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NATO-Bündnispartner müssen "zu einer klaren Absprache kommen"

Heute entscheidet der Bundestag über die Verlängerung des deutschen Afghanistan-Mandats. Eine Entscheidung über die Aufstockung der deutschen Truppen dagegen wird laut Karl Lamers nur in enger Absprache mit anderen NATO-Staaten erfolgen können - bei der Afghanistan-Konferenz im Januar.

    Bettina Klein: Heute wird abgestimmt im Deutschen Bundestag – nein, nein, nicht über die im Raum stehende Forderung nach mehr Truppen für Afghanistan, sondern ganz regulär über die Verlängerung des gegenwärtigen Mandates. Über die Abstimmung über das Afghanistan-Mandat möchte ich sprechen jetzt mit Karl Lamers von der CDU, im Deutschen Bundestag stellvertretender Vorsitzender des Verteidigungsausschusses. Guten Morgen, Herr Lamers.

    Karl Lamers: Einen schönen guten Morgen!

    Klein: Wie viel Wert hat eine Abstimmung, die man ohnehin nur als vorläufig bezeichnen kann?

    Lamers: Diese Abstimmung hat sehr viel Wert. Wir dürfen ja keine Rechtsunklarheit aufkommen lassen. Das Mandat läuft jetzt in diesen Tagen aus, deswegen muss es ganz normal verlängert werden. Sollte sich dann nach der Afghanistan-Konferenz eine neue Lage ergeben, eine neue politische Bewertung, nämlich nach den Gesprächen in London über Ziele und Erwartungen der afghanischen Regierung, auch der Verbündeten, dann werden wir das Mandat anpassen. Jetzt heißt es, das Mandat zu verlängern, damit unsere Soldaten auf einer gesicherten Rechtsgrundlage ihren schweren Dienst in Afghanistan leisten können.

    Klein: Ich greife mal eine Frage auf, die viele in diesen Tagen zu beschäftigen scheint. Wann, wenn nicht jetzt, wäre der Zeitpunkt, öffentlich darüber zu diskutieren, um wie viele Soldaten dieses Mandat aufgestockt werden soll?

    Lamers: Es geht nicht nur um die Aufstockung der Soldaten, sondern es geht gerade nach unserer Überzeugung um einen zivil-militärischen Ansatz. Das heißt, wir müssen beides im Auge haben: auf der einen Seite die militärische Absicherung dessen, was wir tun, um dem Land eine gute Perspektive zu geben, aber auch den zivilen Wiederaufbau müssen wir im Blick haben. Hier geht es um Ausbildung von Soldaten und von Polizei. Hier geht es darum, insbesondere jetzt auch mit Präsident Karsai darüber zu sprechen, wie er seiner Verantwortung dafür gerecht wird, dem Land eine vernünftige Perspektive zu geben, durch effiziente Bekämpfung von Korruption, von Drogenanbau. Good Governance ist für uns ein wichtiges Stichwort. Das muss alles in London am 28. Januar auf der Afghanistan-Konferenz besprochen werden. Das heißt, hier geht es um die eigene Verantwortung der Regierung Karsai und dann darum, was auf der Grundlage seiner besser werdenden Politik dann von uns allen getan werden muss und kann, um dem Land eine vernünftige Perspektive zu geben. Hier geht es ja letzten Endes um die eigene Sicherheit.

    Klein: Herr Lamers, Sie äußern Hoffnungen, die sich richten auf die Afghanistan-Konferenz. Glauben Sie denn tatsächlich, dass Sie dort neue Fakten hören werden?

    Lamers: Ich gehe davon aus, dass wir hier eine Evaluierung dessen vornehmen, was ist bisher geschehen und was muss besser werden. Denn dass es so, wie es jetzt ist, nicht bleiben kann, das hat ja auch die Rede des amerikanischen Präsidenten gezeigt. Zwei Dinge gehen nicht: einfach so weitermachen und zweitens ein überhasteter Ab- und Rückzug. Deswegen müssen wir einen neuen Weg gehen.

    Klein: Wenn Sie zum Ergebnis kommen, es hat sich nichts geändert, dann sagen Sie der NATO und sagen Sie den USA, tut uns leid, unter diesen Bedingungen bekommt ihr nicht mehr Truppen und auch keine zivilen Helfer?

    Lamers: Es wird ja eine neue Politik geben. Die Weichenstellung des amerikanischen Präsidenten ist ja vollzogen. Es gibt hier neue Ansätze, nämlich dass er zunächst mal massiv militärisch reingeht bis Mitte 2011, um – das ist eine ganz klare Zielsetzung – Städte von Taliban zurückzuerobern, dann gewisse militärische Schwerpunkte auch abzusichern, das heißt die Grundlage militärisch zu schaffen für zivile Wiederaufbaumaßnahmen. Es geht um eine neue, verstärkte Politik gegenüber Pakistan und es geht darum, dass man den zivilen Wiederaufbau verstärkt, das heißt auch dazu beiträgt, durch eine verstärkte Ausbildungsmission von Polizei und Soldaten Afghanistan in die Lage zu versetzen, in absehbarer Zeit die Verantwortung selber im Land zu übernehmen. Das heißt, Übergang der Verantwortung in geordneten Bahnen auf die afghanische Regierung, das ist unser Ziel, damit wir mittelfristig auch eine Exit-Strategie entwickeln können.

