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Nationale Anti-Doping-Agentur (NADA) wird gegründet

Remme: Ohne Jan Ulrich zieht der Tross der Tour de France in diesen Tagen durch die Lande, und noch wenige Tage, dann beginnen in München die Leichtathletik-Europameisterschaften. Ständig im Schatten der Athleten die Dopingkontrolleure, ein Thema, das inzwischen leider so selbstverständlich zum Sport gehört wie Rekorde und Medaillen. Heute wird in Bonn die Nationale Anti-Doping-Agentur NADA gegründet. Jahrelang hat man darum gerungen. Bisher wurden Doping-Angelegenheiten von der sogenannten Anti-Doping-Kommission wahrgenommen. Vorsitzender dieser Organisation ist Professor Ulrich Haas. Er ist am Telefon. Herr Haas, mit der Gründung von NADA wird Ihre Kommission abgelöst. Wo ist der Unterschied?

    Haas: Das ist vollkommen richtig. Die ADK wird sich in dem Moment auflösen, wo die NADA die Geschäfte übernehmen wird. Der entscheidende Unterschied liegt erstens darin, dass wir zum ersten Mal einen selbständigen und auch unabhängigen Träger im Sport haben, der die Geschäfte der Doping-Bekämpfung wahrnimmt, und zweitens wird die personelle und sachliche Ausstattung der NADA so sein, dass gewährleistet wird, und zwar dauerhaft und nachhaltig, dass die Probleme der Doping-Bekämpfung auch angegangen werden.

    Remme: Wer stand denn bisher hinter der ADK?

    Haas: Die ADK ist eine Kommission, die 1992 gegründet wurde, und deren Aufgabe war es, dem Leitungsorgan des Deutschen Sportbundes in Sachen der Doping-Bekämpfung zuzuarbeiten. 1993 ist dann diese Kommission zu einer gemeinsamen geworden, zwischen Deutschem Sportbund und den nationalen und olympischen Komitees. Und personell steht hinter der ADK einerseits ein Hauptamt, ein Geschäftsführer, der das Tagesgeschäft erledigt, und auf der anderen Seite verschiedene Ehrenamtler, die aus unterschiedlichen Bereichen kommen und unterstützend tätig sind.

    Remme: Woran merken wir, die Beobachter, dass da also jetzt die NADA arbeitet und nicht die ADK? Wäre zum Beispiel ein Fall Dieter Baumann anders gelaufen, wenn es die NADA damals schon gegeben hätte?

    Haas: Was heißt anders gelaufen? Sie müssen sich die Aufgaben angucken, die zentral wahrgenommen werden. Bei der ADK und bei der NADA wird es genau so sein, dass die "Doping-Fahndung" zentral von einer Stelle wahrgenommen wird, das Aufdecken der Fälle. In dem Moment, wo ein Fall aufgedeckt wird, wird eine Akte darüber angelegt. Der Fall kann nun einfach nicht mehr verschwinden. Und dann kommen wir zu einem zweiten Schritt, und zwar zur rechtlichen Aufarbeitung des Falles. Das ist ja genau das, was Sie mit dem Fall Baumann ansprechen. Die rechtliche Aufarbeitung der Fälle lag bisher einzig und exklusiv bei den Verbänden. Das wird auch eine Zeit lang noch so bleiben. Aber was die NADA machen wird - und das wird auch ein entscheidender Unterschied sein -, die NADA wird den Verbänden ein Streitlösungsmechanismus anbieten, denn wie Sie es im Fall Baumann, im Fall Krabbe und in anderen Fällen gesehen haben, die Auseinandersetzung in Doping-relevanten Sachverhalten nimmt ungeheure Ausmaße an. Es wird durch sämtliche Instanzen durchgefochten. Wenn Sie denn Fall Krabbe nehmen, hat er 1994 seinen Ausgang genommen, im Jahre 2002 ist er jetzt zu einem endgültigen Abschluss gekommen. Nach acht Jahren können Sie nicht mehr von Siegern und Besiegten sprechen. Hier muss ein anderer Streitlösungsmechanismus her, und das wird die NADA zur Verfügung stellen.

    Remme: Wie finanziert sich die NADA?

    Haas: Die NADA wird ein Budget von etwa 1,2 bis 1,3 Millionen Euro haben. Die Analytik ist hier nicht mit einberechnet; diese Kosten laufen extra. Dieses Budget wird aufgebracht durch eine Art Mischfinanzierung, und zwar auf der einen Seite Erträgen aus dem Stiftungskapital, und auf der anderen Seite durch garantierte jährliche Zuwendungen.

    Remme: Man hat nun jahrelang um die NADA gerungen, und ich glaube, im Mittelpunkt stand vor allem auch, ob man zum Beispiel von der freien Wirtschaft mehr Geld bekommt. Die freie Wirtschaft hat sich sehr zurückgehalten. Ist das zu beklagen?

