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Fußball-Verband außerhalb der FIFA
Sizilien gründet neue Nationalmannschaft

Sizilien hat eine eigene Verfassung, eine eigene Sprache und nun auch eine eigene Fußball-Nationalmannschaft. Der Verband hat sich außerhalb der FIFA gegründet, sondern ist bei der CONIFA, einer Konförderation unabhänigiger Verbände. Politik soll eigentlich keine Rolle spielen - und tut es doch.

Von Viktor Coco | 11.06.2022
Hinter dem Platz ist das Meer zu sehen.
Das malerisch gelegene Stadion in Taormina - hier trainiert die neue Nationalmannschaft von Sizilien. (Viktor Coco)
Auf einer Terrasse am Hang des antiken Städtchens Taormina liegt mit Blick auf das Mittelmeer und das italienische Festland ein kleines Stadion. In der Nachmittagssonne trainieren 30 Spieler in gelb-roten Trikots. Es sind die Farben der Region Sizilien und das Team ist die neue Auswahlmannschaft der Insel.
"Den romantischen Wunsch nach einer sizilianischen Nationalmannschaft hatten vermutlich alle Sizilianer irgendwann einmal. In der Schule haben wir früher aus Spaß immer unsere eigene Sizilien-Auswahl mit den besten Spielern zusammengestellt", berichtet auf der Tribüne Alberto L'Episcopo, Geschäftsführer der neu gegründeten Sicilian Football Associtation.
Die Spieler bereiten sich für das erste Spiel der Mannschaft überhaupt vor, Gegner ist die Schwesterinsel Sardinien. Trainer der Naziunali Siciliana ist der Ex-Serie-A-Profi Giovanni Marchese: "Es sind ein paar Jungs aus der dritten und vierten Liga dabei, andere haben Profierfahrung von früher. Eine tolle Mischung. Ich habe ein paar interessante Spieler gesehen."
Giovanni Marchese schaut in die Kamera
Trainer der Auswahl von Sizilien ist Giovanni Marchese - früher mit Genoa und Catania in der Serie A. (Dlf/Viktor Coco)
Die meisten spielen aber in Amateurliegen auf Provinzebene. Mehr gibt der Fußball der größten Mittelmeerinsel derzeit nicht her: Trotz 5 Millionen Einwohnern – immerhin mehr als WM-Teilnehmer Kroatien oder Uruguay – stand zuletzt beim EM-Titel im vergangenen Jahr kein einziger Sizilianer im Kader der italienischen Nationalmannschaft. Selbst in der Serie A spielen kaum Sizilianer. Auch die großen Klubs Palermo und Catania sind seit Jahren nicht im Oberhaus.

Mannschaft soll vor allem Identität stiften

"Es könnte dem Fußball der Region helfen. Derzeit erlebt der Fußball auf Sizilien nicht seine beste Zeit. Palermo spielt zwar gerade um den Aufstieg in die zweite Liga, aber andere Klubs sind Pleite gegangen. Es gibt einige Probleme. Vielleicht ist diese Nationalmannschaft ein Neuanfang", so Coach 'Mister' Marchese.
Neben sportlichen Aspekten soll die Auswahl vor allem identitätsstiftend sein, erläutert Geschäftsführer L'Episcopo: "Wir haben keine politischen Ziele, sondern wollen den Sizilianern nur beibringen, Stolz auf ihre Insel zu sein."
Zeichen eines aufstrebenden Regionalismus? Sizilien hat den Status einer autonomen Region. Im Unterschied zu Katalonien oder dem Baskenland in Spanien gibt es aber kaum separatistische Bestrebungen.

Von der CONIFA anerkannt

L'Episcopo: "Sizilien hat alle 'technischen' Eigenschaften einer Nation: Ein anerkanntes und klar abgegrenztes Gebiet, eigene Bräuche und Traditionen, eine eigene Sprache. Deshalb wurden wir sehr schnell anerkannt."
"Anerkannt" wurden die Sizilianer von der CONIFA, einer Konföderation unabhängiger Fußballverbände. Der Verband hat sich vor neun Jahren gegründet -  für nicht-anerkannte Staaten, Minderheiten oder historische Regionen. Heute zählt er knapp 60 Mitgliedsverbände weltweit, Tendenz steigend.
"Wir haben elf Kriterien. Wer zum Beispiel Mitglied der 'Organisation der nichtrepräsentierten Nationen', oder der 'Union Europäischer Volksgruppen' ist, kann sich bei CONIFA bewerben", so der Schwede Per-Anders Blind, Mitbegründer und Präsident der CONIFA, die sich bisher primär durch die 500 Euro Jahresbeitrag der Mitgliedsverbände finanziert.

CONIFA-Präsident: "Plattform, damit alle Fußball spielen können"

Blind: "Für die Mitgliedschaft bei CONIFA muss man mindestens eine dieser Bedingung erfüllen. Ein Kriterium ist auch, als sprachliche Minderheit registriert zu sein."
Das trifft auf Sizilien problemlos zu. Die Beitrittsregeln sind bewusst sehr offen. Man schreckt auch nicht vor Auswahlmannschaften aus politisch hochumstrittenen Regionen wie Nordzypern oder den sogenannten "Volksrepubliken" Donezk und Lugansk zurück.
Blind: "Wir nehmen Ethnien oder indigene Völker auf, aber auch sportlich isolierte Regionen. Diese drei Regionen sind sportlich isoliert und in der derzeitigen politischen Lage von der internationalen Sportbühne ausgeschlossen. Wir sind aber eine Plattform, damit alle Fußball spielen können."
Trotzdem sind die Mitgliedsverbände aus der Ostukraine jetzt nicht mehr gelistet – sie hatten offenbar selbst darum gebeten, dass ihre Mitgliedschaft ruht.  Die norditalienische Region Padanien zum Beispiel – stark mit der Agenda der rechtspopulistischen Separatistenpartei Lega Nord verbunden – hat man laut Blind erst zugelassen, als sich die Fußballer von der Partei vollständig distanzierten.

Debüt der Sizilianer gelungen

Blind sagt: "Uns geht es überhaupt nicht um Politik. Oft versucht man von außen CONIFA zu politisieren, aber wir selbst interessieren uns nicht für die politische Agenda der Verbände. Wir selbst sehen uns eher als Menschenrechtsorganisation."
Eine Organisation, die aber zuletzt selbst in der Krise steckte. 2020 tritt der langjährige Generalsekretär Sascha Düerkop nach einem Machtkampf mit Blind zurück. Einige unzufriedene Verbände gründen einen eigenen Weltverband. Und die von der CONIFA geplante Europameisterschaft in Nizza musste wegen organisatorischen Problemen abgesagt werden. In wenigen Wochen soll aber eine Premiere stattfinden, die erste CONIFA-Fußballweltmeisterschaft der Frauen - in einer tibetanischen Siedlung in Indien.
Der Auftakt für die sizilianische Mannschaft lief auch ohne EM gut: Sie debütierte im Westen der Insel in Mazara del Vallo mit einem überzeugendem 4:1 gegen Sardinien.