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Nahrungsmittelmangel
Synthetische Stärke gegen den Welthunger?

Stärkehaltige Lebensmittel wie Getreide oder Kartoffeln sind für die Ernährung unverzichtbar. Mit der Zahl der Menschen auf der Erde steigt aber auch der Bedarf. Und die Stärke-Produktion in Pflanzen kommt an Grenzen. Forschende arbeiten deswegen jetzt an einer synthetischen Herstellung.

24.09.2021
Ein abgeerntetes Feld mit trockenem Getreide im Vordergrund.
Schlechte Ernten, immer mehr Menschen: Synthetische Stärke könnte ein Hoffnungsträger sein. (Vanja Budde / Deutschlandradio)
Es ist das wichtigste Kohlenhydrat in der menschlichen Ernährung: Stärke. Besonders viel davon steckt in Lebensmitteln wie Kartoffeln oder Getreide. Doch die natürliche Produktion kommt zunehmend an ihre Grenzen. Bisher wurde vor allem versucht, die Produktion in Pflanzen selbst zu steigern - mit nur wenig Erfolg. Ein Team vom Tianjin Institut für Industrielle Biotechnologie geht jetzt einen anderen Weg: Es hat eine Methode entwickelt, mit der sie Stärke synthetisch herstellen können. Langfristig soll das auch in größeren Mengen möglich werden. Denn Bedarf gibt es nicht nur wegen der zunehmenden Zahl an Menschen. Stärke wird auch zum Verdicken von Farben oder als Bindemittel in der Papierherstellung eingesetzt.

Forschen für die Welternährung

Stärke ist auf den ersten Blick eine eher unspektakuläre Substanz. Das feine weiße Pulver besteht aus den beiden Kohlenhydraten Amylose und Amylopektin - langen Ketten von einfachen Zuckermolekülen, die miteinander verknüpft sind. Entweder in einer geraden Kette, wie bei Amylose oder verzweigt wie bei Amylopektin.
Und gerade diese unscheinbaren Moleküle spielen für die Welternährung eine entscheidende Rolle, sagt Yanhe Ma aus dem Team in Tianjin: "Stärke ist eine der wichtigsten Chemikalien. Sie ist der Hauptnahrungsbestandteil von unserem Essen und dem Futter für Tiere. Sie ist außerdem ein wichtiger Rohstoff für die Industrie."
Stärke wird von Pflanzen als Energiereserve hergestellt. Reis, Mais, Getreidekörner, Kartoffeln und andere kohlenhydratreiche Knollen bestehen zum großen Teil aus Amylose und Amylopektin. Pflanzem nehmen mit dem CO2 aus der Luft Kohlenstoff auf. Dieser Kohlenstoff wird dann über verschiedene biochemische Schritte in Einfachzucker eingebaut und so für den Stoffwechsel der Pflanze verfügbar gemacht.

"Wie mit Legosteinen spielen"

Der Zucker wird entweder verbraucht oder für die Speicherung zu langen Molekülen verkettet- Amylose und Amylopektin. Yanhe Ma und sein Team wollten diesen Prozess im Labor nachahmen. Am Computer entwarfen sie mögliche Synthesewege. "Die größte Herausforderung dabei ist, einen effizienten Syntheseweg zu designen. Und die chemischen Reaktionen sowie die Enzyme dafür kompatibel zu machen, obwohl sie aus verschiedenen chemischen Kontexten stammen. Es war ein bisschen, wie mit Legosteinen zu spielen."
Auch bei der Laborsynthese von Amylose und Amylopektin sollte Kohlenstoffdioxid den Kohlenstoff liefern. In einer ersten chemischen Reaktion wandelten die Wissenschaftler das CO2 unter Zugabe von Wasserstoff zunächst in Methanol und dann in Formaldehyd um. In mehreren weiteren Schritten wurde dieses Formaldehyd dann in den Einfachzucker Glucose-6-Phosphat umgewandelt, einen Zucker mit sechs Kohlenstoffatomen.

Kaum Unterschiede zur natürlichen Stärke

"Als wir erstmal dieses C6-Bauteil erreicht hatten, konnten wir daraus sowohl Amylose als auch Amylopektin herstellen, indem wir tausende dieser C6-Einheiten miteinander verknüpft haben. All diese Schritte werden durch chemische Katalysatoren oder Enzyme angetrieben," beschreibt Yanhe Ma den Prozess. Die synthetische Stärke, die am Ende entsteht, besteht wie ihr natürliches Vorbild aus Amylose und Amylopektin. Ihre chemischen Eigenschaften sind mit dem pflanzlichen Produkt identisch.
"Es gibt keine meßbaren Unterschiede zwischen synthetischer und natürlicher Stärke. Beide färben sich auf die typische Weise dunkelblau, wenn man Iod dazu gibt. Und beide werden durch das Enzym Amylase zu Glucose abgebaut. Auch bei der Untersuchung mit Kernresonanzspektrokospie bekamen wir die gleichen Signale. Der einzige Unterschied ist, dass wir bei der synthetischen Stärke steuern können, ob wir Amylose oder Amylopektin herstellen."

Prozess noch mit Schwachstellen

Die synthetische Herstellung von Stärke dauert im Labor nur rund vier Stunden. Die Syntheserate ist dabei gut achtmal höher als bei der Stärkebildung in Pflanzen, sagt Yanhe Ma. Doch der gesamte Prozess hat noch Schwachstellen. Viele der verwendeten Enzyme sind nicht besonders stabil oder haben nur eine geringe Aktivität. Außerdem sind die Kosten der Laborsynthese höher, als bei der Stärkeherstellung aus Kartoffeln oder Mais. Bis synthetische Stärke in großen Mengen verfügbar sein könnte, gibt es für das Team im chinesischen Tianjin also noch einiges zu tun.