Dirk Müller: Der Fokus hat sich in den vergangenen Wochen verschoben. Der Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern ist etwas in den Hintergrund gerückt. Die Beobachter konzentrieren sich zunehmend auf die Auseinandersetzungen innerhalb des palästinensischen Lagers: die Auseinandersetzung zwischen dem moderaten Palästinenserpräsidenten Abbas und der radikal-islamischen Hamas, ein Streit über die mögliche Anerkennung Israels. Derweil droht die militärische Situation zwischen Israelis und Palästinensern im Gaza-Streifen zu eskalieren.
Zurück zum innerpalästinensischen Konflikt, zum innerpalästinensischen Streit. Abdallah Frangi, Fatah-Chef im Gaza-Streifen, hat heute Morgen gesagt, es könnte auf einen Bürgerkrieg hinauslaufen, diese Auseinandersetzung um ein Referendum zu Gunsten der Anerkennung Israels. Darüber sprechen wollen wir nun mit dem Grünen-Politiker Christian Sterzing, Chef der Heinrich-Böll-Stiftung in Ramallah im Westjordanland. Guten Tag!
Christian Sterzing: Schönen guten Tag, Herr Müller!
Müller: Herr Sterzing, ist das ein realistisches Szenario, möglicher Bürgerkrieg?
Sterzing: Ich glaube, dass in diesem Falle wohl kaum jemand Herrn Frangi widersprechen wird. Wir haben sozusagen alle Zutaten für einen Bürgerkrieg. Die beiden wesentlichen Fraktionen, also Hamas und Fatah, stehen sich gegenüber. Es hat keine Einigung über dieses so genannte Gefangenenpapier gegeben. Es gibt seit Wochen andauernde Auseinandersetzungen auf der Straße, weil beide Seiten ihre so genannten Sicherheitskräfte in Stellung gebracht haben. Diese Eskalation in der Auseinandersetzung mit Israel könnte ein weiteres Element sein, das die Lage weiter zuspitzt, und in einer solchen Situation entwickeln sich manchmal unvorhergesehenerweise Dynamiken, die dann nicht mehr zu stoppen sind.
Müller: Herr Sterzing, Sie sprechen von Zutaten. Sind das Zutaten, die von beiden Seiten noch angereichert werden?
Sterzing: Ja. Es ist sicherlich im Augenblick so, dass die innerpalästinensische Auseinandersetzung um das Referendum sich zuspitzt. Hamas hat angedroht, dieses Referendum zu boykottieren. Fatah und der Präsident Mahmud Abbas wollen es durchsetzen. Hier arbeitet eben der Präsident Mahmud Abbas mit einem sehr großen Risiko, und für Hamas birgt natürlich dieses Referendum auch große Risiken. Sie haben nicht zugestimmt diesem Gefangenenpapier. Wenn sie zugestimmt hätten, hätte das sicherlich ein Teil der Anhängerschaft von Hamas nicht akzeptiert. Wenn sie in einem Referendum geschlagen werden, dann sieht es natürlich auch sehr schwierig aus für Hamas, weil man dann damit rechnen muss, dass der Präsident diese Regierung auflöst.
Müller: Wenn ich Sie jetzt richtig verstanden habe und interpretiere, Herr Sterzing, dann hört sich das so an, dass eine politische Lösung zwischen diesen beiden Lagern so gut wie unmöglich ist?
Sterzing: Im Augenblick pokern beide Seiten sehr hoch, und es ist eben in den vergangenen Wochen ja schon stundenlang, tagelang über dieses Dokument, das Grundlage des Referendums sein soll, gesprochen und verhandelt worden. Aber man hat offensichtlich keinerlei Möglichkeit gesehen, hier zu einer gemeinsamen Stellungnahme zu kommen, und insofern ist im Augenblick eigentlich nicht zu sehen, dass Hamas in irgendeiner Weise nachgibt. Auch Präsident Abbas hat mit diesem Referendum einen Weg eingeschlagen, sobald er hier nicht konsequent weitergeht, wird das natürlich auch sein Ansehen und sein Standing in der palästinensischen Gesellschaft erheblich gefährden.
Müller: Herr Sterzing, ganz gleich wo das jetzt hingehen sollte, wenn es tatsächlich auch zu einem Bürgerkrieg kommen wird, zu Gewalt, hat Abbas eine realistische Chance, das alles für sich zu entscheiden?
