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"Natürlich ist das ein Fernziel"

Ex-Kanzlerberater Horst Teltschik vermisst in der derzeitigen Politik der Europäischen Union klare Zielsetzungen. Seiner Meinung nach sollten die Vereinigten Staaten von Europa ein Fernziel sein. Zumindest eine gemeinsame Armee sollte die EU auf die Beine stellen.

Moderation: Christoph Heinemann | 10.08.2007
    Christoph Heinemann: Was hätte man 1907 über den Verlauf des 20. Jahrhunderts vorhersagen können? Sicherlich nicht Aufstieg und Fall des Kommunismus, zwei Weltkriege, den Holocaust, die Nutzung des Atoms zur Energiegewinnung und zur Herstellung von Waffen, nicht die Landung auf dem Mond, Mobiltelefone oder Internet. Das schreibt der SPD-Politiker Egon Bahr in einem Beitrag, den er zusammen mit dem ehemaligen Staatssekretär Walter Stützle und dem Friedensforscher Gießmann für die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" geschrieben hat.
    2007 blicken die drei in die Zukunft und haben drei Probleme für das 21. Jahrhundert benannt: den Klimawandel, ein neues Atomzeitalter und einen drohenden Kulturkampf zwischen Islam und Christentum. Als Mittel zur Lösung beleben sie die alte Formel der Entspannungs- und Ostpolitik wieder: gemeinsame "Sicherheit durch Dialog". Dies solle vereinfacht ausgedrückt zum europäischen Exportartikel werden. Sind das Träumereien oder bewegen sich die drei nahe an der Wirklichkeit? - Am Telefon ist Horst Teltschik, Leiter der Münchener Konferenz für Sicherheitspolitik, vormals außen- und sicherheitspolitischer Berater des Bundeskanzlers Helmut Kohl. Guten Morgen!

    Horst Teltschik: Guten Morgen Herr Heinemann!

    Heinemann: Herr Teltschik, gemeinsame "Sicherheit durch Dialog". Egon Bahrs Idee setzt den Willen zur Zusammenarbeit voraus. Aber zumindest die letzten Jahre werden sicherlich nicht als Ära des Multilateralismus in die Geschichte eingehen?

    Teltschik: Ja. Dieser Slogan "Sicherheit durch Dialog" erinnert mich sehr an meinen eigenen Slogan von der Münchener Sicherheitskonferenz, denn wir sprechen von Frieden durch Dialog. Im Prinzip ist das identisch. Es ist eigentlich die Schlussfolgerung aus unserer Erfahrung im Kalten Krieg. Wir haben bis Mitte der 60er Jahre - das heißt die westliche Allianz - eine Politik der Konfrontation, der politischen Isolierung, der Sanktionen gegenüber den Warschauer-Pakt-Staaten betrieben, vor allem auch gegenüber der DDR. Dann hat die NATO einschließlich der Amerikaner einen Kurswechsel vollzogen mit der so genannten Harmel-Doktrin, die ja nichts anderes gesagt hat als erste Priorität ist unsere Sicherheit. Die zweite Priorität ist, auf der Grundlage unserer eigenen Sicherheit eine Politik der Entspannung, der Zusammenarbeit und des Dialogs zu führen. Diese Politik war ja außerordentlich erfolgreich und ich frage mich deshalb in der Tat wie Egon Bahr auch und mein Studienfreund Stützle, warum wir von diesen Erfahrungen nicht lernen, sie auf andere Krisengebiete heute anwenden.

    Heinemann: Ist das denn weltweit übertragbar?

    Teltschik: Ich würde nicht sagen weltweit übertragbar, aber ich kann mir vorstellen, in bestimmten Konfliktfällen ist es übertragbar. Schauen Sie mal im Augenblick nach Korea. Was die Südkoreaner mit ihrer Politik gegenüber Nordkorea betreiben und was die sechs Staaten machen, die jetzt gemeinsam die Verhandlungen führen, also neben den beiden koreanischen Staaten China, Japan, die USA und Russland, ist im Prinzip eine vergleichbare Politik. Das heißt im Bündnis mit den Amerikanern hat Südkorea seine Sicherheit garantiert und jetzt werden internationale Gespräche im Dialog geführt, multilateral wie bilateral. Jetzt soll ja ein Gipfel der beiden koreanischen Staaten stattfinden. Ich könnte mir das gleiche auch für den Iran vorstellen.

    Heinemann: Das setzt aber Gesprächsbereitschaft voraus, die im Augenblick nicht erkennbar ist.

    Teltschik: Da habe ich meine großen Zweifel. Alle Experten sagen, dass die Iraner noch in der Zeit vor Ahmadinedschad durchaus bereit waren zu bilateralen Gesprächen mit den USA. Denken Sie an die Situation nach dem schrecklichen Terrorakt am 11. September in New York und dann die Intervention in Afghanistan. In dieser Zeit war der Iran durchaus interessiert an einer Kooperation mit den USA und an einem Dialog. Der ist leider nicht zu Stande gekommen. Jetzt beginnt vorsichtig ein Dialog über den Irak. Also ich persönlich bin der Meinung, die Amerikaner haben das nicht gut genug ausgelotet oder waren noch nicht bereit. Ich könnte mir vorstellen, dass eine solche Strategie gegenüber dem Iran zumindest überprüfbar wäre. Die Europäer haben es ja versucht mit den Verhandlungen, aber dort muss das bilaterale Gespräch USA/Iran hinzukommen.

    Heinemann: Noch unter dem gegenwärtigen Präsidenten?

    Teltschik: Das ist eine berechtigte Frage, aber das ist ja nur noch ein Jahr.

