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Nationenwechsel im Leistungssport
Warum eine Leipziger Judoka für den Kongo startet

Immer wieder wechseln Sportlerinnen und Sportler die Nationalität, um bessere Trainingsmöglichkeiten und Startpositionen zu bekommen. So auch Marie Branser. Die Judoka hat in der deutschen Nationalmannschaft keine Chance, will aber unbedingt zu den Olympischen Spielen - mit einem Umweg über Afrika.

Von Jennifer Stange | 25.10.2020
Marie Branser im Judo-Anzug
Judoka Marie Branser kämpft seit vergangenem Jahr für die Demokratische Republik Kongo (dpa / picture alliance / Eibner-Pressefoto / Hammerschnmid)
"Wenn ich jetzt Tobi über die Matte schiebe, dann macht es für ihn wenig Sinn, dass er gegen schiebt, sondern dann übernimmt er meine Bewegung, dann dreht er quasi ein. So ist Judo, siegen durch Nachgeben, das sind halt so die Prinzipien, die der Erfinder vom Judo mitgegeben hat."
Die 27-jährige Marie Branser lebt Judo und seine Prinzipien. Einmal Silber und dreimal Bronze holte die Halbschwergewichtlerin bei internationalen Titelkämpfen. Trotz weniger Chancen, wie Branser meint. Und obwohl sie bei den deutschen Jodomeisterschaften 2019 schon gewusst habe, dass der Judo-Verband Sachsen sie aus dem Landeskader und somit aus der Nationalmannschaft nehmen will, erkämpft sie dort eine Medaille.
"Dann war der Punkt, wo sie gesagt haben, es ändert nichts, deine Medaille, du bist jetzt raus. Wo ich dann gesagt habe, alles klar, dann ist der Weg für mich jetzt hier in Deutschland beendet, oder mit Deutschland, mit Sachsen."
Über den Kongo zu den Olympischen Spielen?
Aufhören ist für Marie Branser keine Option, an diesem Punkt will die Judoka nicht nachgeben, die Leipzigerin will nach Tokyo zu den Olympischen Spielen. Also begibt sie sich auf die Suche nach einer Nation, die das möglich machen könnte. Seit vergangenem Jahr kämpft Branser für die Demokratische Republik Kongo.
Branser: "Von Deutschland nach Afrika ist sicher ein ungewöhnlicher Weg, aber war in dem Moment der schnellste Weg und es ging relativ fix, dass ich dann Ostern in den Kongo geflogen bin und meinen Pass dort geholt habe."
Immer wieder wechseln Sportler für bessere Trainingsmöglichkeiten die Nationalität. In Deutschland führt das etwa zu vielen Olympiateilnehmerinnen mit osteuropäischer Herkunft. Marie Bransers Weg in den Kongo führt über einen Trainer in Frankreich. Der hat Erfahrungen mit Transfers in afrikanische Nationen. Allein schon weil die Verbindungen durch die französische Kolonial- und Einwanderungsgeschichte enger sind. Wer keinen Platz im französischen Kader bekommt, versucht zum Beispiel im Land der Eltern ein Ticket für Olympia zu bekommen. Branser fühlt sich durch die Großeltern mit dem Kongo verbunden.
"Meine Großeltern, die haben dort sehr, sehr lange gelebt und gearbeitet und dann hat man da auch irgendwo einen Bezug zu. Habe ich auch lange mit meinen Großeltern drüber gesprochen."
"Was macht eine Weiße bei uns im Land?"
Aus der DDR waren die eine Weile in die damalige Sozialistische Republik Kongo entsandt worden. Jahrzehnte später fliegt die Enkelin 2019 in ein Land, das den Sozialismus hinter sich gelassen hat und ärmer ist denn je. Das durchschnittliche Bruttoeinkommen in der Demokratischen Republik Kongo liegt deutlich unter 500 Euro im Jahr. Die Region ist von Ebola und Corona und gewalttätigen Konflikten geplagt.
"Ich habe es irgendwo als Chance auch für das Land gesehen. Mir wirklich am Anfang auch sehr naiv erhofft, dass ich dort wirklich was bewegen kann. Weil ich auch gerne Erfolge für das Land erzielen möchte und damit auch sportpolitisch ein bisschen was bewegen kann."
Doch die Sache ist komplizierter als gedacht. "Es gibt natürlich immer zwei Stimmen. Es gibt die einen, die sagen, wir sind superfroh, dass wir dich haben und dann gibt es die anderen, die sagen: Was macht eine Weiße bei uns im Land?"
Branser trainiert weiter in Deutschland beim SC DHFK in Leipzig. Die Trainingsvoraussetzungen hier ließen sich kaum mit denen im Kongo vergleichen. Auch Branser hat das bei einem Besuch gesehen: Geld für Sport gibt es kaum. Das Ungleichgewicht, das daraus zwischen einheimischen Sportlern und Sportlerinnen und denjenigen entsteht, die durch Einbürgerung zu den Olympischen Spielen wollen, sorgt für Konflikte. Nicht erst seit Branser dabei ist:
"Es gibt das eine Lager, was die Leute betrifft, mich und das Team, was bis jetzt zusammen unterwegs war. Und da muss man auch ganz klar sagen, keiner von denen ist Kongolese, alle sind irgendwo aus Europa und haben vielleicht einen Mutter, Vater, Oma, Opa und das andere Lager sind Leute aus Kinshasa. Die vom Niveau einfach nicht an das rankommen, was unser Team ist und sich dann aufregen, dass sie nirgendwo hinfahren."
Finanzierung durch Crowdfunding
So geht es offenbar ihrer einzigen einheimischen Konkurrentin. Seit Marie Branser Teil der kongolesischen Mannschaft ist, kämpft die keine internationalen Turniere mehr. Doch dort müssen die Punkte für eine Olympiaqualifikation gesammelt werden. Wer bei internationalen Wettbewerben antreten darf und wer nicht, sagt Branser, sei allein Entscheidung des Verbandspräsidenten. Hat Branser für ihren Traum von Olympia den einer anderen Sportlerin zunichtegemacht?
"Das ist die einen Seite, die man sehen kann. Aber die andere Seite ist einfach, was man dafür einstecken muss, was man alles dafür leisten muss, an finanziellem und vor allem auch nervlichem Aufwand."
Branser hat sich durch Crowdfunding rund 6.000 Euro gesammelt und sich so die Teilnahme an Trainingscamps und Wettbewerben finanziert. Außerdem organisiert sie nun vieles selbst, was Kadermitglieder aus Deutschland beispielsweise gestellt bekommen. Doch am Ende zählt bei Olympia und im Leistungssport allgemein nicht, welche Ressourcen, welche Chancen die einen hatten und die anderen nicht. Am Ende zählt nur der Sieg, das weiß auch Marie Branser.