Heuer: Monatelang haben Sie an der Bürgerversicherung gefeilt in Ihrer Kommission. Jetzt sagt der Kanzler, vor 2006 wird sowieso nichts unternommen. Fühlen Sie sich da nicht ein bisschen düpiert?
Nahles: Nein, weil ich glaube, man darf auch keine unrealistischen Erwartungen was die Zeit angeht, in der wir das umsetzen können, erzeugen. Es gibt da ja durchaus Probleme insoweit, als dass wir im Bundesrat - das ist ja bekannt - keine Mehrheit haben. Es ist im Zusammenhang mit der Bürgerversicherung einfach so, dass wir das ohne die Länderkammer nicht durchsetzen können. Insoweit würde ich es mir privat natürlich immer wünschen, dass es schneller geht, aber das hängt ganz klar von der CDU ab, inwieweit sie an ihren unsozialen Kopfpauschalen festhalten und inwieweit wir es dann mit denen, wenn sie sich davon abwenden würden, versuchen könnten. A-ber ich sehe das nicht. Ich sehe nicht, dass die CDU schon so weit wäre, dass sie von diesen Kopfpauschalen Abstand nimmt.
Heuer: Probleme, Frau Nahles, gibt es aber auch mit der SPD. Es sind nicht alle zufrieden mit Ihren Vorschlägen, auch nicht in den eigenen Reihen. Hans Eichel zum Beispiel hat gesagt, eine neue Steuerdebatte wegen der Bürgerversicherung sei schädlich. Haben Sie keine Sorge, die Bürger und Wähler weiter zu verschrecken?
Nahles: Die überwiegende Mehrzahl der Bürger wird ganz klar entlastet durch das Bürgerversicherungskonzept. Auch ich stimme Hans Eichel zu. Ich möchte auf keinen Fall eine weitere Steuerdebatte im allgemeinen Sinn. Was wir ja sagen ist, dass die Finanzierung der Bürgerversicherung nicht mehr alleine, wie das bisher ist, auf die Löhne und Gehälter gehen soll, die ja immer weiter belastet worden sind, auch durch die Wiedervereinigung, sondern was wir sagen ist, es müssen auch Kapitalerträge zur Finanzierung unseres Sozialsystems, also auch die gut Verdienenden, nämlich das sind im Wesentlichen diejenigen, die auch noch zusätzliche große Kapitalvermögen haben, beitragen.
Heuer: Kapitalvermögen haben aber auch Facharbeiter, Ihre Klientel also, und die wird sich freuen, Steuern darauf zahlen zu sollen.
Nahles: Zum einen haben wir einen Freibetrag eingesetzt. Das ist eben genau der Punkt, wo wir sagen, wir wollen nicht an kleinere Einkommen. Wenn ich mal eine Zahl nennen darf: Ein Ehepaar, was beispielsweise 90.000 Euro auf dem Sparbuch hat, wird von unseren Maßnahmen gar nicht betroffen. Erst wenn es deutlich mehr ist, kommt es überhaupt zu einer relevanten Verbeitragung in unserem System. Insoweit ist es was diese Fragen angeht wichtig, dass man sich das konkret anguckt und nicht allgemeine Ängste schürt, die es teilweise jetzt öffentlich gibt, sondern man muss jetzt versuchen, auch ein bisschen aufzuklären: was meint denn die Bürgerversicherung. Und was die Frage der Belastung angeht. Es ist klar: es konzentriert sich auf eine sehr kleine Gruppe.
Heuer: Die privaten Krankenkassen haben bereits Verfassungsklage angekündigt. Sind Sie sicher, dass die PKV vor Gericht unterliegen würden?
Nahles: Sicher kann man sich nie sein, aber ich bin sehr zuversichtlich, weil die PKV zur Zeit folgendes Problem hat. Sie lehnt die Kopfpauschale ab, weil ihr die Sätze zu niedrig sind, also die Pauschalen mit 200 Euro. Sie lehnt die Bürgerversicherung ab, weil sie sich in diesem Prozess verändern muss. Sie wird dann auch Anbieter von Bürgerversicherungstarifen sein. Das wollen sie nicht. Das heißt unterm Strich: sie wollen sich gar nicht bewegen. Ich glaube mit dieser Position werden sie das in den nächsten Monaten und Jahren nicht schaffen.
Heuer: Im Moment ist es ja so, dass die gesetzlichen Krankenversicherungen Überschüsse erwirtschaften. Das ist neu. Alle führen das auch auf die Gesundheitsreform zurück. Schließen Sie es aus, dass sich das Thema Bürgerversicherung und Kopfpauschale, also ein Systemwechsel, im Grundsatz vielleicht mit der Zeit von selber erledigt und alles beim alten bleiben kann?
Nahles: Es ist leider das Gegenteil der Fall, weil diese Senkungen sind erst mal sehr positiv und die tragen auch einige Jahre. Aber Sie müssen ja sehen, wenn die Entwicklung der Demographie, also die jüngeren Arbeitnehmer im Verhältnis zu den Rentnern weiter abnimmt - und das ist eine Entwicklung, die wir gar nicht mehr aufhalten können -, dann ist genau das Problem, dass diese wenigen jungen mit ihren Löhnen und Gehältern alleine mehr oder weniger dieses gesamte Gesundheitssystem tragen. Genau deswegen sagen wir ja, es müssen mehr Leute dazu kommen, also Beamte und Selbständige, und es müssen vor allem auch die zusätzlichen Einkünfte aus den Kapitalerträgen hinzu kommen. Dann ist es zukunftssicher und auch demographiefest.
Heuer: Andrea Nahles, Vorstandsmitglied in der SPD und dort zuständig für die Bürgerversicherung. Frau Nahles, danke für das Gespräch.