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"NASA tat gut daran, Space Shuttle zu grounden"

Professor Ernst Messerschmid war während der D1 Mission im Herbst 1985 mit dem Space Shuttle "Challenger" im All. Die Shuttles seien fantastische Maschinen, sagt er, aber es gebe genügend Gründe, sie nicht mehr in Betrieb zu nehmen.

Ernst Messerschmid im Gespräch mit Silvia Engels |
    Silvia Engels: In Cape Canaveral ist also die US-Raumfähre "Atlantis" gelandet. Die USA stellen damit ihr Raumfährenprogramm nach 30 Jahren ein. 135 Shuttleflüge gab es insgesamt. Zugeschaltet und mitgehört hat der ehemalige Astronaut im US-Shuttle-Programm, Ernst Messerschmid. 1985 war er mit einem Space Shuttle im All, heute ist er Professor im Institut für Raumfahrtsysteme an der Universität Stuttgart. Guten Tag, Herr Professor Messerschmid.

    Ernst Messerschmid: Grüß Gott aus Reutlingen!

    Engels: Aus Reutlingen sind Sie heute. Danke Ihnen. – Läuft es Ihnen denn kalt den Rücken hinunter, wenn Sie jetzt diese historischen Bilder sehen, oder diese Töne hören?

    Messerschmid: Nicht gerade kalt, aber ich war natürlich sehr gespannt und habe auch im Fernsehen jetzt mitverfolgt den Endanflug auf das Kennedy Space Center, und ich bin froh, dass sie gut gelandet sind, und traurig natürlich, dass diese Space Shuttle-Ära vorbei ist.

    Engels: Dann schauen wir 30 Jahre zurück. Da saßen ja in Deutschland und weltweit viele Menschen gebannt vor dem Fernseher, als 1981 die erste US-Raumfähre "Columbia" sicher zur Erde zurückkehrte. Sie selbst hatten damals schon die Hoffnung, selbst einmal darin sitzen zu dürfen, denn Sie haben sich schon als Astronaut vorbereitet. Das wurde dann 1985 realisiert in der Raumfähre "Challenger". Woran haben Sie damals bei Ihrer Mission 85 geforscht?

    Messerschmid: Es war für uns in Europa der Einstieg, in größerem Stil die Vorzüge der Schwerelosigkeit zu nutzen auf einer Reihe von Disziplinen, zum Beispiel Materialforschung, Grundlagenexperimente in der Physik, auch Verfahrenstechnik, Medizin, Biologie und so weiter. Wir hatten insgesamt 70 Experimente an Bord und man kann im Nachhinein sagen, das war äußerst erfolgreich, auch was damit an Forschungsmöglichkeiten eröffnet worden ist. Teilweise mussten Textbücher verändert werden, wir haben völlig neue Sichtweisen auf bestimmte Phänomene bei den Lebenswissenschaften, oder auch in den Materialwissenschaften entdecken gelernt.

    Engels: Das ist ja ein sinnliches Erlebnis, in einem solchen Shuttle zu sitzen. Was hat Sie damals besonders beeindruckt, abseits von den relevanten Forschungsergebnissen?

    Messerschmid: Das war die Möglichkeit, nun überhaupt zu fliegen, das Phänomen Schwerelosigkeit, dann auch die anderen physischen Eindrücke, die man mit dem Raumflug verbindet, am eigenen Körper zu spüren, bis hin zur Psychologie, zum Beispiel festzustellen, dass man in dieser eigenartigen Umgebung, in der Verbindung zwischen Mensch und Technik, einerseits gut leben und arbeiten kann, auf der anderen Seite aber dann doch an seine eigenen Grenzen gebracht wird hinsichtlich der Leistungsfähigkeit und hinsichtlich auch der Erkenntnis, dass es gut ist, wenn man eine solche Zeit im Weltraum verbringt, aber auch wieder schön, wieder festen Boden unter den Füßen zu haben.

    Engels: Herr Professor Messerschmid, Sie hatten eine besondere Bindung zur Raumfähre "Challenger", weil das Ihre Fähre war. 1985 war es zugleich die letzte Mission dieser Raumfähre, die Sie miterleben konnten, denn im Januar 1986 explodierte genau die Raumfähre "Challenger" kurz nach dem Start. Alle sieben Astronauten starben damals, es war der bis dahin schwerste Unfall der Raumfahrtgeschichte der USA. Wo waren Sie, als sich dieses Unglück dann ereignete? Wie haben Sie damals die Explosion erlebt?

