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Nahost-Experte: Angriff auf den Iran "immer wahrscheinlicher"

Im Konflikt zwischen dem Iran und dem Westen gehe es nur vordergründig um das umstrittene iranische Atomprogramm, glaubt der Nahost-Experte Michael Lüders. Der Westen wolle Iran als Regionalmacht verhindern. Im Falle eines Krieges drohe ein Flächenbrand im Nahen und Mittleren Osten, warnt Lüders.

Michael Lüders im Gespräch mit Jasper Barenberg |
    Jasper Barenberg: Morgen beginnt in Istanbul eine Uhr zu ticken. So muss man es sich wohl vorstellen. Dann nehmen an einem Verhandlungstisch am Bosporus auf der einen Seite Unterhändler des Iran Platz, auf der anderen Vertreter der fünf ständigen Mitglieder im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen und Deutschlands zu einer neuen Gesprächsrunde über das iranische Atomprogramm. Seit zehn Jahren spielt Teheran auf Zeit: mal signalisiert das Regime Gesprächsbereitschaft, dann wieder mauert die Regierung, pocht auf ihr Recht, Atomkraft friedlich zu nutzen. Die gute Absicht aber kauft der Westen den Iranern lange schon nicht mehr ab. Israel droht gar mit einem Militärschlag. Die Ungeduld wächst, diesmal – so der Tenor – muss Teheran liefern. – Über die Erfolgsaussichten dieser neuen Verhandlungsrunde im Poker um das iranische Atomprogramm wollen wir in den nächsten Minuten mit dem Nahost-Experten und Publizisten Michael Lüders sprechen. Einen schönen guten Morgen!

    Michael Lüders: Schönen guten Morgen!

    Barenberg: Herr Lüders, US-Präsident Barack Obama spricht von einer letzten Chance, die Krise diplomatisch zu lösen, und das heißt eben vor allem friedlich. Ist diese Verhandlungsrunde in Istanbul die entscheidende?

    Lüders: Sie ist in der Tat eine entscheidende Verhandlungsrunde, aber es steht zu befürchten, dass nicht wirklich etwas dabei herauskommen wird, jedenfalls nicht eine Befriedung der Situation. Die Prognose sei gewagt, dass der Iran im Verlaufe und vor allem nach den Verhandlungen sagen wird, dass man substanzielles Entgegenkommen gezeigt habe. Die USA und Israel hingegen werden sagen, dass der Iran einmal mehr auf Zeit gespielt habe, und damit ist dann doch der Countdown zu einer sehr schwierigen Situation gelegt. Die Paradoxie ist, dass die USA diesen Krieg eigentlich nicht wollen, der sich mehr und mehr abzeichnet, aber die israelische Regierung, vor allem Ministerpräsident Netanjahu und sein Verteidigungsminister Ehud Barak, scheinen, doch fest entschlossen zu sein, das aus ihrer Sicht bestehende Sicherheitsrisiko für Israel auszuschalten, indem man den Iran angreift.

    Barenberg: Warum sind Sie so skeptisch? Immerhin hat die iranische Seite ja Gesprächsbereitschaft signalisiert, und mehr noch: sie hat auch ein Entgegenkommen in der Sache signalisiert, und auch der Westen, insbesondere Unterhändler auch der EU, sind ja bereit, auch dem Iran entgegenzukommen.

    Lüders: Wenn man sich die Verhandlungen anguckt in den letzten Jahren – die werden ja geführt seit 2003 -, dann muss man feststellen, dass es immer wieder Gründe gab, unzufrieden zu sein mit der iranischen Haltung. Man muss es klar und deutlich sagen: die iranische Führung hat die Inspektoren der Internationalen Atomenergiebehörde immer wieder hinters Licht geführt. Andererseits muss man sich auch vor Augen halten, dass diese Atomverhandlungen eben nicht alleine zum Ziel haben, das Sicherheitsrisiko oder das vermeintliche Sicherheitsrisiko, das besteht in dem Moment, wo der Iran möglicherweise nach der Bombe greift, zu verringern. Es gibt eine andere Dimension noch in diesem Konflikt, und das ist der Versuch, den Iran als eine regionale Macht möglichst klein zu halten. Das ist ein ganz entscheidender Grund in diesem Konflikt. Die USA und Israel, in ihrem Windschatten auch die Europäer, sind nicht gewillt, den Iran als eine Regionalmacht zu akzeptieren. Der Iran aber wiederum pocht darauf, eine solche zu sein. Und die Konflikte, die wir hier erleben, gegenwärtig in Syrien und nun mit dem Iran, sind auch zu interpretieren als der Versuch, die letzten Widersacher einer westlichen Politik in der Region in die Schranken zu weisen. Es geht also nicht allein um das iranische Atomprogramm, sondern auch um Geopolitik, und die Forderung der westlichen Seite in diesen Verhandlungen, der Iran möge die Atomanreicherungsanlage in Fordo unweit von Qom, einer Stadt südlich von Teheran, schließen, erscheint doch sehr unrealistisch. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Iraner dies tun werden. Wenn man aber von vornherein eine so hohe Erwartung steckt, dann kann sie eigentlich nur scheitern.

