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"Natürlich greifen hier Politik und Wirtschaft ineinander"

Die Lasten der Sanierung von Opel in Europa müssten - so Hans-Joachim Maurer, Hauptgeschäftsführer der Deutsch-Belgisch-Luxemburgischen Handelskammer in Brüssel - gerecht verteilt werden. Die EU-Kommission würde protektionistisches Verhalten von Seiten Deutschlands kaum tolerieren.

Hans-Joachim Maurer im Gespräch mit Sandra Schulz | 16.09.2009
    Sandra Schulz: Deutschland hat schon einen Kredit von 1,5 Milliarden Euro ausgezahlt. Damit hat sich Opel in den vergangenen Monaten über Wasser gehalten. Weitere 3 Milliarden Euro sollen nach den bisherigen Plänen bereitgestellt werden. Aber nicht nur die Opel-Rettung hat die Bundesregierung sich damit eingehandelt, sondern auch Empörung aus vielen Teilen Europas. Die EU-Kommission fühlt sich übergangen. Unmut kommt wie aus allen anderen Ländern mit Opel-Werken auch aus Belgien, weil dem Werk in Antwerpen die Schließung droht. Über die Vorwürfe und ihre Konsequenzen wollen wir jetzt in den kommenden Minuten sprechen. Hans-Joachim Maurer ist am Telefon, Hauptgeschäftsführer der Deutsch-Belgisch-Luxemburgischen Handelskammer in Brüssel. Guten Morgen!

    Hans-Joachim Maurer: Guten Morgen!

    Schulz: Haben Sie schon einen neuen belgischen Argwohn zu spüren bekommen?

    Maurer: Ich kann Ihnen bestätigen, dass natürlich in der Region Antwerpen und darüber hinaus in Flandern ein gewisser Argwohn besteht gegenüber den möglicherweise geplanten Maßnahmen der Opel-Leitung hinsichtlich des Standorts Antwerpen. Aber ich denke, dass die EU-Kommission – so sehen es jedenfalls die belgischen Medien – alles daran setzen wird zu verhindern, dass deutscher Protektionismus, wie es hier zum Teil genannt wird, ausgeübt werden kann und dass die Lasten der Schwierigkeiten, die jetzt mit der Sanierung von Opel in Europa einher gehen, halbwegs gerecht verteilt werden.

    Schulz: War es aus Ihrer Sicht denn richtig, dass sich die Bundesregierung von Anfang an für Magna so stark gemacht hat?

    Maurer: Schauen Sie, das hier aus der Entfernung zu beurteilen, ist ausgesprochen schwer. Dazu müsste man sämtliche Details kennen, die kenne ich nicht, ich weiß nicht, ob außer den Ministerien jemand die Details alle kennt. Aber was ich insgesamt zum deutsch-belgischen Geschäft sagen kann: Die Region Antwerpen hat vor vielen Jahren schon einen Automobilmontagestandort verloren, nämlich den von Renault, und das hat den belgisch-französischen Wirtschaftsbeziehungen keinen Abbruch getan. Belgische Geschäftsleute, belgische Konsumenten können genauso gut rechnen wie deutsche und ich vermute, dass das deutsch-belgische Geschäft unabhängig davon, wie über den Standort Antwerpen entschieden wird, unter der jeweils getroffenen Entscheidung nicht leiden wird. Sie müssen bedenken, dass die Wirtschaftsunion Belgien-Luxemburg für deutsche Unternehmen der sechstwichtigste Auslandsabsatzmarkt ist und ich denke auch bleiben wird. Der deutsche Export, wenn ich das noch sagen darf, nach Belgien hat jetzt während der Krise unterdurchschnittlich an Volumen verloren und so gehen wir davon aus, dass mit dem Verlassen der Krise der Export Deutschlands nach Belgien, aber auch der belgische Export nach Deutschland wieder Richtung altes Niveau marschieren werden.

    Schulz: Dann spielt die politische Aufregung fürs Geschäft eigentlich gar keine Rolle?

