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Napoleon Bonaparte: "Liebesbriefe"
Einen Kuss aufs Herz

Das Verhältnis Napoleon Bonapartes zu den Frauen ist ein vielfach und gern beschriebenes Detail der Geschichte, das seit zwei Jahrhunderten nicht nur Royalisten bewegt. Jetzt erscheinen Napoleon Bonapartes Liebesbriefe erstmals komplett auf Deutsch.

Von Dirk Fuhrig | 26.08.2019
Eine Gemälde von Napoleon Bonaparte und seine "Liebesbriefe"
Napoleon Bonaparte und seine "Liebesbriefe" (Buchcover Matthes & Seitz Verlag /Portrait picture alliance/The Print Collector/Heritage Ima)
Königliche Liebschaften bewegen nicht erst seit der Erfindung der Klatschpresse die Gemüter. Der Verlag Matthes & Seitz setzt mit dem Band 9 seiner "Französischen Bibliothek" auf die jahrhundertealte Lust an intimen - oder scheinbar intimen - Einblicken in die Gefühlswelt des legendären Kaisers der Franzosen, der als Frauenheld galt.
"Da mir zärtliche Leidenschaften fremd waren, sollte ich mich nicht vor dem Vergnügen hüten, das Ihre Gesellschaft bietet. Der Zauber Ihrer Person und Ihres Wesens hat das Herz Ihres Geliebten unmerklich gewonnen. Seitdem haben Sie in meiner Seele gelesen."
Das schreibt Napoleon Bonaparte im Herbst 1794 an Eugénie Désirée Clary, die er als 25-jähriger Offizier soeben in Marseille kennengelernt hat. Die jungen Leute geben sich ganz gesittet, tauschen sich über die musikalische und literarische Ausbildung aus. Um direkt Erotisches geht es nicht, zumindest in den überlieferten Briefen. Aber um Sehnsucht und Eifersucht:
"Keine Briefe mehr von Dir, meine anbetungswürdige Freundin. Wie konntest Du mir elf Tage lang nicht schreiben? Hast Du etwa diese ganze Zeit verbracht, ohne an mich zu denken"
Danach wünsche ich den Tod
Mit Eugénie verlobt Napoleon sich, doch bald darauf bietet sich dem karriereorientierten Offizier aus dem Süden die Gelegenheit, in die beste Pariser Gesellschaft einzuheiraten. Eugénie schreibt einen verzweifelten Abschiedsbrief.
"Sie haben mich für mein ganzes Leben unglücklich gemacht, und ich bin noch so schwach, Ihnen alles zu verzeihen. Sie sind also verheiratet! Es ist der armen Eugénie nicht mehr erlaubt, Sie zu lieben, an Sie zu denken … Der einzige Trost, der mir nun bleibt, ist, zu wissen, dass Sie von meiner Beständigkeit überzeugt sind, danach wünsche ich nur noch den Tod. Nie werde ich heiraten …"
An diesen pathetischen Schwur hält sich Eugénie Clary nicht lange; sie tröstet sich mit dem späteren König von Schweden und gibt ihm das Jawort.
Mio dolce amore
Der ambitionierte Napoleon, der sich selbst als unwiderstehlichen Verführer sieht, heiratet 1796 Joséphine de Beauharnais, deren erster Ehemann von den Revolutionären auf der Guillotine hingerichtet worden war. In den Briefen an die sechs Jahre ältere Joséphine gibt sich Napoleon Bonaparte, zumindest anfangs, als Latin Lover:
"Du aber, mio dolce amore, Du hast wohl gut geschlafen? Du auch nur zweimal an mich gedacht!! Ich gebe Dir drei Küsse: einen auf Dein Herz, einen auf Deinen Mund, einen auf Deine Augen.
Bonaparte"
Mitunter lässt er sich sogar zu sexuellen Anspielungen hinreißen:
"Einen Kuss aufs Herz, und dann einen weiter unten, viel weiter unten!"
Solche "Stellen" zählen schon zu den "gewagtesten" in diesem Briefwechsel, der allerdings nur sehr unvollständig ist. Vor allem die Antworten der Frauen sind nur ausnahmsweise überliefert bzw. hier mit aufgenommen.
Rigorosität der Zeit
Bonaparte war kein Cyrano de Bergerac, der erotisch explizite und literarisch meisterhafte Hymnen an seine Angebeteten schrieb. Der Ton in den napoleonischen Briefen ist eher nüchtern. Die postrevolutionäre Strenge, die die Prüderie des bürgerlichen 19. Jahrhunderts einleitete, war der Gegenentwurf zum erotischen Laisser-faire der von Ludwig XIV. und seinen Nachfolgern geprägten Epoche.
Die Rigorosität jener Zeit spiegelt sich auch in den Datumsangaben, mit denen die Briefe versehen sind. Sie richten sich nach dem "Republikanischen Kalender", der die Monate nach den jahreszeitlichen Witterungsverhältnissen mit "Nivôse", "Floréal" oder "Fructidor" benannte - und damit den am Christentum orientierten gregorianischen Kalender ablöste. Der ideologisch motivierte Eingriff in die Sprache erwies sich schon damals als hochgradig kompliziert, bürokratisch - und langfristig wirkungslos.