    Barenberg: Sollten denn diese Aspekte, also Iran als Regionalmacht, sollte das ausgeklammert werden aus den Verhandlungen, beziehungsweise ist da die westliche Seite auf der falschen Fährte, das mit einzubeziehen, oder dass das eine Rolle spielt bei diesen Verhandlungen?

    Lüders: Das ist meine persönliche Überzeugung. Ich glaube nicht, dass man bislang auf eine Art und Weise mit dem Iran verhandelt hat, die wirklich dazu führt, dass es Frieden geben kann in der Region. Zunächst mal muss man vorwegschicken, um das auch noch mal klar und deutlich zu sagen, dass nach allen Informationen, die US-amerikanische und israelische Geheimdienste haben, der Iran nicht an einer Atombombe baut und auch nicht im Begriff steht, dieses zu tun. Selbst der ranghöchste General der Vereinigten Staaten, Martin Dempsey, hat im vorigen Monat sehr klar gemacht, dass es einen solchen Hinweis nicht gibt. Gleichwohl wird der Iran als eine große Gefahr gesehen, vor allem in Israel. Das ist mit Blick auf die antiisraelische Rhetorik Ahmadinedschads auch verständlich. Aber die Ängste, die in der israelischen Bevölkerung bestehen, werden auch instrumentalisiert von der israelischen Regierung mit dem Ziel, den Iran zu einer Menschheitsbedrohung zu stilisieren, und darin sehe ich eine sehr, sehr große Gefahr. Es gibt nicht wirklich die Bereitschaft, sich mit dem Iran zu arrangieren. Wenn man sich die Gesetze anschaut, mit denen die iranische Wirtschaft unter Druck gesetzt wird, die Boykottmaßnahmen und vor allem den Boykott des iranischen Erdöls, sowie die gesetzlichen Versuche, alle Aktivitäten der iranischen Handelsbank mit dem Ausland zu unterbinden, das alles sind keine Verhandlungsangebote, das sind wirtschaftliche Kriegserklärungen. Es geht darum, den Iran in die Knie zu zwingen, es geht nicht allein um das Atomprogramm.

    Barenberg: Aber Sie haben ja selbst gesagt, dass der Iran den Westen hingehalten hat, ein ums andere Mal in den vergangenen Jahren. Muss man nicht also umgekehrt sagen, dass erst die Sanktionen und auch erst die Drohung aus Israel dazu geführt haben, dass sich der Iran jetzt beginnt zu bewegen?