    Haas: Es ist immer zu beklagen, wenn wir sozusagen nicht noch mehr Geld bekommen. Aber das Erste, was Sie gesagt haben, ist völlig richtig. Man hat natürlich lange Zeit darum gerungen. Warum denn auch? Es ist sozusagen eines der wichtigsten sportpolitischen Projekte der vergangenen Jahre, und es dauert eben auch eine Zeit, bis das aufgegleist wird. Und trotzdem, auch wenn Sie das mit der Wirtschaft ansprechen, möchte ich eine Sache auf jeden Fall betonen: Es ist zum ersten Mal gelungen, wirklich alle Beteiligten, die ein Interesse an der Doping-Bekämpfung haben, an einem Tisch zu bekommen, und das ist eben der Staat, vertreten durch Bund Länder und hier eben durch die Stadt Bonn, darüber hinaus der Sport und eben die Wirtschaft. Das ist bisher noch nie gelungen, und darüber freuen wir uns natürlich sehr.

    Remme: Aber wenn Sie sagen, alle Beteiligten die ein Interesse daran haben können, und dann die freie Wirtschaft erwähnen, ich glaube, zum Beispiel von der Pharmaindustrie, die ja nun im Mittelpunkt stehen müsste, kommt kein Pfennig, oder?

    Haas: Richtig. Ich meine, die Wirtschaft ist bei uns durch zwei Unternehmen vertreten. Es ist so, wie Sie es angesprochen haben. Wir haben versucht, viele Gespräche mit der Pharmaindustrie zu führen. Ich bin auf viele Veranstaltungen gefahren, und da gibt es eben auch einen Unterschied. Einige sprechen nur darüber, tun aber nichts dafür, und da würde ich diese Gruppe der Unternehmen wahrscheinlich mit dazu nehmen.

    Remme: Woran liegt denn das, dass man sich da so knauserig zeigt? Na gut, wir sind nun wahrlich nicht in wirtschaftlich prosperierenden Zeiten. Aber das Selbstinteresse, wird das denn von Seiten der Pharmaindustrie überhaupt gesehen?

    Haas: Die Motive, die dazu führen, bleiben natürlich im Dunklen, darüber kann ich Ihnen nicht sagen, darüber könnte ich nur spekulieren, und das wäre vielleicht die falsche Stelle, um das zu tun. Ob das nicht in die Strategie passt, das muss man natürlich auch sehen. Heute finden Sie kein Unternehmen, was einfach ein Mäzenatentum betreibt und Geld einfach für irgendwelche Projekte hergibt, sondern es wird natürlich immer gefragt: Was bringt mit das? Und wenn dieser Benefit sozusagen nicht gesehen wird, dann beteiligt man sich auch nicht. Warum das jetzt bei diesen Unternehmen so ist, kann ich Ihnen gar nicht sagen.

    Remme: Schauen wir mal auf den internationalen Vergleich. Australien und Norwegen gelten im Anti-Doping-Kampf als führend. Was machen sie anders, und haben wir durchnahe Chancen, da aufzuschließen?

    Haas: Das ist völlig richtig. Das sind zwei Länder, die für uns Vorbildbestand haben. Die Australier haben im Vorfeld der Olympischen Spiele eine solche Agentur gegründet, die national und - das muss man sehen - auch international sehr erfolgreich arbeitet. Die Norweger haben das auch. Und wir versuchen mit der Gründung unserer Agentur zu diesen führenden Nationen aufzuschließen, und die Strukturen hiefür sind gelegt.

    Remme: Habe ich das richtig verstanden, dass der Schwerpunkt der NADA die Dopingkontrolle sein wird?

    Haas: Nein, es gibt im wesentlichen, meine ich, vier Aufgabenbereiche, auf die sich die NADA konzentrieren wird: Der Kontrollbereich, der gegenwärtig auch schon teilweise von der Anti-Doping-Kommission wahrgenommen wird. Der soll ausgebaut werden, er soll nicht nur Trainingskontrollen, sondern auch Wettkampfskontrollen umfassen. Das ist ein ganz wichtiger Bereich, Aufklärung und Prävention, denn viele Sportler, meine ich, dopen ja nicht vorsätzlich, sondern tappen in diese Dopingfalle, gerade wenn es jugendliche Sportler sind. Das muss verhindert werden durch entsprechende Aufklärungs- und Informationskampagnen. Dort soll künftig ein großer Schwerpunkt der Tätigkeit liegen. Das Dritte ist die nationale und internationale Zusammenarbeit. Wir haben eine Fülle von Zuständigkeiten, Behörden, Einrichtungen, die sich national und international mit der Dopingbekämpfung beschäftigen. Hier muss die NADA ein Kompetenzzentrum sein, wo alle Fäden zusammenlaufen, Dopingpolitik entworfen, umgesetzt und eingerichtet werden. Und das Vierte ist die Einrichtung eines Sportschiedsgerichtes, eines Streitlösungsmechanismus für diese unsäglichen Fälle, wie wir Sie zur Zeit zwischen Verband und Sportlern finden.