    Maurer: Ich denke, das können Sie so sagen. Die politischen Aufregungen beeinflussen relativ wenig den auf der praktischen Ebene stattfindenden deutsch-belgischen Warenaustausch. Wenn ein deutsches Produkt in Belgien wettbewerbsfähig ist oder ein belgisches in Deutschland, denke ich, ist es relativ unabhängig von der politischen Situation, dass die jeweiligen Geschäftspartner auch ins Geschäft kommen.

    Schulz: Sie haben das Schlagwort gerade schon fallen lassen, das die Runde macht: deutscher Protektionismus. Welche Rolle spielt das bei den Debatten, die Sie jetzt führen?

    Maurer: Ich kann Ihnen nur sagen, man muss trennen zwischen der politischen Diskussion und der eher pragmatischen geschäftlichen Diskussion in der Realität. Im politischen Bereich spielt das natürlich eine Rolle, ja. Sie müssen immer bedenken, dass Belgien ein deutlich kleineres Land ist als Deutschland. Ähnliches gilt übrigens auch für Spanien und Großbritannien, wo es auch Opel-Standorte gibt. Man ist natürlich als Angehöriger eines kleinen Landes, so spekuliere ich, eher geneigt, argwöhnisch sich zu verhalten gegenüber einem größeren, von dem man sich möglicherweise überrollt fühlen könnte, wenn da Entscheidungen getroffen werden, die rein subjektiv betrachtet wirtschaftlichen Überprüfungen nicht unbedingt Stand halten.

    Schulz: Jetzt stehen in Deutschland ja auch mehr als 4000 Jobs auf der Kippe. Das sind nach dem aktuellen Plan die Hälfte aller Stellen, die gestrichen werden sollen, was ja nicht wenig ist, auch angesichts der Milliarden, die aus Deutschland kommen. Spielt das auch eine Rolle in der Debatte, so wie Sie sie beobachten?

    Maurer: Ich denke, dass die Zahlen, wie viele Stellen an welchem Standort gestrichen werden sollen, nicht mit allzu großer Aufmerksamkeit hier verfolgt werden. Die Zahl von 4500, glaube ich, ist es, die insgesamt gestrichen werden sollen. Die ist in der Diskussion, aber man befürchtet halt – und ich weiß das nicht nur aus Belgien, sondern auch aus Großbritannien und Spanien -, dass die Verteilung nicht aus jeder Perspektive betrachtet gerecht geschehen könnte.

    Schulz: Sie haben gerade schon darauf hingewiesen, dass man ganz streng trennen muss zwischen Politik und Wirtschaft. Jetzt wird immer wieder in der politischen Debatte ja vor politischen Entscheidungen gewarnt. Liegt es aber nicht eigentlich auf der Hand, wenn es um Milliarden aus der öffentlichen Hand geht, dass es dann auch um politische Entscheidungen geht?

    Maurer: Na ja, natürlich liegt das auf der Hand. Es werden Steuergelder bereitgestellt, eine privatwirtschaftliche Einrichtung, in diesem Fall Opel, zu retten und anschließend zu sanieren. Natürlich greifen hier Politik und Wirtschaft ineinander. Aber es gibt ja nicht nur in Deutschland, sondern auch in Belgien durchaus Zweifel daran, ob es so sinnvoll ist, dass Politik sich so tief in die reale Wirtschaft, wie es ja heißt, mit einbringt, um es mal so zu formulieren, statt den Markt wirtschaftliche Themen regeln zu lassen.

    Schulz: Wird sich da der Ton denn ändern, wenn die Bundestagswahl hier in Deutschland erst mal vorbei ist?

    Maurer: Zum Beispiel das wird nicht nur in Deutschland, auch in Belgien durchaus spekuliert.

    Schulz: Das waren Einschätzungen heute in den "Informationen am Morgen" im Deutschlandfunk von Hans-Joachim Maurer. Er ist Hauptgeschäftsführer der Deutsch-Belgisch-Luxemburgischen Handelskammer in Brüssel. Danke schön!

    Maurer: Gerne! Auf Wiederhören.