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NATO-Experte Kamp: Awacs-Flugzeuge könnten Luftüberwachung in Afghanistan leisten

Der Forschungsdirektor am NATO-Defence-College in Rom, Karl-Heinz Kamp, hält den Einsatz von Awacs-Flugzeugen in Afghanistan für eine "schlichte Notwendigkeit". Nicht nur der militärische Flugverkehr in dem Land nehme zu, auch eine afghanische Fluglinie fliege mittlerweile. Awacs-Flugzeuge könnten die in Afghanistan nicht existente Luftüberwachung übernehmen. Da die Bundeswehr jedoch eine Parlamentsarmee sei, müsste der Bundestag einem solchen Einsatz vorab zustimmen, fügte Kamp hinzu.

Moderation: Gerd Breker |
    Gerd Breker: Der Kommandeur der ISAF, der Internationalen Schutztruppe in Afghanistan, hat an die NATO in Brüssel die Anfrage nach Unterstützung durch Awacs-Maschinen gerichtet. In diesen Awacs-Maschinen der NATO-Luftaufklärung, da sitzen auch deutsche Soldaten. Eine offizielle Anfrage an die Bundesregierung wäre also vonnöten. Die liegt zwar noch nicht vor, könnte aber schon bald kommen. Die Diskussion darüber hat jedenfalls schon begonnen, denn der Bundestag müsste einem solchen Einsatz zustimmen. Am Telefon begrüße ich nun Karl-Heinz Kamp. Er ist Forschungsdirektor am NATO-Defence-College in Rom. Guten Tag Herr Kamp.

    Karl-Heinz Kamp: Herzliche Grüße aus Rom!

    Breker: Herr Kamp, gilt nicht "wenn schon, denn schon"? Wenn die NATO-Schutztruppe in Afghanistan führt, dann muss sie das auch mit der möglichst optimalen Ausrüstung tun, also auch mit Awacs?

    Kamp: Natürlich. Wenn man mal von den politischen Sensibilitäten, die natürlich gerade in Deutschland allein bei dem Namen Awacs herrschen, absieht, gibt es eine schlichte Notwendigkeit. Der Flugverkehr nimmt zu - übrigens nicht nur der militärische; auch eine afghanische Fluglinie fliegt mittlerweile. Sie haben Transportflüge, sie haben Hubschrauber etc. Das muss koordiniert werden. Es gibt in diesem Land keine ausreichende bodengestützte Luftüberwachung. Und das kann durch die Awacs-Flugzeuge geleistet werden. Die Amerikaner machen das zurzeit, aber natürlich hat ein NATO-Kommandeur dort lieber eine technische Komponente, die unter seinem Kommando steht.

    Breker: Und wenn Awacs-Flugzeuge in Afghanistan zum Einsatz kommen, dann natürlich auch im Süden. Es würde überhaupt keinen Sinn machen, den Süden auszusparen.

    Kamp: Wir müssen glaube ich ohnehin von der Vorstellung weg, die gerade in Deutschland immer wieder aufkommt, als könnte man militärische Dinge oder als könnte man bestimmte Aufgaben trennen. Natürlich können sie ein Brotmesser verwenden, um Brot zu schneiden. Sie können auch damit jemanden umbringen. Also jetzt zu sagen ja, aber mit den Awacs könnte aber auch etwas anderes gemacht werden als Luftüberwachung. Natürlich kann es das, aber das werden sie niemals trennen können. Deshalb die Sache überhaupt nicht zu machen und zu riskieren, dass zum Beispiel Zivilflugzeuge mit militärischen kollidieren, ist kein Argument.

    Breker: Das heißt irgendwo zweifelt ja auch ein wenig der Laie. Der sagt sich, der Luftraum wird überwacht. Die Taliban, haben die denn Flugzeuge? - Die haben doch gar keine Flugzeuge.

    Kamp: Nein. Sie müssen wie gesagt einfach dort schauen, dass die Operation als solches, die von der NATO geführt wird und von anderen auch, eine Reihe von Flugbewegungen beinhaltet plus die zivilen Flugbewegungen. Das müssen sie irgendwie koordinieren. Natürlich können sie mit den Awacs-Flugzeugen bis nach Iran hereinschauen, bis nach Pakistan. Sie können auch Ziele zuweisen für Angriffe. Das können sie alles machen. Aber das ändert ja nichts an der Notwendigkeit, dass man das sozusagen von der Überwachungsseite her tun muss.

    Breker: Wie ist, Herr Kamp, aus Ihrer Sicht eigentlich die ISAF-Schutztruppe in Afghanistan ausgerüstet? Es hat ja immer wieder Kritik gegeben - zum Beispiel daran, dass es an der Aufklärung am Boden fehlt.

