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Nationales Netzwerk Genomische Medizin
Genbasierte Diagnostik für maßgeschneiderte Krebstherapien

Krebserkrankungen können mit passgenauen Medikamenten wesentlich besser behandelt werden. Nötig dafür ist eine molekulare Analyse des Tumors. Um möglichst vielen Patienten und Ärzten diese Möglichkeiten zu geben, wird ein nationales onkologisches Netzwerk aufgebaut.

Von Wolfgang Noelke | 09.07.2019
Diagnose Lungenkrebs: Ein Arzt zeigt auf einem Röntgenbild auf einen Tumor.
Mit jährlich jeweils mehr als einer Million Euro finanziert: Das Netzwerk von über 380 deutschen Krankenhäusern, Onkologie- und Facharztpraxen kann für einige Mutationsarten des Lungenkrebses bereits zielgerichtete Therapien anbieten (picture alliance / dpa / Rainer Jensen)
Nach Angaben des Robert-Koch-Instituts steigt aktuell die Zahl der Krebserkrankungen. Eine halbe Million Menschen erhält jährlich die Diagnose "Krebs", wie die an Lungenkrebs erkrankte, heute 61-jährige Düsseldorfer Mathematikerin Bärbel Söhlke, deren langjährige Chemotherapie mit einer hoffnungslosen Prognose endete.
"Meine Ärzte hatten mir erklärt, dass sie nicht glauben, mir mit ihren Mitteln da noch irgendwas für mich tun zu können, also wörtlich gesagt, "machen Sie sich noch ein schönes viertel Jahr", was hieß, "Austherapiert". Und dann hab' ich mir gedacht, mit 'ner systematischen, vollständigen molekularen Diagnostik hab' ich noch eine ganz kleine Chance. Also die Wahrscheinlichkeit ist zumindest größer Null. Und das hab' ich einfach probiert."
Netzwerk aus über 380 Partnern
Hilfe kam vom im letzten Jahr aufgebauten "Nationalen Netzwerk Genomische Medizin", mit Zentren an 15 universitären Standorten und einer wachsenden Zahl mit inzwischen mehr als 380 Partnern. Das sind niedergelassene onkologische Praxen, Kreiskrankenhäuser und größere Kliniken, deren Vernetzung mit 15 Universitätsstandorten einen stets wissenschaftlich fundierten Standard garantieren soll. Gerade in Flächenländern sorge dies zum Beispiel dafür, dass auch in kleinen onkologischen Praxen selten vorkommende Mutationen, also genetische Veränderungen eines Lungentumors diagnostiziert werden können, ohne die Betroffenen mit längeren Reisen und Wartezeiten zu belasten, so Professor Dr. Jürgen Wolf, Ärztlicher Leiter des "Centrums für Integrierte Onkologie" am Universitätsklinikum Köln und Sprecher des "Nationalen Netzwerks genomische Medizin - Lungenkrebs".
Modernste Methoden der Gen-Sequenzierung
An den Erfolgschancen personalisierter Therapie und eventuellen Strategieänderungen arbeiten im Netzwerk alle Partner.
"Das ist dann meist ein niedergelassener Onkologe oder ein Onkologe im, zum Beispiel, kommunalen Krankenhaus. Der stellt die Diagnose "Lungenkrebs" und der schickt dann das Gewebe an die Netzwerk-Zentrale, entweder nach Köln oder an eins der anderen Zentren. Und dort wird dann mit modernsten Methoden der Gen-Sequenzierung, wird dann eine molekulare Analyse des Tumors gemacht und wir schauen im Grunde nach allem, was eine therapeutische Relevanz haben könnte. Und wenn wir so eine Mutation finden, die man zielgerichtet behandeln kann – das ist bei ungefähr einem Drittel der Patienten der Fall. Die Zahl nimmt zu, die Häufigkeit dieser Patienten. Wenn wir also so eine Mutation finden, dann gibt es eine Therapieempfehlung von uns. Und das kann dann sein, dass es eine ganz einfache Empfehlung ist, weil das Medikament schon zugelassen ist. Es könnte aber auch sein, dass das Medikament noch nicht zugelassen ist. Dann nehmen wir Kontakt auf, mit dem medizinischen Dienst der Kassen, um das zu besprechen oder es könnte sein, dass es noch überhaupt kein zugelassenes Medikament gibt, aber wir dem Patienten eine Studie empfehlen können."
Fundierte und neutrale Behandlungsempfehlungen
Dies garantiere auch in fast aussichtslosen Fällen eine seriöse Quelle. Weil spendenfinanziert, seien die Empfehlungen des Netzwerks wissenschaftlich fundiert und neutral, hieß es auf der Jahres-Pressekonferenz der Deutschen Krebshilfe. Das Thema Lungenkrebs ist Schwerpunkt, weil neben den Folgen des Rauchens dringender Forschungsbedarf nach weiteren Auslösern des Lungenkarzinoms bestünde. Die vormals unerkannte seltene Mutation des Karzinoms von Bärbel Söhlke – übrigens Nichtraucherin – wird inzwischen durch ein personalisiertes Medikament im Zaum gehalten. Fast ohne Nebenwirkungen, wie bei ihrer erfolglosen Chemotherapie, die die Mathematikerin zur Berufsaufgabe zwang.
"Die Nebenwirkungen, jetzt speziell aufs Gehirn waren so massiv, dass da nicht dran zu denken war, weiterzumachen. Plus, ich hatte eine Prognose von wenigen Monaten. Das hätte überhaupt keinen Sinn gegeben, weiterzumachen. Und jetzt ist mir meine Lebenszeit zu wichtig dafür, um weiterzumachen."