    Heinemann: Herr Teltschik, Europa steckt ein bisschen in der Zwickmühle. Je größer es wird, desto wirtschaftlich stärker wird es sicherlich. Außenpolitisch gelingt es aber kaum noch, mit einer Stimme zu reden. Muss sich die Union mit einem hinteren Platz in der Weltpolitik abfinden?

    Teltschik: Da ist mit der Beitrag von Egon Bahr, Stützle und dem dritten Autor doch etwas zu mutlos und zu defensiv. Sie sprechen ja immer von der Notwendigkeit der Handlungsfähigkeit der Europäischen Union, sagen aber gleichzeitig, dass das Ziel der Vereinigten Staaten von Europa nicht gegeben sei oder nicht realisierbar sei. Ich meine die deutschen Parteien, also auch die CDU/CSU unter Helmut Kohl, haben ja bis 1990 das Ziel der Vereinigten Staaten von Europa verfolgt.

    Heinemann: Aber er hat sich doch inzwischen davon verabschiedet?

    Teltschik: Ja, leider. Ich frage mich warum. Natürlich ist das ein Fernziel. Natürlich klingt das wie eine Vision oder eine Utopie, wobei ich Vereinigte Staaten von Europa nicht gleichsetze mit den Vereinigten Staaten von Amerika. Wir können das natürlich anders und europagemäß gestalten. Aber warum geben wir eigentlich ein solches Ziel auf? Ich glaube, dass Politik Ziele braucht. Ansonsten wursteln wir vor uns hin. Und wenn Sie die europäischen Gipfel ansehen: in den USA gibt es den Begriff "durchwursteln". Ich sage immer wir wursteln nur. Wir wursteln uns nicht durch. Das kommt oft daher, dass man keine klaren Zielsetzungen mehr hat. Wir wissen nicht, welches Europa wir am Ende wollen. Wir wissen nicht, wie groß es sein soll. Wir haben vieles offen gelassen. Ich glaube daran liegt auch die Unsicherheit der Bevölkerung gegenüber der Europäischen Union.

    Heinemann: Und einige setzen doch ganz andere Schwerpunkte. Die Briten führen sich traditionell als Solotänzer im europäischen Reigen auf. Muss man London einfach mal vor die Wahl stellen, drin bleiben und mitmachen oder raus gehen?

    Teltschik: Die Bundeskanzlerin war ja beim letzten Gipfel nahe daran zu sagen, wir gehen voran auch ohne Polen, weil Polen blockiert hat. Und siehe da: am Ende - zwar mit einem Kompromiss - hat Polen eingelenkt. Ich habe als ich in der Bundesregierung war die gleiche Erfahrung gemacht mit Margaret Thatcher. Die war ja mindestens so hart und unbeweglich in europäischen Fragen wie die jetzige britische Führung.

    Heinemann: Die berühmte Politik der Handtasche.

    Teltschik: Ja. Aber wir haben unter Helmut Kohl die Erfahrung gemacht, dass in dem Augenblick wo sie isoliert wurde, politisch isoliert wurde hat sie am Ende immer eingelenkt. Warum? Weil Präsident Mitterrand von Frankreich und Helmut Kohl von Deutschland gemeinsam wussten wohin sie wollten. Wir haben heute in Europa keine politischen Führer, die Ziele vorgeben und sagen dort wollen wir hin. Das ist ein langer Weg. Er kostet Kompromisse, aber wir lassen nicht davon ab. Und Bahr fordert ja im Prinzip ständig, dass wir auch jetzt eine gemeinsame Armee haben. Na gut, dann muss man halt anfangen. Und er sagt ja zu Recht, wenn es nicht mit allen geht, dann mit einigen. Aber das muss man wollen!

    Heinemann: Einige gehen ja voran. Nicolas Sarkozy macht eine durchaus sehr eigenwillige Politik im Augenblick. Sollte auch die deutsche Außenpolitik nationale Interessen stärker in den Vordergrund rücken?

    Teltschik: Das ist ein gutes Stichwort, das Sie ansprechen. Das ist etwas, was ich auch erstaunlich in dem ganzen Beitrag von Egon Bahr finde, dass er besonders das deutsche nationale Interesse heraushebt und dann auch immer davon spricht, dass Europa selbst bestimmt sein soll. Ich muss Ihnen sagen, ich kenne keinen Bundeskanzler, der nicht den nationalen Interessen gefolgt ist. Als ich im Bundeskanzleramt tätig war, uns ging es um Deutschland, vorrangig und um nichts anderes und dann kam erst alles andere. Also das halte ich für selbstverständlich. Das muss man nicht immer betonen. Dass ein Vereinigtes Europa selbstbewusst sein muss und wissen muss, was seine Interessen sind, ist auch selbstverständlich. Das muss man nicht immer herausstellen.

    Heinemann: Herr Teltschik, in der SPD gibt es namhafte Politiker die meinen, Deutschland müsse einen gleichen Abstand halten zwischen den USA und Russland. Wäre Deutschland damit gut beraten?

    Teltschik: Nein. Das wäre ein historischer Fehler. Das sagt auch Egon Bahr hier in seinem Beitrag, dass es im Prinzip keine Alternative zu der Allianz mit den Vereinigten Staaten von Amerika gibt. Ich muss Ihnen sagen, darüber sollten gerade wir Deutsche nachdenken, denn wir Deutsche - und das sehen wir jetzt in den Beziehungen zu Polen - sind für unsere Nachbarn wie Polen oder nehmen Sie Luxemburg oder auch die Niederlande oder Dänemark für die nur erträglich in einer gemeinsamen Allianz mit den USA. In dem Augenblick wo wir versuchen würden, einen eigenständigen Weg zu gehen, losgelöst von den USA, haben wir erhebliche Probleme in Europa, die sich nicht zuletzt auch dann gegen Deutschland richten.