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Nahles verteidigt geplante Reichensteuer

Vor der Verabschiedung des SPD-Wahlmanifests hat die Sprecherin der Parteilinken, Andrea Nahles, den geplanten Steuerzuschlag für Spitzenverdiener verteidigt.Die Regierung habe den Arbeitnehmern in den letzten Jahren einiges abverlangt, erklärte Nahles. Es sei daher nur gerecht, nun auch andere gesellschaftliche Gruppen in die Verantwortung zu nehmen.

Moderation: Peter Lange |
    Peter Lange: Die Vertrauensfrage ist gestellt. Seit Freitag wartet alles mehr oder weniger ungeduldig auf das Votum des Bundespräsidenten. Allerdings die Parteien tun so, als ob der sich schon entschieden hätte. Am Wochenende haben diverse Landesverbände ihre Listen aufgestellt und heute entscheidet ein kleiner Parteitag der SPD über die Wahlplattform. Mehr Leistungen für Familien, ein Steuerzuschlag für die Reichen, Fortsetzung der Reformpolitik, aber sozial ausgewogen, das ist der Tenor. - Am Telefon ist nun Andrea Nahles, Sprecherin der Parteilinken und Mitglied im SPD-Präsidium. Guten Morgen Frau Nahles.

    Andrea Nahles: Guten Morgen!

    Lange: Frau Nahles, die Parteilinke äußert sich über die 37 Seiten des Manifestes durchweg zufrieden. Das muss ja eigentlich jeden misstrauisch machen, der das Verhältnis von Gerhard Schröder zu seiner Partei nur ein bisschen kennt?

    Nahles: Wir haben hart daran gearbeitet, dass dies ein Parteiprogramm wird, ein Wahlprogramm, was von allen getragen werden kann. So haben sich auch andere, die nicht der Parteilinken angehören, positiv geäußert. Mein Eindruck ist, dass wir insgesamt eine sehr geschlossene SPD hinter dieser Wahlplattform haben.

    Lange: Aber ein bisschen liest sich das alles so, als gäbe es eine zweite SPD, die bislang in der Opposition war und hofft, jetzt endlich das zu verwirklichen, was sie schon immer vor hatte. Wie wollen Sie das mit der anderen SPD, mit der von Schröder, Clement und Müntefering umsetzen?

    Nahles: Wir haben durchaus eine selbstbewusste Bilanz dessen gemacht, was die Reformpolitik der letzten Jahre war. Wir nehmen auch nicht Hartz IV beispielsweise zurück. Auf der anderen Seite haben wir nach vorne orientiert versucht, ein Programm zu machen was zeigt, wir machen weitere Reformen, beispielsweise bei der Bürgerversicherung oder in der Pflege, wo wir klar sagen, wir sind noch nicht am Ende mit den Reformen, aber trotzdem ein Stück weit eine stärkere soziale Balance damit zu integrieren, auch klar zu machen, dass wir auf dem Binnenmarkt das Hauptproblem sehen, nicht bei der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft. Das sind neue Akzente. Das ist richtig. Es gibt aber keinen Bruch mit dem, was wir bisher gemacht haben.

    Lange: Sie sagen bei Hartz IV bleibt es. Andererseits wird Hartz IV für ältere Arbeitslose wenn auch etwas verklausuliert deutlich entschärft. Meinen Sie wirklich, dass das Wolfgang Clement gegenzeichnet?

    Nahles: Wichtig ist, dass die Mehrheit dies heute gegenzeichnet. Es wird vielleicht an der einen oder anderen Stelle Leute geben, die einzelne Punkte nicht mittragen. Ob Wolfgang Clement dazu gehört, kann ich nicht sagen, aber Tatsache ist, dass ältere Arbeitslose nicht schon nach einem Jahr, wenn sie 30 Jahre einbezahlt haben, plötzlich auf Sozialhilfeniveau landen dürfen. Da waren wir uns einig. Das ist eine richtige Korrektur. Wir haben auch gesagt, dass im Osten genau dasselbe Arbeitslosengeld II gezahlt werden sollte wie im Westen. Ich persönlich hätte mir gewünscht, dass man das vielleicht schon vor einem Jahr hätte erkennen können, aber so ist es jetzt und ich bin froh darüber.

    Lange: Wer soll der SPD nun abnehmen, dass sie eine Reichensteuer einführt, nachdem also alle Ansätze in Richtung Erbschaftssteuer und Vermögenssteuer von der SPD-geführten Regierung sieben Jahre abgelehnt worden sind?

