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"Natürlich spielt immer auch Hoffnung eine Rolle"

"Letztlich geht es natürlich um die Frage, wie viel Steuersenkung kommt am Ende heraus", sagt Henning Krumrey, stellvertretender Chefredakteur und Leiter des Berliner Büros der "Wirtschaftswoche". Gleichzeitig sieht er im Bundeshaushalt Potenzial für Einsparungen.

Henning Krumrey im Gespräch mit Jasper Barenberg |
    Jasper Barenberg: Christian Wulff, Ministerpräsident von Niedersachsen und stellvertretender Vorsitzender der CDU, er rügt die Steuersenkungspläne der FDP als "unverantwortlich" und als "Unfug". FDP-Chef Guido Westerwelle droht daraufhin zum zweiten Mal damit, die Verhandlungen mit der Union platzen zu lassen. Als heftig wird der Streit zwischen Wulff und Westerwelle am Wochenende kolportiert und er dokumentiert vor allem eines, wie schwer sich CDU/CSU und Liberale tun, drei zentrale Ziele unter einen Hut zu bringen, die sich im Grunde widersprechen: die Steuern zu senken, den desolaten Haushalt zu sanieren und mehr Geld auszugeben vor allem für Bildung. Bis Ende der Woche soll nun auch dieser gordische Knoten zerschlagen sein und die Arbeitsgruppe zu Steuern und Finanzen sitzt inzwischen schon wieder am Verhandlungstisch.
    Am Telefon begrüße ich jetzt Henning Krumrey, den Chef des Hauptstadtbüros der Wirtschaftswoche. Schönen guten Tag, Herr Krumrey.

    Henning Krumrey: Guten Tag, Herr Barenberg!

    Barenberg: Wir haben es gerade ja noch mal vor Augen geführt bekommen. Alle halten sich bedeckt, alle bleiben im Ungefähren, alle diejenigen jedenfalls, die in Berlin in diesen Tagen mit am Verhandlungstisch sitzen, und vor allem, wenn es um die besonders kritische desaströse Finanzlage geht. Ist das eigentlich verwunderlich in diesem Stadium der Verhandlungen?

    Krumrey: Nein, das ist eigentlich ganz normal - aus zwei Gründen: Erstens ist das Thema Steuern für beide Parteien, aber besonders für FDP und CSU das zentrale Wahlkampfthema gewesen, also die Entlastung. Deshalb ist es klar, dass darum besonders hart gerungen wird. Zweitens ist natürlich in der Tat die Finanzlage der Haushalte nicht so rosig, dass man ganz bedenkenlos da irgendein Konzept umsetzen könnte. Und drittens schließlich gehören natürlich sagen wir mal ein bisschen dramatische Auseinandersetzungen auch einfach zum Geschäft. Das kennen wir bei Tarifverhandlungen zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaften und so ein bisschen ist das hier natürlich auch. Jeder muss ja auch nachweisen können, entweder dass er in hartem Ringen etwas durchgesetzt hat, oder umgekehrt, wenn er was dem Partner zugestehen musste, dass er sich zumindest ordentlich gewehrt hat. Zu dramatisch sollte man das jetzt auch nicht werten.

    Barenberg: Die Haushaltslage ist katastrophal, das ist ja kein Geheimnis. Im Wahlkampf haben sich dennoch alle drei Parteien ja entschieden auf Steuersenkungen festgelegt. Können die künftigen Bündnispartner dennoch anders, als dieses Versprechen auch einzuhalten?

    Krumrey: Klar ist, glaube ich, man muss etwas tun. Es muss eine Entlastung geben, weil man es versprochen hat und weil ja diese Koalition oder die beteiligten Parteien ihren Wahlkampf und zumindest die FDP ja auch den daraus resultierenden Erfolg einmal mit dem Versprechen der Steuersenkung erreicht hat. Zum anderen haben ja beide oder alle drei Partner sehr damit geworben, wir versprechen nur das, was wir halten können, und wir halten aber hinterher auch das, was wir versprochen haben. Da kann man jetzt also nicht mit einem Wortbruch gleich anfangen.
    Letztlich geht es natürlich um die Frage, wie viel Steuersenkung kommt am Ende heraus. Die Union hat ja ursprünglich 15 Milliarden geplant gehabt, sie hat sich jetzt an 20 herangerobbt. Die FDP fordert für ihr Stufenmodell 35 Milliarden. Jetzt können wir relativ leicht - und ich glaube, das ist gar nicht zu oberflächlich gedacht - sagen, wenn der eine 15 sagt und der andere 35, wird das Ergebnis im Zweifelsfall bei 25 irgendwo dann landen, und das wäre vielleicht für die öffentlichen Haushalte auch gerade noch zu verkraften.

    Barenberg: Dieser Verhandlungspoker, Herr Krumrey, ist das eine; die Sachlage gewissermaßen das andere. Nicht nur die Wirtschaftsinstitute sagen ja, dass Steuern senken, dass Verschuldung abbauen und dass gleichzeitig in Bildung investieren, dass diese drei Ziele also im Grunde im Widerspruch zueinander stehen. Wie sehr haben sich da die drei Parteien auch in eine Sackgasse manövriert?