    Klein: Sie haben noch mal geschildert, was Inhalt der Strategie war, die der amerikanische Präsident gestern Morgen vorgelegt hat. Meine Frage noch mal: Wovon machen Sie denn die Entscheidung abhängig, ob es aus Deutschland mehr Soldaten für Afghanistan geben wird oder nicht?

    Lamers: Das machen wir davon abhängig, dass Präsident Karsai klar und deutlich macht, seine Verantwortung wahrzunehmen im Land. Ich habe das gerade dargestellt: good Governance, Korruptionsbekämpfung, Bekämpfung von Drogenanbau, Aufbau von vernünftigen Verwaltungsstrukturen, die Justiz. Das muss Vertrauen in der Völkergemeinschaft schaffen, dafür muss er geradestehen. Und dann eine Abrede zwischen den NATO-Staaten, zwischen den Verbündeten – aber es geht ja weit darüber hinaus; wir haben ja heute 42 Nationen -, die in Afghanistan präsent sind. Hier muss es zu einer klaren Absprache kommen, wer kann seinen Fähigkeiten entsprechend welchen Beitrag leisten, um diese Mission zum Erfolg zu führen. Das ist in unser Interesse, denn wir wollen, dass künftig kein Terror mehr von Afghanistan exportiert wird. Das ist im nationalen deutschen Interesse, das ist im Interesse der gesamten Weltgemeinschaft. Deswegen sind wir alle da, einschließlich Australien, Neuseeland und viele, viele andere, weit über die NATO hinaus.

    Klein: Herr Lamers, so richtig dieser Ansatz sein mag, wenn die US-Außenministerin Clinton heute oder morgen beim Treffen der NATO-Außenminister zusätzliche Truppen anfragen wird, dann werden Sie sagen, wir machen es abhängig von der Korruptionsbekämpfung zum Beispiel in Afghanistan, und wenn wir zum Ergebnis kommen, das bringt eigentlich nichts, dann müssen wir euch, liebe NATO, an der Stelle enttäuschen?

    Lamers: Ja, aber so wird es nicht kommen. Ich gehe davon aus, dass wir am 28. Januar dazu kommen, in einer vernünftigen Weise uns miteinander auszutauschen, die Regierung Afghanistans und alle Verbündeten, denn alle haben ein gleiches Ziel, dass diese Mission nicht scheitert. Das wäre eine Katastrophe für unser aller Sicherheit und deswegen bin ich überzeugt, dass es nach dieser Konferenz zu einer vernünftigen Regelung und Absprache zwischen allen Truppenstellern, zwischen allen kommt, die im zivilen Bereich etwas tun, aber auch im militärischen Bereich ihren Beitrag leisten. Es geht um die Gesamtverantwortung, die wir wahrnehmen und der wir gerecht werden.

    Klein: Die Taliban haben nach der Ankündigung von Präsident Obama bereits erbitterten Widerstand angesichts der geplanten Truppenaufstockung der USA angekündigt. Worauf müssen sich die Soldaten – und dazu gehören ja auch schon Bundeswehrsoldaten – einstellen?

    Lamers: Sie müssen sich auf das einstellen, was die Taliban angekündigt haben. Unser Bundesminister der Verteidigung spricht ja von kriegsähnlichen Zuständen. Da hat er recht. Das ist wirklich dramatisch, was die Taliban machen. Sie wollen militärisch und in ihrer gesamten Politik alles tun, um das Land zu zerstören, den Menschen die Zukunft zu nehmen. Sie wollen wieder Terror-Camps errichten, El Kaida. All das wollen wir nicht und deswegen zeigt sich gerade an der Reaktion der Taliban, wie richtig es ist, zunächst mal eine militärische Absicherung und Sicherung zu schaffen, um dann auf dieser Grundlage dem Land eine zivile Wiederaufbauperspektive zu geben. Das ist im Interesse Afghanistans, das ist in unser aller Interesse.

    Klein: Das eine ist die Aufstockung; andererseits gilt auch die gestrige Festlegung Obamas auf einen Abzugstermin als riskant, weil den Taliban nun klar sei, wann es vorbei ist mit dem Einsatz. Wie gerechtfertigt ist das?

    Lamers: Nein! Er hat nur den Beginn eines möglichen Abzugs genannt, nicht das Ende. Das wäre in der Tat fatal. Dann könnte man sich in den Sessel setzen und abwarten, bis alle Truppen heraus sind. Er hat gesagt, nein, abgestimmt auf die politische, militärische Situation zum Zeitpunkt im Juli 2011 kann ich mir vorstellen, mit dem Abzug zu beginnen. Das heißt aber noch lange nicht, dass dann die Truppen alle heraus sind. Die Taliban sollen sich nicht zu früh freuen. Wir werden unserer Aufgabe gerecht werden. Es wird keinen überhasteten Rückzug geben, das wäre unverantwortlich. Also Beginn eines möglichen Abzugs, abgestimmt auf die politische, militärische Situation im Jahre 2011, im Sommer 2011, und dann wird man sehen, wie lange ein solcher Abzug dauert und wo man beginnen kann. Es gibt sicherlich Zonen unterschiedlicher Sicherheit. Man wird mit dem Rückzug da beginnen, wo Sicherheit weitgehend hergestellt ist und wo die Afghanen selber in der Lage sind, sie für die Zukunft zu gewährleisten.

    Klein: Karl Lamers (CDU), stellvertretender Vorsitzender des Verteidigungsausschusses im Deutschen Bundestag. Ich bedanke mich für das Gespräch, Herr Lamers.

    Lamers: Sehr gerne.