    Nahles: Na ja, die Einkommenssteuer ist in erster Linie eine Steuer, die man auf der Bundesebene gestalten kann, und da wollen wir ja oben ab einem Einkommen von 250.000 Euro 3 Prozent draufpacken. Das ist bei der Erbschaftssteuer eine Angelegenheit, die im Bundesrat entschieden wird, und da muss man ganz klar sagen hatten wir in den letzten Jahren keine Mehrheiten und es ist auch so, dass das Bundesverfassungsgericht hier bei der Erbschaftssteuer noch eine Entscheidung fällen wird. Es steht also die Erbschaftssteuer auch noch auf der Tagesordnung und auch im Programm.

    Lange: Ihr Parteifreund Thilo Sarrazin, immerhin Finanzsenator im nicht ganz so reichen Berlin, sagt, das ist ein kommunikativer Gag mit der Reichensteuer, mehr nicht.

    Nahles: Ach ja, also ich kann nur sagen das ist mehr. Wir werden dort fast zwei Milliarden Euro einnehmen, wo wir klar gesagt haben, die wollen wir für Bildung und Forschung investieren. Und wenn man sich anguckt, dass wir insgesamt auf der Bundesebene neun Milliarden ausgeben, dann sind zwei Milliarden mehr eine Menge.

    Lange: Kurt Beck, der stellvertretende SPD-Chef, hat im Deutschlandfunk am Wochenende erklärt, der Kurs von Gerhard Schröder werde fortgesetzt, also weitere Reformen und auch weitere Zumutungen für die Bürger. Wie verhält sich das mit Ihrer Ausrichtung nach mehr sozialer Ausgestaltung?

    Nahles: Solche Allgemeinsätze, mehr Zumutung, die finde ich nicht so glücklich. Wir sollten gucken, was ist es denn konkret. Was wollen wir denn konkret machen? Da ist es tatsächlich so, dass wir nicht versprechen können, wenn die Wirtschaft nicht in Schwung kommt, was wir allerdings versuchen wollen, indem wir mit dem Wahlprogramm auch Investitionen auf dem Binnenmarkt ankurbeln, aber wenn das nicht gelingt, dann ist es natürlich die Frage wie geht es weiter. Dann kann man sich nicht auf die sichere Seite stellen und sagen, es wird alles prima, wir werden nie wieder auch einen Beitrag der Bürgerinnen und Bürger verlangen. Konkrete Einschnitte sehe ich aber in dem Wahlprogramm zurzeit nicht.

    Lange: Sie sagen ja auch keine neuen Sparrunden ohne vorherigen Aufschwung, auch keine höhere Mehrwertsteuer. Das hört sich aber alles an wie das Gegenteil von Zumutungen?

    Nahles: Wenn ich ganz ehrlich bin, dann hatten die Bürgerinnen und Bürger in den letzten Jahren - zum Beispiel jetzt am 1. 7. wurde das Krankengeld noch mal umfinanziert - allein in der Gesundheitspolitik mit über fünf Milliarden ihren Beitrag auch geleistet. Wenn wir jetzt sagen, es sind auch noch andere gesellschaftliche Gruppen dran wie zum Beispiel die Unternehmen, denen wir die Steuerschlupflöcher dicht machen wollen, wo das möglich ist, wo wir sagen, wir wollen eingerechteres Steuersystem, dann finde ich ist es wichtig zu sagen, wir haben von den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in den letzten Jahren einiges abverlangt und es muss jetzt möglich sein, auch andere Gruppen wie beispielsweise bei der Steuerpolitik auch mit in die Verantwortung zu nehmen. Das denke ich ist auch mehr als gerechtfertigt.

    Lange: Aber was ist mit der Finanzierbarkeit? In dem Programm steht das Elterngeld drin. Das wird den Staat Milliarden kosten. Die steuerliche Abzugsfähigkeit von Reparaturen ist ja auch wieder eine Art von Steuerschlupfloch. Wie wollen sie als Sozialdemokraten glaubwürdig vermitteln, dass dies mit einem Kanzler Gerhard Schröder realisierbar wäre?

    Nahles: Bei dem Elterngeld - das ist ganz klar - geht die Gegenfinanzierung aus meiner Sicht mit dem Ehegatten zu tätigen, was aus meiner Sicht ein alter Zopf ist, der abgeschnitten gehört und wo ich ganz klar sage, auch zusammen mit Renate Schmidt, das ist der Weg der Gegenfinanzierung. Da entstehen keine neuen Lücken. Was die Abzugsfähigkeit von Instandsetzungskosten angeht, ja das ist für mich keine Subvention, sondern das ist eine Investition in Arbeitsplätze in den Kommunen vor Ort. Das geht nicht irgendwie ins Ausland über eine europäische Abschreibung oder sonstiges, sondern das Geld wird direkt auch wieder eingesetzt und schafft eben auch mehr Steuereinnahmen und schafft auch Arbeitsplätze. Das Programm wird sich meiner Meinung nach definitiv selber finanzieren.