    Krumrey: Na ja, jetzt muss man sich in der Tat - das kam in Ihrem Beitrag ja auch schon vor - noch mal die Zeitachse anschauen. Das FDP-Wahlversprechen war ja, die FDP unterschreibt nur dann einen Koalitionsvertrag, wenn darin der Einstieg in ein einfacheres, niedrigeres und gerechteres Steuersystem festgeschrieben wird. Also erstens muss es nur ein Einstieg sein und zweitens ist ja nicht gesagt, wann das dann alles in Kraft treten soll. Jedem ist ja klar, dass eine große, umfassende Entlastung, egal ob es nun 15, 25 oder 35 Milliarden wären, nicht am 1. Januar 2010 in Kraft treten kann und muss. Das heißt, man könnte sich ja auch einen Koalitionsvertrag vorstellen, wo festgelegt wird, spätestens bis zum Jahr 2012 beschließen wir eine einfachere Steuerstruktur, die dann 2013 in Kraft tritt. Das heißt, dann würden die größeren Entlastungsbrocken erst sehr viel später eintreten und bis dahin sind durch Wirtschaftswachstum und die bis dahin ja immer noch existierende kalte Progression, um diesen Begriff noch mal zu verwenden, so viele Milliarden zusätzlich in den Steuerkassen aufgelaufen, dass die Senkung der Steuern dann auch gar nicht mehr so, sagen wir mal, gefährlich für die öffentlichen Haushalte wären. Natürlich sind die Kassen dann immer noch leer, aber das Defizit wird in den nächsten Jahren wieder deutlich kleiner werden. Und wenn wir uns noch mal daran erinnern: in der vergangenen Woche haben ja die Wirtschaftsforschungsinstitute ihre Prognose für das nächste Jahr um immerhin 1,7 Prozentpunkte nach oben gesetzt. Das alleine sind ungefähr zehn Milliarden Steuereinnahmen mehr, als man erwartet hatte. Das heißt, insgesamt, wenn wir die Sozialversicherungen noch dazu nehmen, wird das Defizit im kommenden Jahr zumindest ungefähr 20 Milliarden geringer ausfallen, als man zu den schlimmsten Zeiten erwartet hatte. Die Kasse ist immer noch leer, aber nicht ganz so leer, wie wir alle noch vor einigen Wochen annehmen mussten.

    Barenberg: Und doch stehen ja neue Schulden in Hunderten von Milliarden Höhe an. Vor diesem Hintergrund die Frage: Jetzt auf Wachstum zu setzen und auf wachsende Steuereinnahmen, ist das nicht auch setzen auf das Prinzip Hoffnung?

    Krumrey: Natürlich spielt immer auch Hoffnung eine Rolle. Das ist schon richtig. Andererseits ist es bei allen unbestritten, dass gerade bei den unteren und mittleren Einkommen eine Steuerentlastung erstens erforderlich ist und zweitens ja auch direkt in einen höheren Konsum fließen würde, weil gerade eben die Bezieher kleiner und mittlerer Einkommen nicht so viel Geld auf die hohe Kante legen, sondern es direkt wieder ausgeben. Das heißt, es kommt direkt wieder in den Wirtschaftskreislauf und schafft insofern neue Nachfrage und neues Wachstum. Das ist sicherlich für die Konjunktur sinnvoll und wie gesagt noch einmal: die Wirtschaftsentwicklung wird langsam wieder etwas besser. Und um noch mal, weil Sie die Hunderte Milliarden ansprachen, ein Beispiel zu nehmen: Wir haben ja nun dieses sehr große Stabilisierungspaket für die Banken gehabt, insgesamt 480 Milliarden, für die Banken und die sogenannte Realwirtschaft. Davon ist bisher ja erst nicht mal die Hälfte abgeflossen. Bisher sind noch keine Kreditausfälle zu beklagen gewesen. Stattdessen hat der Staat schon mehr als eine Milliarde an Gebühren eingenommen, Gebühren und Zinsen für diese Bürgschaften und Kredite, die er an die Unternehmen ausgereicht hat. Das heißt nicht, dass nicht natürlich irgendwann auch mal da Geld verloren gehen wird, aber es ist jetzt nicht so, dass dieses zugesagte Geld, die 480 Milliarden, nun alles schon sich in Luft aufgelöst hätte. Ganz im Gegenteil!

    Barenberg: Zum Schluss, Herr Krumrey, mit der Bitte um eine möglichst kurze Antwort. Werden wir am Ende einen Koalitionsvertrag haben, in dem auch Zumutungen, in dem auch Belastungen beim Namen genannt werden?

    Krumrey: Das wird, glaube ich, schon so sein. Man kann und muss auch natürlich sparen. Das ist nötig, das ist auch möglich, ohne dass gleich sozusagen ein Volksaufstand ausbricht. Wenn man das mit Augenmaß macht, kann man noch einige Milliarden aus dem Bundeshaushalt herausholen. Am Ende wird es eine Einigung in dieser Richtung geben.

    Barenberg: Henning Krumrey, Chef des Hauptstadtbüros der Wirtschaftswoche. Danke für diese Einschätzungen.