Sterzing: Auch das ist sehr schwer vorherzusehen, weil man, glaube ich, schon davon ausgehen muss, dass beide Seiten, also sowohl der Präsident Abbas als auch eben Hamas mit dem Ministerpräsidenten Hanija, nicht über eine völlige Kontrolle ihrer Truppen oder Sicherheitskräfte, ihrer Milizen, wie immer man das nennen mag, verfügen. Hier gibt es durchaus kleinere War Lords, gibt es Banden, gibt es Strukturen, wo viele Leute auf eigene Rechnung agieren. Insofern können sich aus solchen Zwischenfällen, die gar nicht im Interesse der einen oder anderen Führung liegen, eben solche gefährlichen Dynamiken entwickeln, ohne dass jetzt von oben her gesagt wird, es soll jetzt in irgendeiner Weise losgehen. Das Problem ist, dass wir eine sehr chaotische Situation haben, die niemand vollständig kontrolliert, und die Kräfteverhältnisse sind auch nicht ganz klar. Zwar hat Hamas eine breite Unterstützung politisch im Gaza-Streifen, aber Fatah verfügt doch - das nimmt man in etwa an - über 30.000 Männer, die unter Waffen stehen, während es bei Hamas viel weniger sind.
Müller: Hofft Fatah auf Hilfe aus dem Westen?
Sterzing: Ich glaube nicht, dass hier in irgendeiner Weise militärische Hilfe von irgendeiner Seite zu erwarten ist. Es ist ein wesentlich innerpalästinensischer Streit. Die Frage ist, inwieweit sich politisch sozusagen etwas tut. Hier hat sich leider in den letzten Wochen sehr wenig bewegt, das in irgendeiner Weise jetzt den Präsidenten politisch stützen würde und seine Position stärken würde. Er vertritt ja einen Kurs, der immer wieder sagt, wir wollen verhandeln, wir sind bereit zu einer Zwei-Staaten-Lösung, aber im Augenblick bewegt sich auch die internationale Gemeinschaft sozusagen diplomatisch in eine Sackgasse herein, die ihr weitgehend die Möglichkeiten, differenziert auf die komplexe Entwicklung im Gaza-Streifen, genommen hat.
Müller: Welche Konsequenzen hätte ein Bürgerkrieg für die gemeinsame palästinensische Sache?
Sterzing: Es wäre sicherlich eine völlig neue Situation, denn die palästinensische Einheit wird von den Palästinensern als ein ganz hohes Gut immer betrachtet. Es wird immer davor gewarnt, natürlich angesichts der Situation der Palästinenser unter einer Besatzung, sich nun intern zu zerfleischen und mit einem Bürgerkrieg sich politisch natürlich auch völlig unfähig zu machen, aus dieser Besatzungssituation herauszukommen. Insofern werden ganz gewiss von den Führern auf beiden Seiten alle Anstrengungen unternommen werden, um diese palästinensische Einheit auch in Zukunft zu erhalten. Die Frage ist halt immer, dass ein solches dann oft ja auch künstliches Aufrechterhalten einer Einheit dazu führt, dass die palästinensische Führung als solches politisch handlungsunfähig ist und sich insofern auch im palästinensisch-israelischen Konflikt nichts an Bewegung ergibt.
Müller: Christian Sterzing war das, Chef der Heinrich-Böll-Stiftung in Ramallah. Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören.
Sterzing: Auf Wiederhören.
Zurück zum innerpalästinensischen Konflikt, zum innerpalästinensischen Streit. Abdallah Frangi, Fatah-Chef im Gaza-Streifen, hat heute Morgen gesagt, es könnte auf einen Bürgerkrieg hinauslaufen, diese Auseinandersetzung um ein Referendum zu Gunsten der Anerkennung Israels. Darüber sprechen wollen wir nun mit dem Grünen-Politiker Christian Sterzing, Chef der Heinrich-Böll-Stiftung in Ramallah im Westjordanland. Guten Tag!
Christian Sterzing: Schönen guten Tag, Herr Müller!
Müller: Herr Sterzing, ist das ein realistisches Szenario, möglicher Bürgerkrieg?
Sterzing: Ich glaube, dass in diesem Falle wohl kaum jemand Herrn Frangi widersprechen wird. Wir haben sozusagen alle Zutaten für einen Bürgerkrieg. Die beiden wesentlichen Fraktionen, also Hamas und Fatah, stehen sich gegenüber. Es hat keine Einigung über dieses so genannte Gefangenenpapier gegeben. Es gibt seit Wochen andauernde Auseinandersetzungen auf der Straße, weil beide Seiten ihre so genannten Sicherheitskräfte in Stellung gebracht haben. Diese Eskalation in der Auseinandersetzung mit Israel könnte ein weiteres Element sein, das die Lage weiter zuspitzt, und in einer solchen Situation entwickeln sich manchmal unvorhergesehenerweise Dynamiken, die dann nicht mehr zu stoppen sind.
Müller: Herr Sterzing, Sie sprechen von Zutaten. Sind das Zutaten, die von beiden Seiten noch angereichert werden?
Sterzing: Ja. Es ist sicherlich im Augenblick so, dass die innerpalästinensische Auseinandersetzung um das Referendum sich zuspitzt. Hamas hat angedroht, dieses Referendum zu boykottieren. Fatah und der Präsident Mahmud Abbas wollen es durchsetzen. Hier arbeitet eben der Präsident Mahmud Abbas mit einem sehr großen Risiko, und für Hamas birgt natürlich dieses Referendum auch große Risiken. Sie haben nicht zugestimmt diesem Gefangenenpapier. Wenn sie zugestimmt hätten, hätte das sicherlich ein Teil der Anhängerschaft von Hamas nicht akzeptiert. Wenn sie in einem Referendum geschlagen werden, dann sieht es natürlich auch sehr schwierig aus für Hamas, weil man dann damit rechnen muss, dass der Präsident diese Regierung auflöst.