Eine große Schlacht gewonnen
Der "18. Brumaire des Jahres VIII" ging als berühmtes Datum in die Geschichte ein. Dieser 9. November 1799 war der Tag, an dem Napoleon per Staatsstreich die Macht in Frankreich an sich riss. Joséphine de Beauharnais hatte den Emporkömmling aus Ajaccio gesellschaftsfähig gemacht, so dass er auf die Unterstützung des Establishments zählen konnte. 1804 krönte er sich in der Kathedrale Notre-Dame erst selbst zum Kaiser, dann sie. Später besprach er, so lesen wir es in diesen Briefen, regelmäßig sein wechselndes Schlachtenglück mit ihr.
"Ich habe die ganze Nacht unter dem Gewehr verbracht. Ich hätte Mantua in einem kühnen und glücklichen Handstreich genommen, doch das Wasser des Sees ist plötzlich gesunken, sodass meine Kolonne, die an Bord gegangen war, nicht landen konnte."
Oder jubelnd nach der Schlacht bei Jena:
"am 15. Oktober 1806, um 8 Uhr morgens
Liebe Freundin! Ich habe die Preußen mit schönen Manövern getäuscht. Gestern habe ich eine große Schlacht gewonnen. Sie waren einhundertfünfzigtausend Mann. Ich habe zwanzigtausend Gefangene gemacht, hundert Geschütze und außerdem Fahnen erbeutet. Ich stand dem König von Preußen nahe gegenüber. Beinahe hätte ich ihn sowie die Königin gefangen genommen."
Adieu, liebe Freundin
Die Beziehung der Eheleute kühlt jedoch schon bald merklich ab, was sich in der Korrespondenz gut nachvollziehen lässt. Und weil Joséphine ihm keine Kinder gebärt, serviert der Kaiser der Franzosen sie ab. Im Januar 1810 lässt er sich scheiden, um Marie-Louise von Österreich zu heiraten, die dieser Verbindung mit dem verhassten Erzfeind aus Staatsräson zustimmen musste - tu felix Austria nube … also: Du, glückliches Österreich, heirate!
Entsprechend nüchtern lesen sich Briefe an die Habsburgerin, auch wenn Napoleon sie mit höflichen Floskeln garniert.
"Adieu, liebe Freundin. Ganz der Deine."
Die Briefsammlung ist zwar voller chronologischer und inhaltlicher Lücken, sie bietet aber Einblicke in die Stimmungslage des Kaisers der Franzosen, von seinem Aufstieg vom einfachen korsischen Soldaten bis zum Eroberer halb Europas. Über den Niedergang und die Verbannung nach St. Helena erfahren wir nichts, denn die Korrespondenz bricht in dem Moment ab, als Napoleon auf dem triumphalen Rückweg von Elba durch die Seealpen ist:
"11.März 1815
Die Bevölkerung eilt mir in Scharen entgegen; ganze Regimenter lassen alles im Stich, um zu mir zu kommen. Von allen Seiten empfange ich Abordnungen. Wenn Du diesen Brief erhältst, werde ich in Paris sein. Der Graf von Artois und [der Herzog] von Orléans waren in Lyon eingetroffen. Sie hielten eine Ansprache vor der Nationalgarde, sechs Infanterie- und zwei Kavallerieregimentern, die sie zusammengezogen hatten. Doch die Rufe "Es lebe der Kaiser!" haben sie gezwungen, überstürzt und ohne jede Eskorte zu fliehen. Eine Stunde später bin ich in der Stadt eingetroffen, die mir eine unvorstellbare Begeisterung gezeigt hat."
Geschichte des Geschlechterumgangs
Leider bietet der Band - über Ulrich Kunzmanns verdienstvolle Stellenkommentare hinaus - kein Vorwort oder Essay, das die Korrespondenz in Napoleons Biografie und die Zeitumstände einordnet. Auch editorische Hinweise fehlen, die die Auswahl der Briefe, ihre Überlieferung und historische Bedeutung erklären könnten. Wer kein Spezialist für die amourösen Verstrickungen des Kaisers ist, muss sich den Kontext dazu aus anderen Werken erschließen.
Trotzdem ist das Durchblättern der Briefe sehr fesselnd - ihre Handschriften werden übrigens auf Auktionen heutzutage mit extrem hohen Summen gehandelt. Man liest eine Kulturgeschichte, auch eine Geschichte des Umgangs der Geschlechter miteinander, und alles vor dem Hintergrund der politischen Entwicklungen in dieser für Europa so entscheidenden Epoche.
Napoleon Bonaparte: "Liebesbriefe"
aus dem Französischen von Ulrich Kunzmann
Matthes & Seitz, Berlin. 511 Seiten, 38 Euro.