Montag, 29. April 2024

Archiv


Nahost-Experte Perthes: Militärhilfe für Ägypten aussetzen

Aus Sicht des Direktors der Stiftung Wissenschaft und Politik, Volker Perthes, sollten EU und USA bei der ägyptischen Führung "sehr deutlich" auf die Rückkehr zu einer zivilen Herrschaft dringen. Ein Aussetzen der Militärhilfe etwa würde Ägypten weder als strategischen Partner schwächen noch wäre dies ein Parteiergreifen für die Muslimbrüder.

Volker Perthes im Gespräch mit Christiane Kaess | 19.08.2013
    Christiane Kaess: Am Telefon ist jetzt Volker Perthes, Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik, guten Tag!

    Volker Perthes: Ja, schönen guten Tag!

    Kaess: Herr Perthes, lassen Sie uns zuerst auf die Lage im Land selbst schauen! Ist Ägypten dabei, in eine Militärdiktatur abzugleiten?

    Perthes: Wir sehen durchaus ganz starke Elemente militärischer Herrschaft. Das Militär hat nicht nur den alten Präsidenten entfernt, es hat einen neuen Präsidenten eingesetzt, es hat ein Kabinett eingesetzt und der Militärchef selbst ist stellvertretender Ministerpräsident, das kann man schon militärische Herrschaft nennen.

    Kaess: Gleichzeitig behauptet das Militär, es würde nicht an der Macht hängen. Was ist davon zu halten?

    Perthes: Das ist zum Teil richtig. Ich glaube, das Militär sieht erneut, wie in dem Jahr vor der Wahl von Mohammed Mursi zum Präsidenten, wo ja auch das Militär regiert hat, dass es mit den sozialen und politischen und wirtschaftlichen Schwierigkeiten Ägyptens eigentlich nicht fertig wird, dass es dafür keine Rezepte hat und dass es die Macht lieber abgeben will an eine zivile Regierung. Gleichzeitig will das Militär allerdings seine Privilegien behalten und da geht es sowohl um ökonomische Privilegien, also das Industrieimperium, das Militär, die guten Versorgungsansprüche der Offiziere auch nach der Pensionierung, das eigene Gesundheitssystem und so weiter. Und gleichzeitig geht es um politische Privilegien, man will das letzte Wort haben in bestimmten zentralen innen- und außenpolitischen Fragen.

    Kaess: Würden Sie demnach sagen, die Zeit im Moment oder die Situation im Moment ist vergleichbar mit der Ära Mubarak?

    Perthes: Manche sprechen jetzt von dem Versuch, so etwas wie Mubarak light, also eine leicht abgespeckte Version des Mubarak-Regimes herzustellen. Das kann man so wahrscheinlich nicht richtig vergleichen, weil Mubarak nach fast 30 Jahren dann doch eine stagnierende Herrschaft repräsentiert hat, die eher vergleichbar ist, dass, was wir heute vielleicht sehen, wenn wir in die Historie zurückgreifen wollen, entweder mit den ersten Jahren des damals neuen Präsidenten Sadat nach dem Tod von Gamal Abdel Nasser 1970, viel zu lange her, als dass die meisten Ägypter sich erinnern, oder eben mit der Herrschaft von General Tantawi und dem Obersten Rat der Militärs nach der Revolution gegen Mubarak und vor der Wahl von Mohammed Mursi zum Präsidenten im letzten Jahr.

    Kaess: Herr Perthes, nun hat Armeechef al-Sisi neben seinen harten Worten auch versöhnliche Töne angeschlagen und gesagt, es gibt Platz für alle in diesem Land. Wie ernst ist er damit zu nehmen?

    Perthes: Ich glaube, er ist klug genug, um zu wissen, dass man die Muslimbruderschaft zwar unterdrücken, möglicherweise sogar als Organisation verbieten kann oder ihre Partei verbieten kann, aber dass eine bestimmte soziale Basis der Muslimbrüder da bleibt. Ob die dann 20 Prozent, 25 Prozent, 30 Prozent der Bevölkerung ausmacht, ist egal, es ist ein ziemlich großer Teil der Bevölkerung. Und die kann man sich nicht wegwünschen und die kann man nicht einfach verbieten. Insofern sagt er, es ist Platz alle. Und ich glaube, das meint er auch. Ob das heißt, es ist Platz für jeden einzelnen Aktivisten oder für jeden einzelnen Politiker aus der Muslimbruderschaft, das muss sich erst noch zeigen, und das Misstrauen, dass das anders gemeint sei, ist sicherlich groß insbesondere nach den Aktionen der letzten Tage.