    Messerschmid: Ich war damals noch beim DLR, beim Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt in Köln-Porz, und auf dem Weg nach Hause und wurde dann über Telefon von einem Journalisten informiert und sah gerade noch im Fernsehen den Replay, also das Wiederabspielen der Explosion, und für mich war es natürlich klar, was passierte und dass die Astronauten keine Chance hatten. Insofern auch für mich sehr, sehr beklemmend, denn die Astronauten der Mission, die verunglückte, das waren unsere unmittelbaren Nachfolger. Das heißt, wir haben denen eins zu eins unsere Büromöbel bis hin auch zu bestimmten Unterlagen übergeben, ich ganz konkret an die auch ums Leben gekommene Lehrerin Miss Christa McAuliffe.

    Engels: Das Versagen eines oder mehrerer Dichtungsringe war damals ein verantwortlicher Punkt für diese Explosion und sieben Jahre später verglühte dann die Raumfähre "Columbia" aufgrund eines Schadens im Hitzeschild, auch da waren alle Astronauten im Anschluss tot. Ihre Bilanz: Waren die Shuttle-Flüge doch nicht ganz ausgereift, war es ein gefährliches System?

    Messerschmid: Beides, nicht ausgereift, zu frühzeitig eigentlich in der Entwicklung festgelegt auf einen bestimmten Typ an Raumgleiter, auch nicht genügend erprobt, nur vier Erprobungsflüge. Also die Bilanz ist gemischt. Aber trotzdem: das modernste, das erfolgreichste technisch gesehen, was die Ausbeute anbelangt von 135 Flügen, das komfortabelste Gerät, mit dem man in den Weltraum hochkommt, schwere Nutzlasten gleichzeitig mit den Astronauten und wieder zurück. Eine fantastische Maschine, aber es gab genügend Gründe, das heißt, die NASA tat gut daran, rechtzeitig festzulegen, auch die Zahl der Flüge – die Entscheidung fiel ja 2004 -, gegen 2010/11 das Space Shuttle zu grounden, also nicht mehr in Betrieb zu nehmen.

    Engels: Sie selbst befassen sich an Ihrem Lehrstuhl mit Raumfahrtsystemen. In welche Richtung geht Ihrer Einschätzung nach die Entwicklung der bemannten Raumfahrt?

    Messerschmid: Zunächst einmal, Raumfahrt mit Menschen wohin? Zur internationalen Raumstation, da ist die Planung der NASA relativ logisch, nämlich auch Kapseln zu nutzen, aber die so zu entwickeln, dass sie auch weiter wegfliegen können. Das heißt, man macht eine Entwicklung für zwei Ziele oder mehrere. Zurück zur Raumstation: rauf und runter, so eine Art Service, sehr sicher. Im Gegensatz zum Space Shuttle allerdings zeichnet sich ab, eben auch durch die negativen Erfahrungen mit dem Space Shuttle, dass man den Transport von schweren Nutzlasten verbindet mit Schwerlastraketen, und dann entsprechend sichere Raketen so wie bei Apollo oder bei der Sojus-Rakete mit Kapseln bei senkrecht startenden klassischen Raketen, allerdings mit modernster Technologie.
    Die Frage ist, was sind die Ziele über die Raumstation hinaus, weil diese sind, natürlich auch wichtig bei der Konzeption von zukünftigen bemannten Raumfahrzeugen. Die Ziele sind möglicherweise die Reparatur von den zukünftigen Teleskopen, die teilweise dort schon stehen, das heißt auch von der ESA in der Nähe des Librationspunktes in vierfacher Mondentfernung, auch das Nachfolgeteleskop von Hubble wird dort hinkommen - also hier könnte zum Beispiel die Aufgabe der Astronauten darin bestehen, diese zu reparieren -, oder dass man gefährlich der Erde nahe kommende Asteroiden begleitet, sich überlegt, wie man sie von ihrem Kurs abbringen kann, oder eines nicht allzu fernen Tages, vielleicht erst in 30 Jahren, dann der Flug zum Mars.

    Engels: Wir sprachen mit Professor Ernst Messerschmid, 1985 war er selbst mit einem Space Shuttle im All. Vielen Dank für Ihre Zeit.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.