    Lüders: Der Iran hat eigentlich in den vergangenen Jahren immer wieder die Bereitschaft signalisiert, IAEA-Inspektoren aus Wien zu empfangen. Er hat sie immer wieder auch hinters Licht geführt. Aber auch die westliche Seite hat dem Iran gegenüber nicht immer mit offenen Karten gespielt. Beide Seiten pokern und sie pokern hoch. Es ist nur nicht klar, wohin dieses Pokerspiel eigentlich führen soll, denn aus westlicher Sicht gilt jede Form der Urananreicherung im Iran als äußerst problematisch. Der Iran aber besteht auf, wie er sagt, der friedlichen Nutzung seines Atomprogramms, und es ist ganz schwer sich nur vorzustellen, dass westliche Staaten, allen voran die USA und Israel, dieses wirklich akzeptieren werden. Die Bedrohung aus dem Iran bleibt aus ihrer Sicht bestehen. Es ist aber noch einmal wichtig, sich vor Augen zu führen, dass der Iran nicht, nach allen Erkenntnissen US-amerikanischer und israelischer Geheimdienste, über die Atombombe verfügt und auch nicht danach strebt. Insofern ist es schon erstaunlich, mit welcher Massivität hier in Richtung eines militärischen Engagements gepokert wird. Das ist sehr Besorgnis erregend. Ich glaube, dass die meisten westlichen Politiker die Auswirkungen eines solchen Krieges unterschätzen. Die Kriegsapologeten glauben, man könne den Iran zwei, drei Wochen bombardieren, dann wäre das Land am Boden, das Regime würde sich nicht halten können und die Demokratiebewegung würde dann die Macht übernehmen. Das alles ist Wunschdenken. Ein Angriff auf den Iran, der immer wahrscheinlicher wird, würde die gesamte Region des Nahen und Mittleren Ostens in Brand setzen. Es würde einen Kollaps der Weltwirtschaft zur Folge haben aufgrund explodierender Ölpreise. Das wäre eine wirklich furchtbare Dramatik, an der niemandem gelegen sein kann, am allerwenigsten den Bürgern Israels.

    Barenberg: Im Westen, Herr Lüders, zweifelt kaum jemand daran, dass der Iran die Bombe will, die Fähigkeit entwickeln will, jedenfalls sie bauen zu können. Sie schon?

    Lüders: Nein! ich bin schon davon überzeugt, dass der Iran danach strebt, wenn er schon keine Sicherheitsgarantien bekommt von dem Westen. Der Iran hat ja Angst davor, angegriffen zu werden. Die Erfahrung des Krieges zwischen Irak und Iran 1980 bis 88 sitzt den Iranern und der politischen Führung, so unerträglich sie ist, noch immer in den Knochen. Und wir haben amerikanische Soldaten in allen Nachbarländern des Irans stationiert, mit Ausnahme Turkmenistans, und natürlich weiß man im Iran, dass seit der Rede von Präsident Bush 2003, derzufolge der Iran zur Achse des Bösen zähle und ein Schurkenstaat sei, dass man mit einem Angriff zu rechnen habe. Entsprechend ist man natürlich gewappnet, hat aber auch Angst. Man darf das nicht losgelöst sehen von diesen Atomverhandlungen. Der Iran hätte allen Anlass, nach der Atombombe zu greifen - nicht um Israel anzugreifen, das würde er nicht tun, dafür gibt es keinen Grund, jenseits antiisraelischer Rhetorik, die vor allem innenpolitische Gründe hat. Der Iran wird aber nicht so dumm sein, andere Länder in der Region anzugreifen, dafür gibt es keinen Hinweis.

    Barenberg: Aber warum, Herr Lüders, sollte Israel denn warten, bis der Iran den ersten nuklearen Sprengkopf zusammengeschraubt hat?

    Lüders: Ja ich glaube, dass man dieses Problem der nuklearen Bewaffnung und der Frage, ob der Iran kurz- oder mittelfristig dieses dennoch tut, nicht lösen kann durch bilaterale Verhandlungen allein, so wie sie jetzt stattfinden, sondern ich glaube, man muss die Dinge dann in einer größeren Perspektive betrachten, nämlich einer atomwaffenfreien Region des Nahen und Mittleren Ostens. Auch wenn wir das in Deutschland nicht gerne hören, aber die Tatsache, dass Israel über 200 bis 300 Atombomben verfügt, nicht Teil ist des Atomwaffen-Sperrvertrages, dem Iran hingegen auch bei der zivilen Anreicherung bereits große Probleme gemacht werden, das kann man den Menschen in der Region nicht wirklich vermitteln. Also eine konstruktive Politik muss darin bestehen, dem Iran einerseits Sicherheitsgarantien anzubieten, dass er nicht angegriffen wird von den USA und oder Israel, und andererseits auch darin, Israel in die Pflicht zu nehmen, sein eigenes Atomwaffen-Programm internationaler Kontrolle zu unterstellen.

    Barenberg: Der Politik- und Islamwissenschaftler Michael Lüders heute Morgen hier im Deutschlandfunk. Wir haben gesprochen über die anstehende Verhandlungsrunde im Streit um das iranische Atomprogramm. Vielen Dank!


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.