Müller: Wenn ich Sie jetzt richtig verstanden habe und interpretiere, Herr Sterzing, dann hört sich das so an, dass eine politische Lösung zwischen diesen beiden Lagern so gut wie unmöglich ist?
Sterzing: Im Augenblick pokern beide Seiten sehr hoch, und es ist eben in den vergangenen Wochen ja schon stundenlang, tagelang über dieses Dokument, das Grundlage des Referendums sein soll, gesprochen und verhandelt worden. Aber man hat offensichtlich keinerlei Möglichkeit gesehen, hier zu einer gemeinsamen Stellungnahme zu kommen, und insofern ist im Augenblick eigentlich nicht zu sehen, dass Hamas in irgendeiner Weise nachgibt. Auch Präsident Abbas hat mit diesem Referendum einen Weg eingeschlagen, sobald er hier nicht konsequent weitergeht, wird das natürlich auch sein Ansehen und sein Standing in der palästinensischen Gesellschaft erheblich gefährden.
Müller: Herr Sterzing, ganz gleich wo das jetzt hingehen sollte, wenn es tatsächlich auch zu einem Bürgerkrieg kommen wird, zu Gewalt, hat Abbas eine realistische Chance, das alles für sich zu entscheiden?
Sterzing: Auch das ist sehr schwer vorherzusehen, weil man, glaube ich, schon davon ausgehen muss, dass beide Seiten, also sowohl der Präsident Abbas als auch eben Hamas mit dem Ministerpräsidenten Hanija, nicht über eine völlige Kontrolle ihrer Truppen oder Sicherheitskräfte, ihrer Milizen, wie immer man das nennen mag, verfügen. Hier gibt es durchaus kleinere War Lords, gibt es Banden, gibt es Strukturen, wo viele Leute auf eigene Rechnung agieren. Insofern können sich aus solchen Zwischenfällen, die gar nicht im Interesse der einen oder anderen Führung liegen, eben solche gefährlichen Dynamiken entwickeln, ohne dass jetzt von oben her gesagt wird, es soll jetzt in irgendeiner Weise losgehen. Das Problem ist, dass wir eine sehr chaotische Situation haben, die niemand vollständig kontrolliert, und die Kräfteverhältnisse sind auch nicht ganz klar. Zwar hat Hamas eine breite Unterstützung politisch im Gaza-Streifen, aber Fatah verfügt doch - das nimmt man in etwa an - über 30.000 Männer, die unter Waffen stehen, während es bei Hamas viel weniger sind.
Müller: Hofft Fatah auf Hilfe aus dem Westen?
Sterzing: Ich glaube nicht, dass hier in irgendeiner Weise militärische Hilfe von irgendeiner Seite zu erwarten ist. Es ist ein wesentlich innerpalästinensischer Streit. Die Frage ist, inwieweit sich politisch sozusagen etwas tut. Hier hat sich leider in den letzten Wochen sehr wenig bewegt, das in irgendeiner Weise jetzt den Präsidenten politisch stützen würde und seine Position stärken würde. Er vertritt ja einen Kurs, der immer wieder sagt, wir wollen verhandeln, wir sind bereit zu einer Zwei-Staaten-Lösung, aber im Augenblick bewegt sich auch die internationale Gemeinschaft sozusagen diplomatisch in eine Sackgasse herein, die ihr weitgehend die Möglichkeiten, differenziert auf die komplexe Entwicklung im Gaza-Streifen, genommen hat.
Müller: Welche Konsequenzen hätte ein Bürgerkrieg für die gemeinsame palästinensische Sache?
Sterzing: Es wäre sicherlich eine völlig neue Situation, denn die palästinensische Einheit wird von den Palästinensern als ein ganz hohes Gut immer betrachtet. Es wird immer davor gewarnt, natürlich angesichts der Situation der Palästinenser unter einer Besatzung, sich nun intern zu zerfleischen und mit einem Bürgerkrieg sich politisch natürlich auch völlig unfähig zu machen, aus dieser Besatzungssituation herauszukommen. Insofern werden ganz gewiss von den Führern auf beiden Seiten alle Anstrengungen unternommen werden, um diese palästinensische Einheit auch in Zukunft zu erhalten. Die Frage ist halt immer, dass ein solches dann oft ja auch künstliches Aufrechterhalten einer Einheit dazu führt, dass die palästinensische Führung als solches politisch handlungsunfähig ist und sich insofern auch im palästinensisch-israelischen Konflikt nichts an Bewegung ergibt.
Müller: Christian Sterzing war das, Chef der Heinrich-Böll-Stiftung in Ramallah. Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören.
Sterzing: Auf Wiederhören.