    Kamp: Das ist halt immer die Frage. Das große Problem in Afghanistan ist, dass es ja kein NATO-weites "situation assesment" gibt. Mir fällt dafür gerade kein entsprechender Begriff ein. Sprich: Jedes Land begutachtet selber aus seiner Sicht, wie seine eigenen Soldaten dort operieren, was fehlt, was nicht fehlt, was man bereit ist zu zahlen und so weiter. Es gibt also keine allgemein akzeptierte Situationsanalyse: So geht es uns dort und so sieht es aus. Deswegen bekommen sie auch immer in der Öffentlichkeit unterschiedliche Signale. Die einen sagen, wir machen eine ganze Menge Fortschritt, und beziehen sich auf die Schulen, die gebaut werden, auf dieses und jenes. Die anderen sagen, aber es wird immer schwieriger, weil die Angriffe der Taliban zunehmen und so weiter. Insofern ist es immer eine nationale Bewertung und jede Nation sagt natürlich, wir haben unsere Soldaten dort optimal ausgestattet, und die Soldaten vor Ort haben - und auch das ist üblich - häufig Klagen, wo sie sagen, wir hätten aber dieses oder jenes. Das wäre besser, um uns unsere Mission hier leichter zu machen. - Da werden sie schwer eine allgemeine Einschätzung bekommen.

    Breker: Aber Herr Kamp, ist nicht gerade dies das eigentliche Problem, dass da jeder sein eigenes Süppchen kocht und dass es keine gemeinsame Suppe gibt, die dort gekocht wird?

    Kamp: Es gibt natürlich eine gemeinsame Suppe, die gekocht wird, dadurch - dass wir ein gemeinsames Kommando haben, ein ISAF-Kommando, also ein von der NATO kommandiertes, für den Wiederaufbau in Afghanistan zuständiges Kommando. Man versucht jetzt zunehmend mit zunehmendem Erfolg zivile und militärische Dinge miteinander zu koordinieren, was ja auch dringend notwendig ist, weil sie können die Probleme dort bei weitem nicht rein militärisch lösen. Das weiß jeder. Die Frage ist nur immer: Wer koordiniert da wen und wer wird koordiniert? - Sie müssen im Hinterkopf haben - und das ist den Bürgern nicht ganz leicht zu vermitteln -, es gibt für eine Operation in dieser Größenordnung keine Blaupause. Das hat man bisher noch nicht gemacht. Da konnte man nichts aus der Schublade ziehen und sagen, so geht so etwas. Man tastet sich an viele Dinge heran. Vor zwei Jahren sah es in Afghanistan mal wesentlich schlechter aus. Im Moment glaube ich, dass die positiven Aspekte bei aller Kritik überwiegen.

    Breker: Dennoch, Herr Kamp, die Unterschiede in dem, was die einzelnen Soldaten der einzelnen Nationen tun dürfen - siehe Awacs-Flugzeuge; der Bundestag müsste dem erst zustimmen -, ist das nicht ein Problem, was die Befehlswege länger werden lässt als nötig?

    Kamp: Es bringt natürlich die Kommandeure vor Ort um den Verstand, was sie alles machen müssen. Sie haben halt das große Problem, dass unterschiedliche NATO-Mitgliedsstaaten, aber auch Nichtmitgliedsstaaten unterschiedlich bereit sind, ihre Soldaten Dinge machen zu lassen. Im Fachbegriff nennt man das "Caviats". Länder sagen, wir belasten sozusagen unseren Einsatz mit bestimmten Bedingungen. Unsere Soldaten dürfen dieses oder jenes nicht. Sie können also als Kommandeur nicht über alle Soldaten in gleicher Form verfügen. Das macht es sehr schwierig. Das ist aber Bündnisrealität. Wir haben zum Beispiel in Deutschland eine Parlamentsarmee. Das mögen die Verbündeten nicht unbedingt mögen. Das macht auch bestimmte Prozesse schwieriger. Aber der Bundestag muss über bestimmte Prozesse oder Mandate zustimmen. Das ist nun mal die Wirklichkeit, so wie sie ist. Darum ist die NATO halt ein Bündnis aus mittlerweile 26 demokratischen und unabhängigen Staaten.

    Breker: Nur damit wird dann die Militäraktion in Afghanistan nicht sonderlich effektiv?

    Kamp: Damit wird die Militäraktion nicht sonderlich effektiv und es wird sicherlich schwierig. Dass man aber trotzdem Erfolg haben kann, haben wir auf dem Balkan gesehen, wo 1995 und nach 1999 - nach Kosovo - auch eine Vielzahl von Experten gesagt haben, aus all diesen Gründen, die wir jetzt genau in Afghanistan diskutieren, funktioniert das nie und ihr werdet scheitern und ihr werdet überhaupt nicht es so lange durchhalten. Mittlerweile ist man auf dem Balkan seit 12 Jahren, 13 Jahren und niemand bestreitet ernsthaft, dass die Situation dort heute besser ist, als sie 1995 war. Und übrigens niemand bestreitet heute ernsthaft, dass die Situation in Afghanistan besser ist als vor dem 12. Oktober 2001, dem Beginn der Bombenangriffe gegen die Taliban.

    Breker: Dennoch brauchen wir viel Geduld?

    Kamp: Dennoch brauchen wir viel Geduld und die Bereitschaft, dort mehr zu tun, als wir zurzeit tun - auch und gerade eben an die Adresse von Deutschland gerichtet.

    Breker: Im Deutschlandfunk war das Karl-Heinz Kamp. Er ist Forschungsdirektor am NATO-Defence-College in Rom. Herr Kamp, vielen Dank für dieses Gespräch.