    Kaess: Und das haben wir gerade im Beitrag gehört, es hat bei einem Fluchtversuch von festgenommenen Islamisten mehr als 30 Tote gegeben und neben den Straßenschlachten der letzten Tage mit vielen Toten auch zahlreiche Festnahmen von Muslimbrüdern. Wie wird es denn weitergehen mit der Bewegung? Ist es vorstellbar, dass sie in den Untergrund geht?

    Perthes: Ein Teil der Bewegung, befürchte ich, wird in den Untergrund gehen. Die Muslimbruderschaft kann so nicht gewinnen, sie kann keine Rebellion anführen. Dafür ist sie dann zwar vielleicht eine der stärksten Parteien, aber eben nicht die starke Partei, die sozusagen das Volk gegen die Herrschaft von Sisi und sein Kabinett mobilisieren könnte. Die Muslimbruderschaft wird, denke ich, unterdrückt werden, ob das länger dauert, ob das langsamer geht, hat sicherlich mit politischen Prozessen zu tun, auch damit, ob USA und EU noch einmal vermitteln können, wie sie es versucht haben in den letzten Wochen. Aber der Trend, den die Muslimbruderschaft ausdrückt, also der politische Trend, der wird weiter da sein. Und deshalb wird man früher oder später doch wieder miteinander reden müssen. Aber das kann dauern und sicherlich ist das erheblich verzögert worden durch die Gewalt, die wir jetzt gesehen haben im Wesentlichen vom Militär, aber natürlich auch von Teilen der Muslimbruderschaft, die sich wahrscheinlich schon im Untergrund befinden.

    Kess: Es treffen sich heute die EU-Botschafter, um ein Treffen der EU-Außenminister vorzubereiten. Was kann und was soll denn der Westen tun?

    Perthes: Ich glaube, der Westen muss sehr, sehr deutlich machen, dass, wenn Ägypten ein Partner bleiben will, der mehr als eine geostrategische Bedeutung hat, also auch ein politischer Partner bleiben will, auch ein Partner sein will für Transformations- und Entwicklungspartnerschaften, dass es dann zurück muss zu einer echten zivilen Herrschaft und zu politischen Prozessen, die inklusiv sind, die wirklich alle einschließen und letztlich dann auch wieder inklusive Wahlen ermöglichen. Das wird innerhalb der nächsten Monate objektiv gar nicht möglich sein und da ist es durchaus richtig zu zeigen, dass man bestimmte Instrumente erfunden hat, um Ägypten bei seiner Transformation in Richtung mehr Pluralität und Demokratie zu unterstützen. Sogenannte Transformationspartnerschaft, da hängt auch Geld drin, da hängen politische Maßnahmen dran, und dass man die empfehlen kann.

    Kaess: Auch die Militärhilfe, über die jetzt diskutiert wird?

    Perthes: Ja, ich glaube, das ist ganz richtig zu sagen, wir liefern jetzt gerade keine Militärhilfe. Das wird Ägypten strategisch nicht schwächen, das wird den Suezkanal nicht in Unruhe versetzen.

    Kess: Wäre das aber ein Parteiergreifen für die Muslimbrüder?

    Perthes: Nein, das ist kein Parteiergreifen für die Muslimbrüder. Ich glaube, was die EU gerade – übrigens in ganz guter Kooperation mit den USA – gezeigt hat in den letzten Wochen, ist, dass man Partei ergreift für eine Rückkehr zum politischen Prozess. Deshalb diese Pendelmission von Herrn Burns, dem amerikanischen Staatssekretär, und dem EU-Nahost-Beauftragten Herrn Leon, wo man versucht hat, zwischen den Muslimbrüdern, zum Teil zwischen inhaftierten Muslimbrüdern, und dem Militär zu vermitteln. Das ist gescheitert, aber es war zumindest der richtige Ansatz.

    Kaess: Sind dabei auch Fehler gemacht worden in den letzten Wochen? Zum Beispiel, wenn es um die Definition Putsch oder nicht Putsch ging?

    Perthes: Ich glaube, man hätte gleich sagen können, dass dies ein Putsch ist. Es heißt ja nun nicht, dass man nie mehr mit dem Land zusammenarbeiten will oder dass man nicht mit den Putschisten zusammenarbeiten will, aber man hat sich sozusagen semantisch drum herumgedrückt zu sagen, was Sache ist. Und das hat mehr Misstrauen ausgelöst, als dass es bei irgendjemand Sympathie für insbesondere hier die Amerikaner ausgelöst hätte. Die Europäer waren da ein klein wenig deutlicher, nicht sehr viel, aber ein bisschen schon.

    Kaess: Danke schön für diese Einordnungen! Volker Perthes, Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik. Danke!

    Perthes: Sehr gerne! Tschüss!


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.