    Remme: Das klingt gewaltig. Wie viele Personen beschäftigt die NADA?

    Haas: Die NADA wird fünf hauptamtliche Personen beschäftigen. Das ist eine massive Aufstockung gegenüber unserem jetzigen Zustand. Und sie wird einen ehrenamtlich tätigen Vorstand haben, der auf sieben Personen besetzt ist. Diese sieben Personen kommen aus den unterschiedlichen Fachbereichen und bringen ihre Expertise mit. Und sowohl der Geschäftsführung als auch dem Vorstand werden verschiedene Arbeitsgruppen zuarbeiten, indem eben auch ein Teil des Geschäftes erledigt wird.

    Remme: Wir haben die Stichworte Krabbe und Baumann erwähnt. Kann es vielleicht sein, dass generell im Kampf gegen Doping der Freizeit- und der Breitensport völlig vernachlässigt wird und sich die Konzentration allzu sehr auf den Spitzensport richtet?

    Haas: Das ist sicherlich so. Aufgabe der ADK war es bisher, immer nur den Spitzensport zu kontrollieren. Diese Aufgabe werden wir auf jeden Fall übernehmen, aber gerade im Aufklärungs- und Präventionsbereich, meine ich, wird man nicht nur den Spitzensport ins Auge nehmen müssen, sondern man muss eben den Breitensport ins Auge nehmen. Gesellschaftlich gesehen ist es natürlich auch das größere Problem, denn wenn Sie sich die gesundheitlichen Folgen vom Einsatz von Dopingmitteln im Breitensport angucken - und darüber gibt es schon einige Studien -, dann sind diese Auswirkungen verheerend und volkswirtschaftlich sicherlich von einer ganz anderen Dimension als im Spitzensport. Aber da kommen Sie nicht ran mit Kontrollen, sondern da kommen Sie nur mit Aufklärungs- und Präventionskampagnen ran, und das wird eben auch Aufgabe der NADA sein, sich um diesen Bereich zu kümmern.

    Remme: Vielleicht auch mit Gesetzen?

    Haas: Sicherlich sind Gesetze ein Instrumentarium, um da dran zu kommen. Es gab auch schon Initiativen und Diskussion darüber, ob wir ein Anti-Doping-Gesetz in Deutschland brauchen. Ich stehe dieser Diskussion sehr offen gegenüber. Man muss wirklich im Einzelfall abwägen und eine Analyse machen, was uns das bringen kann. Ich gebe zu, dass ich oft voller Neid in unsere Nachbarländer bzw. nach Italien gucke und sehe, was für Möglichkeiten dort zur Verfügung stehen, auch von staatlicher Seite, um eben diesen Dopingsumpf trocken zu legen. Diese Möglichkeiten haben wir gegenwärtig in Deutschland nicht, und man sollte sich überlegen, ob das vielleicht nicht eine Möglichkeit wäre. Wir haben natürlich ein gesetzliches Instrumentarium im Arzneimittelgesetz, aus meiner Sicht bislang wohl ein relativ stumpfes Schwert. Das Gesundheitsministerium hatte gesagt, es würde eine Evaluation dieser Vorschriften vorliegen, bevor weitere Gesetzesinitiativen erfolgen. Das ist etwas mager ausgefallen. Und jetzt befinden wir uns wahlperiodisch in einer schlechten Situation, um solche Diskussionen voranzutreiben. Da werden wir den Sommer und den Herbst abwarten müssen, aber dann wird die Diskussion sicher wieder aufgenommen.

    Remme: Zum Schluss noch ein kurzes Wort zu Ihnen selbst. Sie waren Vorsitzender der ADK und sind in der NADA nicht mehr vertreten. Woran liegt das?

    Haas: Das liegt auf meinen eigenen Wunsch. Diese Strukturänderung, die jetzt mit der NADA eingetreten ist, ist ja aus der ADK heraus geboren und auch entwickelt worden. Das war ein tolles Projekt für mich, an einem sportpolitisch wichtigen Projekt wie diese NADA mitzuarbeiten. In meiner gegenwärtigen beruflichen Laufbahn ist es jetzt so, dass ich nach knapp vier Jahren ehrenamtlicher Tätigkeit in der ADK gesagt habe, dass ich mich für eine weitere volle Amtsperiode bei der NADA nicht verpflichten möchte und nicht verpflichtet kann. Und es hätte aus meiner Sicht jetzt keinen Sinn gemacht, nur eine Übergangslösung zu wählen, also ein, zwei Jahre bei der NADA einzusteigen und dann den Stab wieder abzugeben. Für mich ist das Projekt mit der Gründung der NADA erfolgreich beendet, und jetzt soll ein anderer an das Ruder kommen.

    Remme: Vielen Dank für das Gespräch.

    Link: Interview als RealAudio