naiv, das wirkt sich natürlich aus. Erstens bei der Nachfrage, die Leute haben weniger Geld für andere Sachen, aber natürlich auch bei den Lohnforderungen, weil die Leute es natürlich kompensieren wollen. Also die Versprechungen, dass das dann tatsächlich zu einer entsprechenden Kostendämpfung führt und dass hier davon profitiert wird volkswirtschaftlich, kann ich nicht nachvollziehen.
Birke: Mal Hand aufs Herz: Sind Sie nicht vor allen Dingen auch deshalb gegen diesen Kompromiss der Sachverständigen, weil es ja womöglich bedeuten würde, dass Sie ein Wahlkampfthema, nämlich "Wir sind für Bürgerversicherung" verlieren? Es ist ja praktisch eine große Koalition angemahnt, beide Systeme, nämlich Kopfprämie und Bürgerversicherung, zu vereinen.
Nahles: Der Sachverständigenrat hat nicht so unbedingt, abgesehen davon, dass er in dem ersten Teil, dass alle Bürger integriert werden sollen, das Konzept der SPD aufgreift, keine neuen Argumente für die Kopfpauschale, er bringt uns auch keine neuen Zahlen. Die Kopfpauschale belastet die Geringverdiener und Familien im Verhältnis zu den Besserverdienenden, sie ist nicht seriös gegenfinanziert, wir können uns keine Steuerentlastungen in dem Umfange, wie es die CDU jetzt verspricht, überhaupt leisten oder Steuererhöhungen sind volkswirtschaftlich auch nicht sinnvoll. Das sind die Konzepte, die auf dem Tisch liegen, die finde ich nicht richtig und das hat nichts mit irgendwelchen Tricks oder Wahlkampfüberlegungen zu tun, sondern ich glaube ganz ehrlich, die Bürgerversicherung hat diese Nachteile nicht und deswegen ist sie das bessere Modell.
Birke: Können wir uns denn dem weiteren Anstieg der Krankenversicherungs- sprich der Lohnnebenkosten leisten?
Nahles: Nein, aber das sagen wir auch. Wir wollen Beiträge, die ja übrigens auch schon durch die letzte Gesundheitsreform entlastet worden sind, weiter senken. Wer eine unmittelbare und sofortige Senkung der Beiträge will, muss die Bürgerversicherung machen. Die Vorschläge Kopfpauschale frieren die Arbeitgeberbeiträge zunächst auf dem jetzigen Niveau ein, sie senken sie nicht ab, während das Versicherungskonzept Bürgerversicherung im ersten Schritt sofort die Lohnnebenkosten senkt für die Arbeitgeber- genauso wie für die Arbeitnehmerseite, weil wir durch die Verbreiterung der Basis eben zusätzliche Einnahmen haben. Insoweit stimme ich durchaus zu, die Beiträge müssen kontrolliert sein, müssen sinken und genau das erreichen wir mit der Bürgerversicherung.
Birke: Nun sind die Senkungen der Kassenbeiträge längst nicht in erwartetem Umfang eingetreten. Geht die bisherige Reform nicht zu einseitig zu Lasten der Patienten, muss man hier nicht die Angebotsseite - Ärzte, Krankenhäuser und Pharmaindustrie - mehr heranziehen?
Nahles: Ich glaube, dass die Gesundheitsreform des letzten Jahres besser ist als ihr Ruf, sie erreicht nämlich in einigen Stellen auch tatsächliche Strukturreformen, zum Beispiel die integrierte Versorgung, aber auch die Chipkarte, die nächstes Jahr kommen wird. Da erwarte ich mehr Qualität für die Patienten, als auch ein stückweit eine Entlastung bei den Kosten, weil hier auch effizienter gearbeitet werden kann. Aber ich gebe zu: Wir sind noch nicht am Ende angekommen, es gibt noch eine Reserve, wir müssen die Strukturreformen und Ausgabenbegrenzungen weiter treiben und gerne auch da, wo sich die SPD im Vermittlungsausschuss nicht durchsetzen konnte bei der letzten Runde, wie etwa den Vorschlag von uns, eine Positivliste einzuführen oder auch die Möglichkeiten, eine integrierte Versorgung weiter auszubauen. Das ist von der CDU und FDP behindert worden. Aber gerne können wir auch in nächsten Schritten über solche Dinge, die wir auch für richtig erachten, weiter verhandeln.