    Lange: Aber die Erfahrung hat doch gezeigt, dass solche Abzugsmöglichkeiten auch immer Missbrauchsmöglichkeiten einschließen?

    Nahles: Ja, aber da haben wir in den letzten Jahren etwas getan, indem wir gesagt haben, da kann sich nicht mehr der eine Nachbar dem anderen Rechnungen schreiben, sondern da muss überall eine Steuernummer drauf. Da haben wir diese Möglichkeiten, das nicht korrekt zu machen, deutlich eingeschränkt. Insoweit haben wir doch die klare Erwartung, dass es nicht zu großen Mitnahmeeffekten kommt.

    Lange: Frau Nahles, einige Forderungen sind ja durchaus deckungsgleich mit dem, was sich gerade als Links-Partei formiert. Die will den Spitzensteuersatz erhöhen; Sie selbst betrachten die Senkung unter rot-grün inzwischen als Fehler. Die Linkspartei will gesetzliche Mindestlöhne; die SPD will das auch, sofern die Tarifparteien das nicht hinkriegen. Wie wollen Sie denn bei dieser Schnittmenge die Abgrenzung zur Linkspartei hinkriegen?

    Nahles: Zunächst ist die SPD die große linke Volkspartei und wir haben in diesen Fragen auch eine klare Linie schon seit vielen Jahren. Wir sind die Partei auf der sozialen Balance und der sozialen Marktwirtschaft. Wenn jetzt die Links-Partei in einigen Punkten da auch Ähnliches verkündet, dann zeigt das eigentlich aus meiner Sicht, dass sie relativ überflüssig sind am linken Rand. Zum zweiten ist es so, dass wir insbesondere bei der Frage der Steuerpolitik, was auch die Frage der Verteilungsspielräume angeht, bei der Europapolitik, wo billiger Populismus betrieben wird, und auch in der Frage wie wird mit Hartz umgegangen, wollen wir da eine Rolle rückwärts machen, alles was in den letzten Jahren dort an Zusammenlegung organisiert worden ist wieder rückgängig machen, definitiv andere politische Meinungen haben. Mit uns kann man sozialen Fortschritt auch organisieren, aber nicht nur rückwärts gewandte Politik machen und das sind klare Unterschiede.

    Lange: Vieles steht ja unter dem Vorbehalt, dass die Konjunktur wieder anspringt und dass das jeweilige Vorhaben überhaupt finanzierbar ist. Müsste da nicht ehrlicherweise in so einem Programm auch drin stehen, unser Handlungsspielraum ist sehr viel enger als wir bisher angenommen haben und wir wissen auch nicht, ob unser Kanzler da mitmacht?

    Nahles: Der Kanzler wird, so wie ich das intern jetzt verstanden habe - und das kommt natürlich auch heute noch auf die Beratungen an, aber ich bin da sehr optimistisch -, sich voll hinter dieses Programm stellen. Zum zweiten ist es doch so, dass wir entweder Vertrauen in die Kraft, die wir in unserem Land haben - wir sind immerhin Exportweltmeister; wir haben ein hohes Wohlstandsniveau; wir haben gute Facharbeiter und Leute -, setzen müssen. Entweder wir haben Vertrauen, dass wir in den nächsten zwei Jahren auch wieder wirtschaftlich aus der Stagnation heraus kommen und dann wird auch vieles, vieles möglich sein, oder wir haben das nicht. Ich kann jedenfalls diese Schwarzmalerei und diesen Defätismus, der sich wie so ein Mehltau über das Land legt, nicht akzeptieren. Gerade wir als Politiker sollten mit einem großen Maß an Optimismus dort auch vorangehen. Ohne dass etwas in Bewegung kommt, ohne dass die Konjunktur anspringt, ist tatsächlich einiges nicht möglich, aber den Optimismus habe ich, dass uns das gelingen kann.

    Lange: In den "Informationen am Morgen" war das Andrea Nahles. Sie ist Sprecherin der Parteilinken und Mitglied im SPD-Präsidium. Danke schön für das Gespräch Frau Nahles und auf Wiederhören!