Birke: Die Bürgerpauschale will die Vorteile beider konkurrierenden Vorschläge kombinieren, also der von der Union vorgestellten modifizierten Kopfprämie und der Bürgerversicherung. Einerseits sollen die Gesundheits- von den Arbeitskosten entkoppelt, andererseits sollen alle Bürger gezwungen werden, sich zu vergleichbaren Wettbewerbsbedingungen zu versichern, sprich privat und gesetzlich wird künftig keine Rolle mehr spielen. Ein attraktives Modell für Sie?
Nahles: Nein, es ist auf jeden Fall kein Kompromiss, auf den wir uns einlassen wollen, aber ich stelle trotzdem fest: Seit dem letzten Jahr, da hatte sich der Sachverständigenrat auch schon geäußert, gibt es eine Bewegung und die geht ganz klar auf die Bürgerversicherung zu, weil hier festgestellt wird, dass man die beiden Systeme gesetzliche und private Krankenkassen integrieren sollte und alle Bürgerinnen und Bürger in ein System zusammenfassen soll. Das sehe ich als eine Bewegung auf die Bürgerversicherung zu, aber Kopfpauschale bleibt Kopfpauschale und ungerecht und deswegen wird die SPD diesen Vorschlag so nicht aufgreifen.
Birke: Weshalb wenden Sie sich gegen diese Entkoppelung der Sozial- und Krankenversicherungskosten von den Arbeitskosten?
Nahles: Zunächst mal ist es ein ungedeckter Scheck und die Gegenfinanzierung konnte auch durch den neuesten Vorschlag der CDU überhaupt nicht gewährleistet werden. Es ist also die Frage: Kann man sich eigentlich diese Entkoppelung tatsächlich leisten und da sage ich nein, das funktioniert nicht. Wenn man das entkoppelt, muss man einen sozialen Ausgleich organisieren und dieser ist dann für die Solidarität im System ganz wichtig, wenn man aber hinsieht, stellt man fest, dass über 14 Milliarden nicht gedeckt sind und das ist ein Zustand, der durch keinen Vorschlag, auch nicht den des Sachverständigenrats, abgesichert ist.
Birke: Sie wenden sich also vor allen Dingen gegen die von den Sachverständigen angeregte Umverteilungskomponente über eine Erhöhung auch der Umsatz- oder Einkommenssteuer?
Nahles: Ich sage, das System ist dem überlegen, das wir jetzt haben, nämlich Beiträge von vornherein so zu erheben, dass derjenige, der weniger verdient, weniger bezahlt und der, der mehr verdient mehr bezahlt. Alle anderen Konstruktionen, die praktisch im Nachhinein versuchen, einen gerechten Ausgleich zu schaffen und sich dann abhängig machen vom Steuersystem, egal, welches es ist, sind erst mal auf tönernen Füßen und nicht abgesichert. Ob jetzt eine Steuererhöhung kommt über die Einkommens- oder Umsatzsteuer ist mir jetzt erst mal egal. Ich finde das System als solches dem, was wir jetzt haben, worauf die Bürgerversicherung aufsitzen würde, ehrlich gesagt nicht über- sondern unterlegen.
Birke: Ist denn unter Wettbewerbskriterien aber nicht das Pauschalenmodell besser?
Nahles: Wir haben festgestellt, dass in dem einzigen Land, wo es eine Kostenpauschale bisher gibt, der Schweiz, diese im Durchschnitt im Jahr um 5,5 Prozent gestiegen sind. Es gibt also weiterhin eine Dynamik, die bedeutet, dass diese Ausgaben fürs Gesundheitssystem steigen. Aber dann nicht mehr für die Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite, sondern nur noch für die Arbeitnehmerseite. Wer jetzt glaubt, dass das volkswirtschaftlich neutral ist, wenn die Arbeitnehmerseite jedes Jahr im Durchschnitt mit fünf Prozent mehr belastet wird, weil die Kostendynamik nicht gebremst wird, muss ich ganz ehrlich sagen, den halte ich auch für naiv, das wirkt sich natürlich aus. Erstens bei der Nachfrage, die Leute haben weniger Geld für andere Sachen, aber natürlich auch bei den Lohnforderungen, weil die Leute es natürlich kompensieren wollen. Also die Versprechungen, dass das dann tatsächlich zu einer entsprechenden Kostendämpfung führt und dass hier davon profitiert wird volkswirtschaftlich, kann ich nicht nachvollziehen.
Birke: Mal Hand aufs Herz: Sind Sie nicht vor allen Dingen auch deshalb gegen diesen Kompromiss der Sachverständigen, weil es ja womöglich bedeuten würde, dass Sie ein Wahlkampfthema, nämlich "Wir sind für Bürgerversicherung" verlieren? Es ist ja praktisch eine große Koalition angemahnt, beide Systeme, nämlich Kopfprämie und Bürgerversicherung, zu vereinen.
Nahles: Der Sachverständigenrat hat nicht so unbedingt, abgesehen davon, dass er in dem ersten Teil, dass alle Bürger integriert werden sollen, das Konzept der SPD aufgreift, keine neuen Argumente für die Kopfpauschale, er bringt uns auch keine neuen Zahlen. Die Kopfpauschale belastet die Geringverdiener und Familien im Verhältnis zu den Besserverdienenden, sie ist nicht seriös gegenfinanziert, wir können uns keine Steuerentlastungen in dem Umfange, wie es die CDU jetzt verspricht, überhaupt leisten oder Steuererhöhungen sind volkswirtschaftlich auch nicht sinnvoll. Das sind die Konzepte, die auf dem Tisch liegen, die finde ich nicht richtig und das hat nichts mit irgendwelchen Tricks oder Wahlkampfüberlegungen zu tun, sondern ich glaube ganz ehrlich, die Bürgerversicherung hat diese Nachteile nicht und deswegen ist sie das bessere Modell.
Birke: Können wir uns denn dem weiteren Anstieg der Krankenversicherungs- sprich der Lohnnebenkosten leisten?
Nahles: Nein, aber das sagen wir auch. Wir wollen Beiträge, die ja übrigens auch schon durch die letzte Gesundheitsreform entlastet worden sind, weiter senken. Wer eine unmittelbare und sofortige Senkung der Beiträge will, muss die Bürgerversicherung machen. Die Vorschläge Kopfpauschale frieren die Arbeitgeberbeiträge zunächst auf dem jetzigen Niveau ein, sie senken sie nicht ab, während das Versicherungskonzept Bürgerversicherung im ersten Schritt sofort die Lohnnebenkosten senkt für die Arbeitgeber- genauso wie für die Arbeitnehmerseite, weil wir durch die Verbreiterung der Basis eben zusätzliche Einnahmen haben. Insoweit stimme ich durchaus zu, die Beiträge müssen kontrolliert sein, müssen sinken und genau das erreichen wir mit der Bürgerversicherung.
Birke: Nun sind die Senkungen der Kassenbeiträge längst nicht in erwartetem Umfang eingetreten. Geht die bisherige Reform nicht zu einseitig zu Lasten der Patienten, muss man hier nicht die Angebotsseite - Ärzte, Krankenhäuser und Pharmaindustrie - mehr heranziehen?
Nahles: Ich glaube, dass die Gesundheitsreform des letzten Jahres besser ist als ihr Ruf, sie erreicht nämlich in einigen Stellen auch tatsächliche Strukturreformen, zum Beispiel die integrierte Versorgung, aber auch die Chipkarte, die nächstes Jahr kommen wird. Da erwarte ich mehr Qualität für die Patienten, als auch ein stückweit eine Entlastung bei den Kosten, weil hier auch effizienter gearbeitet werden kann. Aber ich gebe zu: Wir sind noch nicht am Ende angekommen, es gibt noch eine Reserve, wir müssen die Strukturreformen und Ausgabenbegrenzungen weiter treiben und gerne auch da, wo sich die SPD im Vermittlungsausschuss nicht durchsetzen konnte bei der letzten Runde, wie etwa den Vorschlag von uns, eine Positivliste einzuführen oder auch die Möglichkeiten, eine integrierte Versorgung weiter auszubauen. Das ist von der CDU und FDP behindert worden. Aber gerne können wir auch in nächsten Schritten über solche Dinge, die wir auch für richtig erachten, weiter verhandeln.